Sahra Wagenknecht

"Ich will, dass die Linke ihren Rückhalt bei denen nicht verliert, denen es nicht gut geht"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der Neuen Osnabrücker Zeitung am 18.05.2018

18.05.2018

Frau Wagenknecht, der neue Finanzminister hat gerade  seinen Haushaltsplan vorgestellt und will  an der schwarzen Null  festhalten. Ist Olaf Scholz also nur eine rote Kopie von Wolfgang Schäuble?

Man wundert sich schon, warum die SPD so um das Finanzministerium gekämpft hat. Denn es scheint ja der Ehrgeiz von Herrn  Scholz zu sein, dass der Wechsel jetzt möglichst niemandem auffällt. Es wäre durchaus möglich, spürbare Entlastungen für Gering- und Mittelverdiener und gleichzeitig mehr soziale Sicherheit und deutlich höhere Investitionen zu finanzieren. Über eine Quellsteuer auf Finanzflüsse in Steueroasen könnte man den Steuertricks der Konzerne die Grundlage entziehen. Auch eine Steuer auf sehr große Vermögen wäre angemessen. Es ist unverantwortlich, weiter zuzuschauen, wie Straßen, Brücken  und  öffentliche Gebäude verfallen.  Auch kann es nicht sein, dass viele Schulen -  vor allem in sozialen Brennpunkten -  so schlecht ausgestattet sind, dass sie keine solide Bildung vermitteln können. Diese Regierung versündigt sich an der Zukunft.

Sie haben in der Haushaltsdebatte des Bundestags  „Raubtierkapitalismus“ beklagt.  Wer genau beraubt wen?

Niemand kann Milliardenvermögen selbst erarbeiten. Wenn die Geschwister Quandt und Klatten in diesem Jahr eine Dividende von 1100 Millionen Euro überwiesen bekommen, und gleichzeitig können viele Leiharbeiter bei BMW von ihrem Einkommen nicht mehr leben, dann sind das zwei Seiten einer Medaille. Wir sehen, dass die Unterschiede immer größer werden, dass immer mehr Menschen hart arbeiten, aber trotzdem jeden Euro dreimal umdrehen müssen. Es war das große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, dass jeder am Wachstum teilhat, dass jeder, der sich anstrengt, auch zu Wohlstand kommen kann. Im Zeitalter von Leiharbeit und Niedriglohnjobs gilt das nicht mehr. 

Wie wäre es denn mit einem solidarischen oder einem bedingungslosen Grundeinkommen?  ist das die Lösung der Armutsprobleme?

Das klingt schön: Jeder kriegt ein sicheres Einkommen. Aber eben weil es unabhängig vom Bedarf jeder bekommen soll, kann es nur eine Minimalversorgung sein.  Zudem sollen dann ja alle anderen sozialen Leistungen wie Mietzuschüsse, Kranken- und Rentenversicherung wegfallen. Am Ende hätten die Menschen weniger als heute ein Hartz-IV-Bezieher. Nein, wir brauchen wieder eine solide Arbeitslosenversicherung statt die Menschen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit mit Hartz IV um alles zu bringen, was sie sich im Leben aufgebaut haben. Wir müssen mehr in gute Bildung investieren, den Personalnotstand in den sozialen Diensten überwinden und Arbeit umverteilen:  weniger Stress für alle, statt Überarbeitung der einen und Almosen für die anderen.

Olaf Scholz verweist darauf, dass der Bund seine Investitionen  allein im  laufenden Jahr um zehn Prozent auf 37 Milliarden Euro steigert. Das klingt doch nach einem vernünftigen Plan…

Wir haben einen Investitionsstau von 120 Milliarden Euro. Wir brauchen ein schnelles Internet und ordentliche Funknetze. Und der Markt richtet das eben nicht. Scholz will die Ausgaben in den nächsten Jahren sogar unter das heutige Niveau senken. So wird die Zukunft verspielt.

Auch die Bundeswehr soll mehr Geld bekommen. Angela Merkel sagt, es gehe nicht um Aufrüstung, sondern um Ausrüstung. Wie bewerten Sie diesen Einzeletat?

