Sahra Wagenknecht

Politik sozial - LINKE 2013

Strategiepapier zu den Schwerpunkten der Linksfraktion von Sahra Wagenknecht und Cornelia Möhring

04.09.2012

Cornelia Möhring und Sahra Wagenknecht, die beiden 1. stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, haben für die gemeinsame Debatte auf der Fraktionsklausur am 4./5. September 2012 ein Strategiepapier vorgelegt, indem sie die politische Schwerpunktsetzung im Bundestagwahljahr 2013 entwickeln. Dieser Vorschlag geht auf gemeinsame Diskussion in der Fraktion zurück. Er bündelt Erfahrungen und Ideen vieler Abgeordneter, die in den letzten Monaten zusammengetragen wurden. Jetzt – ein Jahr vor der Bundestagswahl 2013 - ist die politische Zuspitzung gefragt, die Profilierung gegen die Irrfahrten der Bundesregierung in der Europapolitik, gegen einen schleichenden Sozial- und Demokratieabbau in unserem Land. Vertrauen in politische Alternativen entwickelt sich durch klare Konzepte und einen offene Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. Auf ihrer Fraktionsklausur am 4./5. September 2012 in Berlin werden die Mitglieder der Fraktion dafür die Weichen stellen. Mit produktiver Diskussion und verbindlichen Entscheidungen zu den politischen Schwerpunkten 2012/13 will DIE LINKE gut vorbereitet in die kommende Arbeit gehen.
Schwerpunkte setzen

Die Bundestagsfraktion hat besondere Möglichkeiten, linke Positionen öffentlich zu machen und in die Gesellschaft hinein zu wirken. Nachdem das öffentliche Bild der Fraktion durch interne Streitigkeiten gelitten hat, muss es uns 2012 und 2013 wieder gelingen, mit politischen Kernthemen Profil zu gewinnen, also den Themen, die für unser Selbstverständnis zentral sind und die unser Bild in der Öffentlichkeit prägen. Dies wird uns nur mit einer sparsamen, akzentuierten Schwerpunktsetzung gelingen.

Im erfolgreichen Bundestagswahlkampf 2009 war das kompromisslose Ansprechen der sozialen Frage für uns genauso zentral wie die klare Antikriegshaltung und das Image einer unverbrauchten, angriffslustigen, rebellisch-unangepassten Partei, die nicht als Teil des eingefahrenen Politikbetriebes wahrgenommen wurde, sondern als Gegenkraft, die die anderen Parteien vor sich hertrieb. Eine Schlussfolgerung für uns lautet: Wir knüpfen an unseren Erfolgen dadurch an, indem wir unsere Schwerpunkte „relaunchen", d.h. die Lebenswirklichkeit und den Alltag zum Ausgangspunkt nehmen, Veränderungen und Entwicklungen identifizieren und mit Lösungsansätzen verknüpfen und unser Image in diesem positiven Sinn erneuern.

Unsere Schwerpunkte werden unweigerlich in die gesellschaftlich virulenten Themen eingebettet sein müssen. Welche dies 2013 sind, entscheiden zum einen Bürgerinnen und Bürger aus ihren Lebenslagen heraus oder sie werden von gesellschaftlichen Bewegungen bestimmt, die offene Fragen und Problemstellungen thematisieren und Protest artikulieren. Zum anderen geben das Regierungshandeln im In- und Ausland und die entsprechende Kommentierung in den Medien, Grundrichtungen der öffentlichen politischen Debatte vor. Unser Erfolg der Platzierung von alternativen und zukunftsweisenden Themen, sowie unserer Präsentation als widerständige und durchsetzungsfähige Kraft wird auch davon abhängen, wie sehr es uns gelingt, gesellschaftliche Forderungen nach einer Gesellschaft, in der es gerecht zu geht, aufzugreifen und konsequent politisch zu vertreten.

DIE LINKE im Dialog mit Wählerinnen und Wählern

Die Abwehrpolitik gegen Sozial- und Demokratieabbau, zu der wir energisch stehen sollten, ist mit unseren Vorschlägen für die Bewältigung der entscheidenden Herausforderungen der Zukunft, wie Klimawandel, Energiewende und Armutsbekämpfung sowie die Schaffung sozialer Gerechtigkeit und tragfähigem Frieden zu verbinden. Der direkte Verweis auf längerfristige Konzepte der Partei (Rente, Steuern, Eurokrise, Geschlechtergerechtigkeit, Demokratie usw.) verlangt dabei nicht die Antwort bis ins letzte Detail, doch immerhin durchgearbeitete Angebote, in denen auch interessante, offene Fragen skizziert sein können. Entscheidend ist der Charakter dieser längerfristigen Konzepte als Angebot für den gesellschaftlichen Dialog, damit Menschen Lust haben mitzudiskutieren, sich aktiv für ihre eigenen Interessen einzusetzen und sich politisch zu engagieren. Uns muss es wieder gelingen, durch unser Auftreten, unsere Wortwahl, durch eine transparente auf Diskurs angelegte Kommunikation und unser ganzes Erscheinungsbild ein Gegenmodell zum langweiligen, kleingeistigen, unglaubwürdigen und nicht selten korrupten Politikbetrieb zu verkörpern.

