Sahra Wagenknecht

Krisenprofiteure sichtbar machen

Interview mit Sahra Wagenknecht auf www.linksfraktion.de vom 29.05.13

29.05.2013

Um die Occupy-Bewegung in den USA ist es still geworden. Wie ist die Situation in Deutschland?

Sahra Wagenknecht: Die Bewegung "Occupy Wall Street" hat zwei wichtige Punkte gemacht: Mit dem Slogan "Wir sind die 99 Prozent" hat sie die Aufmerksamkeit auf die extreme Ungleichheit und die Konzentration des Reichtums gelenkt. Zweitens hat sie den Protest an die Schaltzentralen der Macht getragen. In Deutschland gibt es zwei Erben jener Bewegung: das UmFAIRteilen-Bündnis, das höhere Steuern für Reiche fordert, und das Blockupy-Bündnis, das die Macht der Großbanken und der Europäischen Zentralbank ins Visier genommen hat.

In wenigen Tagen, am 31. Mai und 1. Juni, demonstriert das Blockupy-Bündnis wieder in Frankfurt. Wie schätzen Sie Situation und Stimmung im Vergleich zum Vorjahr ein?

Im letzten Jahr hat die Stadt Frankfurt völlig überzogen und geradezu hysterisch reagiert, sie hat Angst geschürt und nahezu alle Veranstaltungen verboten. Allerdings ging ihr Kalkül nicht auf – im Gegenteil: Am Ende hat die Polizei selbst durch ihr massives Auftreten für eine wirksame Blockade des Bankenviertels gesorgt. Und die skandalösen Verbote hatten eine mobilisierende Wirkung für die Demonstration, die mit mehreren zehntausend Teilnehmern sehr erfolgreich war.

In diesem Jahr gibt es zum Glück keine Verbote, die die Versammlungsfreiheit offensichtlich einschränken. Allerdings gibt es viele kleine Schikanen, die das Ziel haben, die Öffentlichkeit von den Protesten abzuschirmen. Ich denke aber, dass das nicht gelingen wird und erneut viele tausend Menschen zu den Protesten mobilisiert werden können. Außerdem hoffe ich, dass – nachdem im letzten Jahr das Thema Demonstrationsfreiheit im Mittelpunkt stand – die eigentlichen Anliegen der Blockupy-Bewegung in diesem Jahr stärker durchdringen können.

Welche Ziele hat sich das Blockupy-Bündnis in diesem Jahr gesteckt?

Blockupy will die Aufmerksamkeit auf die katastrophalen Folgen der Spar- und Kürzungspolitik lenken und ein kämpferisches Signal der Solidarität an alle Betroffenen dieser Politik senden. Die Krisenprofiteure sollen sichtbar gemacht und die Verantwortlichen der Krisenpolitik in ihrem Handeln gestört werden. So besteht ein Aktionsziel darin, den üblichen Geschäftsablauf der Europäischen Zentralbank (EZB) durch Massenblockaden zu stören. Die Proteste werden sich aber auch gegen die skandalöse Ausbeutung von Beschäftigten in der Textilindustrie, gegen die unmenschliche Flüchtlingspolitik und die Abschiebepraxis auf dem Frankfurter Flughafen sowie gegen die kriminellen Geschäfte der Deutschen Bank richten.

Der IWF hat sich in dieser Woche in einer Analyse zu Schuldenschnitten im Zuge der Finanzkrise selbstkritisch gezeigt. Umschuldungen habe es "zu wenig und zu spät" gegeben. Wie bewerten Sie diese Einsicht?

Sie ist richtig, kommt aber etwas spät. Außerdem ist mein Eindruck, dass Worte und Taten bei diesen Institutionen stark auseinanderklaffen. In der Praxis steht der IWF genauso wie die Europäische Zentralbank oder die deutsche Bundesregierung für eine knallharte Kürzungspolitik im Interesse der Banken und anderer privater Gläubiger. Aber man sollte die Situation natürlich nutzen, indem man den IWF beim Wort nimmt: Er sollte mit gutem Beispiel vorangehen und den Krisenländern einen Großteil der Schulden, die sie beim IWF haben, erlassen.

In dem Bericht ist laut FAZ auch die Rede davon, dass einige Regierungen Druck gemacht hätten, um Schuldenschnitte zu verzögern. Wie lesen Sie solche Äußerungen?

Sicher hat die Bundesregierung Druck gemacht, um Schuldenschnitte zu verhindern, die deutsche Banken stark getroffen hätten. Der IWF vertritt demgegenüber weniger die Interessen eines nationalen Finanzsektors, sondern die kollektiven Interessen der Gläubiger weltweit. Er hat daher stärker im Blick, ob ein Schuldenberg auch langfristig tragfähig ist. Wer eine Kuh melken will, sollte sie ja nicht verhungern lassen. Inzwischen ist völlig klar, dass Länder wie Griechenland einen weiteren Schuldenschnitt brauchen. Und wie DIE LINKE vorhergesagt hat, wird dieser Schuldenschnitt dann vor allem die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler treffen.

Sie treten am Freitag im Rahmen von Blockupy bei einer Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE auf. Worum wird es gehen?

Die Veranstaltung läuft unter dem Titel "Rettet die Menschen, nicht die Banken." Ich werde mit einer Vertreterin des portugiesischen Linksblocks und dem Berater des griechischen Linksbündnisses Syriza über die Folgen der Kürzungsdiktate, über Alternativen zur Krisenpolitik und die Perspektiven linker Gegenwehr diskutieren. Anschließend gibt es eine Sonderaufführung des neuen Ken Loach-Films "The spirit of `45", in dem die Geschichte beziehungsweise der Abriss des britischen Sozialstaats nachgezeichnet wird.

linksfraktion.de, 29. Mai 2013