Der Rüstungsetat ist der höchste seit dem Ende des Kalten Krieges. Weshalb Frau von der Leyen nicht in der Lage ist, mit diesem vielen Geld die Bundeswehr ordentlich auszurüsten, erschließt sich nicht. Die Bundeswehr hat einen Auftrag nach dem Grundgesetz: Das ist die Landesverteidigung. Dafür muss sie gut ausgestattet sein. Wenn von der Leyen jetzt 12 Milliarden mehr fordert, geht es ihr allerdings nicht um Landesverteidigung, sondern um Auslandseinsätze. Aber die Sicherheit Deutschlands wird nicht am Hindukusch oder im Irak verteidigt, im Gegenteil, sie wird aufs Spiel gesetzt, wenn wir uns an völkerrechtswidrigen Öl- und Gaskriegen beteiligen.

Sie plädieren für eine stärkere  Begrenzung der Zuwanderung  und fordern Schutz  vor Dumping-Konkurrenz. Wer soll denn noch kommen dürfen? Und wer nicht?

Das Grundrecht auf Asyl für Verfolgte muss gewährleistet sein. Da kann es auch keine Obergrenze geben. Etwas anderes ist die Arbeitsmigration. Die Unternehmen haben großes Interesse, billige Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen und hier die Lohnkonkurrenz zu verstärken. Im übrigen verschärft Arbeitsmigration auch die  Armut in den Herkunftsländern. Denn es ist in der Regel die Mittelschicht, die abwandert. Die Ungleichheit wird so global noch größer. Statt einer Förderung von Zuwanderung brauchen wir eine faire Handelspolitik, mehr Hilfe vor Ort und einen sofortigen Stopp der Waffenexporte in Spannungsgebiete.

Ist der Diskussion um Zuwanderung wird Ihnen parteiintern vorgeworfen, die Partei zu einer „AfD light“ machen zu wollen.  Sie selber kritisieren, die Partei werde nicht gut geführt. Droht neuer  Krach auf dem Parteitag in Leipzig?

Wir sind nicht die einzige Partei, die um Positionen ringt, etwa in Fragen der Zuwanderung.  Ich will, dass die Linke ihren Rückhalt bei denen nicht verliert, denen es nicht gut geht, bei Menschen in prekärer Beschäftigung , Menschen, die mit schlechten Chancen ins Leben starten, weil sie aus einem armen Elternhaus kommen, bei Rentnerinnen und Rentnern. Wenn wir die Probleme, die sie tagtäglich erleben, ignorieren, hören sie uns nicht mehr zu. Wer meine Position als „AfD-nah“ diffamiert, ist an einer fairen Diskussion nicht interessiert. 

Wen genau meinen sie mit den „kleinen Leuten“, die sie zuallererst ansprechen wollen?

Für diejenigen, die hochqualifiziert sind und mobil, die Fremdsprachen können, haben sich durch die Internationalisierung neue Chancen ergeben. Ärmere und weniger Qualifizierte dagegen haben es noch schwerer.  In Deutschland haben 40 Prozent der Bevölkerung heute ein niedrigeres Einkommen als Ende der 1990er Jahre. Die konzerngesteuerte Globalisierung ist für sie in erster Linie eine Bedrohung: Betriebsverlagerungen und Dumpingkonkurrenz stellen ihren Wohlstand in Frage. Sie haben das Recht, von ihrem Staat zu erwarten, dass er sie schützt. Das hat mit Nationalismus nichts zu tun.

Parteiintern heftig umstritten ist auch Ihre Forderung nach einer linken Sammlungsbewegung. Halten Sie daran fest? 

Wir brauchen eine neue Sammlungsbewegung, die Menschen zusammenführt, die ein sozialeres und gerechteres Land und eine neue Friedenspolitik wollen. Schließlich muss es unser Ziel sein, dass es dafür irgendwann wieder politische Mehrheiten gibt. Die Mehrheit in Deutschland wünscht sich mehr sozialen Ausgleich: höhere Löhne, bessere Renten. Sie wünscht sich Investitionen in die Zukunft statt Aufrüstung. Die Regierungen setzen sich seit Jahren über diese Interessen hinweg. Damit kann ich mich doch nicht abfinden. Aber die Linke allein wird das nicht verändern können.

Ein Großteil der Menschen in Deutschland findet, das  Treffen von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht akzeptabel. Sie auch?

Die beiden haben sich instrumentalisieren lassen für den Wahlkampf eines Mannes, der in seinem Land die Demokratie abgeschafft hat und Meinungsfreiheit unterdrückt. Aber bei aller berechtigten Kritik an diesen Bildern sollen wir auch nicht vergessen: Kanzlerin Angela Merkel dealt seit Jahren mit Erdogan. Sie hat sich im vergangenen türkischen Wahlkampf selbst als Wahlhelferin einspannen lassen, indem sie kurz vor der Wahl in die Türkei gereist ist. Deutschland  liefert Erdogan die Waffen, mit denen er Kriege führt. Das muss sich endlich ändern.