Als Linksfraktion arbeiten wir mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, mit lokalen Initiativen, Kirchen und Sozialverbänden zusammen und sollten unsere politischen Schwerpunkte und Zukunftsfragen gemeinsam mit ihnen sowie mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern debattieren. Wir müssen besser zuhören lernen und eine Beteiligungs- und Diskussionskultur entwickeln, die einladend, zugänglich und auch für bisher nur wenig politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger attraktiv ist.

Auf dem Weg zum Wahlprogramm 2013

Schwerpunkte der Fraktion für 2012/2013 gemeinsam zu verhandeln und zu entscheiden, und ihnen dann durch die tägliche Arbeit der Fraktion, also der Abgeordneten, Mitarbeiter/innen größtmögliche Öffentlichkeit zu verschaffen (und sie nachhaltig über den Bundestagswahlkampf hinaus zugleich weiter zu entwickeln), heißt zwangsläufig auch Mut zur Lücke zu haben. Nur mit einem besonderen Fokus – ausgebaut bis zum Alleinstellungsmerkmal – werden wir die gesellschaftlichen Debatten aus linker Perspektive beeinflussen können. Dabei wollen wir uns insbesondere in die Debatten über

  • eine Humanisierung der zunehmend prekarisierten Arbeits- und Lebenswelt
  • die Konsequenzen aus der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise,
  • die Stärkung des Öffentlichen, der Demokratie und der kommunalen Selbstverwaltung
  • die Friedenssicherung

aktiv einbringen.

Als Schwerpunkte für die Fraktion schlagen wir vor:

  1. Gutes Leben für alle

    In der Bundesrepublik arbeitet mittlerweile fast jede(r) vierte Beschäftigte zu Niedriglöhnen – in Teilzeit, Leiharbeit, Befristung und Minijobs oder als Aufstockerin und Aufstocker. Soziale Unsicherheit und Angst nehmen zu: Stress im Job, das Gefühl, in immer kürzerer Zeit immer mehr schaffen zu müssen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes oder das erniedrigende Gefühl, aus Angst vor Hartz-IV-Sanktionen jeden miesen Job akzeptieren zu müssen. Dabei werden die verschiedenen Gruppen gegeneinander ausgespielt, z.B. der Arbeiter der Stammbelegschaft gegen die Leiharbeiterin, die Verkäuferin mit Dumpinglohn gegen den Erwerbslosen oder der Einwanderer gegen die Deutsche. Linke Politik muss die gemeinsamen Interessen der verschiedenen Beschäftigtengruppen, der Erwerbslosen und der Rentnerinnen und Rentner herausarbeiten und verständlich nach außen kommunizieren. Der Kampf für gute Arbeit, gute Löhne und eine gute Rente, für einen gesetzlichen Mindestlohn und gegen Hungerlohnjobs, Befristungen, Leiharbeit und Hartz IV bleibt aktuell. Wir wollen Gesundheit für alle und keine 2 Klassen Medizin. Die Linke ist die einzige Partei, die an den Gründungskonsens der Bundesrepublik anknüpft: „Wohlstand für alle". Deshalb setzten wir uns für gleichwertig gute Lebensbedingungen in allen strukturschwachen Regionen ein, für einen neuen Politikansatz in Ostdeutschland, zu dessen Voraussetzung die die Angleichung der Löhne und Renten gehört.
  2. Reichtum umverteilen - Finanz- und Wirtschaftskrise bewältigen

    Die Eurokrise spitzt sich weiter zu, die Eurozone steht vor einer Zerreißprobe. Mit dem Fiskalpakt wird die Demokratie in Europa untergraben, dringend nötige Investitionsprogramme werden auf Dauer unmöglich gemacht. Die Krisenländer werden kaputtgespart, gleichzeitig werden immer neue Milliardensummen für die Rettung eines maroden Bankensektors verpulvert. Die Krise ist aber nicht entstanden, weil einige Länder über ihre Kosten gelebt haben. Die Eurokrise ist im Kern eine Krise des entfesselten Kapitalismus, sie ist das Ergebnis einer immer ungleicheren Einkommensverteilung, von wachsenden Ungleichgewichten in der Außenhandelsbilanz und mangelnder Regulierung der Finanzmärkte . Eine wirksame Krisenbekämpfung muss genau da ansetzen. Das heißt: Es bedarf Maßnahmen zur Umverteilung von oben nach unten, höherer Löhne, Renten und Sozialleistungen in Deutschland zur Verringerung des Leistungsbilanzüberschusses, einer strengen Regulierung der Finanzmärkte, der Banken, Versicherungen und Schattenbanken sowie einer Abkopplung der Staatsfinanzierung von den Finanzmärkten. Die Krisenländer benötigen darüber hinaus einen Schuldenschnitt zur Wiedergewinnung der öffentlichen Handlungsfähigkeit sowie Investitionsprogramme statt Kürzungsdiktate.
    Wir sind die einzige Partei, die die sogenannten Eurorettungsschirme, die sich heute immer offensichtlicher als Projekt der Verarmung für die europäische Bevölkerung und Fass ohne Boden für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erweist, von Beginn an abgelehnt hat. In den Mittelpunkt unserer Forderungen werden wir die Frage der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums (Vermögensbesteuerung, Krisenabgabe für Millionäre) stellen.
  3. Das Öffentliche und Genossenschaften stärken

