Sahra Wagenknecht

Es ist Zeit, umzusteuern

Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 11.02.2017

11.02.2017

Vor zehn Jahren beschloss eine große Koalition unter Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück die größte Steuererhöhung seit dem 2. Weltkrieg. Der Mehrwertsteuersatz stieg von 16 auf 19 Prozent, was dem Fiskus seitdem zusätzliche Einnahmen von 275 Milliarden Euro beschert hat. Zum Vergleich: Die Erbschaftssteuer brachte in den letzten zehn Jahren nur 53 Milliarden Euro ein.

Gerecht war dieser Beschluss nicht. Da Geringverdiener einen größeren Anteil ihres Einkommens ausgeben, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, werden sie von hohen Umsatzsteuern stärker getroffen. Hinzu kommt, dass man die zusätzlichen Einnahmen nicht etwa für sinnvolle Investitionen genutzt hat. Stattdessen wurden Steuergeschenke für Konzerne und Reiche finanziert, etwa die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent, die Senkung des Steuersatzes für Kapitalerträge auf 25 Prozent oder die Steuerbefreiung für Gewinne, die aus dem Verkauf von Kapitalgesellschaften erzielt werden.

Seit 2006 ist der Anteil der Umsatzsteuer sowie der Lohnsteuer am gesamten Steueraufkommen um jeweils 3 Prozent gestiegen. Verbraucher und Beschäftigte tragen also eine immer größere Steuerlast, während sich viele Großkonzerne fast komplett aus der Verantwortung gezogen haben. Auch die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme wird immer stärker auf die Beschäftigten abgewälzt. So sollen Rentenversicherte zusätzlich 4 Prozent ihres Bruttoeinkommens in private Riester-Verträge stecken. Auch von Krankenversicherten wird inzwischen ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag von 1,1 Prozent verlangt. Gleichzeitig sinkt das Rentenniveau rapide und seit 2004 werden nicht einmal mehr nötige Brillengläser von der Krankenkasse bezahlt.

Wer soziale Gerechtigkeit will, kommt um eine Wende in der Steuer- und Sozialpolitik nicht herum. Steuerprivilegien für Konzerne, deren Anteilseigner und Erben gehören abgeschafft. Um die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern, muss eine Vermögenssteuer für Millionäre eingeführt und der Spitzensteuersatz angehoben werden. Außerdem müsste die Demontage der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung rückgängig gemacht, sollten Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung ausgeweitet und sämtliche Sozialversicherungen wieder paritätisch finanziert werden.