Erdogan steht bei den Linken immer wieder hart  in der Kritik, Wladimir Putin dagegen weniger, obwohl er mit dem Anschluss der Krim und  der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine nun ebenfalls keine weiße Weste hat. Messen die Linken mit zweierlei Maß?

Nein. Wenn Städte in Syrien von Russland bombardiert werden, verurteilen wir das genauso wie wie wenn die USA oder andere mit ihren Bomben Zivilisten töten. Es ist doch eher der politische Mainstream, der mit zweierlei Maß misst. Völkerrechts-widrige Aktionen wie der Anschluss der Krim müssen kritisiert werden. Aber wenn diese Kritik von denen kommt, die völkerrechtswidrige Kriege führen, wie im Irak oder in Libyen, und damit ganze Regionen verwüstet haben, ist das zutiefst heuchlerisch.  Im Übrigen hat auch der Anschluss der Krim eine Vorgeschichte: Zu dieser gehört, dass die USA fünf Milliarden Dollar investiert haben, um in der Ukraine  eine prorussische Regierung zu stürzen. Eine NATO-Mitgliedschaft steht bis heute im Raum. Jeder wusste, dass Russland nicht abwarten wird, bis sein Militärstützpunkt auf der Krim auf Nato-Territorium steht. 

Sie fordern die Aufhebung der Russland-Sanktionen. Mit welchem Ziel?

Die Eiszeit im Verhältnis zu Russland muss beendet werden. Es ist im Interesse Europas, aufeinander zuzugehen und  darüber zu reden, wie wir Sicherheit und Abrüstung erreichen können. Die Sanktionen  schaden in erster Linie europäischen und deutschen Unternehmen. Es ist also in unserem eigenen Interesse, sie aufzuheben.

US-Präsident Donald Trump hat mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem neue Fakten geschaffen. Glauben Sie noch an die Möglichkeit einer Zwei-Staaten-Lösung? Und wenn ja: Wer sollte  jetzt die Initiative ergreifen?

Die Zwei-Staaten-Lösung ist der einzige Weg, auf dem man in der Region Frieden schaffen kann. Dass die  USA jetzt Öl ins Feuer gießen durch die Verlegung  ihrer Botschaft nach Jerusalem, ist  unverantwortlich. Sie haben offenbar kein  Interesse an einer Vermittlerrolle. Deshalb   müssen die Europäer die Initiative ergreifen. Und auch hier wäre es wichtig, gemeinsam mit Russland zu agieren.

Die USA wollen sich nicht mehr an das Atomabkommen mit dem Iran halten. Die anderen Vertragsstaaten versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Wie stehen die Chancen?

Wir werden die Iraner nur dann im Boot behalten, wenn es uns gelingt, die im Iran engagierten europäischen Unternehmen von einem Rückzug abzuhalten. Wir können allerdings keinen Riesenfonds auflegen, um einem Unternehmen wie Siemens mögliche Ausfälle im US-Geschäft zu bezahlen.  Europa kann und muss daher mit Gegenmaßnahmen drohen, wenn die USA im Iran tätige Unternehmen mit Sanktionen überzieht. Wir dürfen uns diesen Wirtschaftskrieg, denn das ist es im Kern, nicht gefallen lassen. Dann kann man darüber reden, wie man einen Deal macht, dass das eine nicht stattfindet und das andere auch nicht. Wenn man keine Gegensanktionen androht, dann gibt es auch keine Hoffnung auf ein Entgegenkommen der USA.

Wie bewerten Sie das Vorgehen der Bundesregierung in Sachen Iran und USA?

Es war blamabel, dass Außenminister Heiko Maas zunächst einmal öffentlich festgestellt hat, wir könnten wahrscheinlich gar nichts machen. Die französische Regierung hat wesentlich selbstbewusster reagiert. Inzwischen hat Europa gemeinsame Beschlüsse gefasst. Das ist gut. Aber ich denke, sie genügen noch nicht, um das Abkommen wirklich zu retten. Die Drohung mit Gegensanktionen sind die Sprache, die Präsident Donald Trump wahrscheinlich versteht.