    Während die Verluste der Finanzkonzerne sozialisiert werden, sollen öffentliche Unternehmen privatisiert und immer mehr gesellschaftliche Bereiche dem Profitprinzip unterworfen werden. Diesem Ausverkauf der Gemeingüter (Commons) setzen wir die Überzeugung entgegen: Privatisierung ist Diebstahl öffentlichen Eigentums. Allerdings sollte unsere Offensive fürs Öffentliche nicht bei reinen Abwehrkämpfen gegen Privatisierungen stehen bleiben – so wichtig diese auch sind. Sozialistische Politik heißt eben auch, Wirtschaftsdemokratie voranzutreiben sowie Formen solidarischer Ökonomie, wie Genossenschaften oder Kooperativen, und Rekommunalisierungen zu befördern.
    Wir setzen der zunehmenden Kommerzialisierung der Lebensbereiche eine neue soziale Idee entgegen: Das individuelle Recht der Menschen auf Teilhabe am politischen, sozialen und kulturellen Leben, das wir durch öffentliche oder genossenschaftliche Bereitstellung des Lebensnotwendigen (vom Gesundheitswesen über das Recht auf Wohnen bis zum kostenlosen W-LAN-Anschluss für alle) verwirklichen wollen.
    Um diese neue soziale Idee umzusetzen, bedarf es einer anderen Steuerpolitik, die die Handlungsfähigkeit der Länder und insbesondere der Kommunen wiederherstellt. Die kommunale Selbstverwaltung und Demokratie darf nicht vermeintlichen Kürzungszwängen und Schuldenbremsen geopfert werden. Wir streiten für die Rückgewinnung der Stromnetze in öffentliche Hand – als Voraussetzung für dezentrale, ökologische Stromproduktion und Sozialtarife. Mit der Gründung der Genossenschaft „Fair Wohnen" unternehmen wir den konkreten Versuch, tausende Wohnungen der Treuhandliegenschaft vor dem Ausverkauf an Finanzinvestoren zu retten. das Genossenschaftsmodell ist für uns eine wichtige Antwort auf die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Wir wollen daher die Gründung von Genossenschaften auf verschiedenen Praxisfeldern einbringen.
  4. Konsequente Friedenspolitik

    „Raus aus Afghanistan bleibt aktuell, denn es gibt keinen ernsthaften Abzug. Hinzu kommt immer dringender: Widerstand gegen Kriegsvorbereitungen gegen den Iran und Syrien und möglicherweise bald gegen einen erneuten Krieg. Was sogenannte Menschenrechtskriege anrichten, zeigt sich in Afghanistan, Irak und Libyen. Wir müssen wie bisher konsequent für ein Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr eintreten. Zentrale Themen bleiben die Forderung nach einem Verbot von Rüstungsexporten sowie der Ächtung von Atomwaffen.

    Mit unseren Vorschlägen zur Schwerpunktsetzung knüpfen wir an das „Vorhaben für die nächsten 120 Tage" der neu gewählten Parteiführung an.
    Dabei sind die Vorschläge für eine Schwerpunktsetzung nicht als enges Korsett zu verstehen, sie bieten jedoch einen Rahmen . Selbstverständlich gibt es darüber hinaus eine Reihe weiterer Themen, die ebenfalls eng mit uns verbunden werden (der Einsatz gegen weiter bestehende ökonomische und soziale Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, der Kampf gegen Neofaschismus, Rassismus und Diskriminierung etc.)Wir sind uns auch bewusst, dass wir die nötige Flexibilität besitzen müssen, um auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können. Online- -Befragungen könnten ein Mittel sein, um den Dialog mit Mitgliedern, Sympathisantinnen und potentiellen Wählerinnen und Wählern zu verstärken und weitere Themenschwerpunkte herauszuarbeiten.
  5. Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Diskriminierung

    Wir müssen aufklärend vor Nazi-Angriffen schützen und verdeutlichen, dass wir uns hierbei nicht auf den Staat verlassen können, sondern das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, der sich DIE LINKE an vorderer Stelle annimmt (Dresden). Bei der Auseinandersetzung um den NSU-Terror ist es unser Part, nicht den Staat in Schutz zu nehmen oder gar weiter aufzurüsten, sondern die zwielichtige Rolle des Verfassungsschutzes zu thematisieren. Wir setzen uns weiterhin für bundesweit finanzierte Programme gegen Rechtsextremismus ein und setzen die Debatte um das NPD-Verbot fort.

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