Sahra Wagenknecht

Rettungsschirm per Banklizenz?

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen im Neuen Deutschland am 29.09.2011

29.09.2011
Interview: Kurt Stenger

ND: Der DGB hat die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, der Aufstockung des Rettungsschirms EFSF zuzustimmen. Es gehe um die Zukunft Europas und um gemeinsame Anstrengungen der Länder der Euro-Zone. Ist Ihre Fraktion, die gegen das Gesetz stimmen will, gegen solche Anstrengungen?
Wagenkecht: Ich bin sehr dafür, dass wir uns gemeinsam anstrengen, damit in Europa der Lebensstandard der Bevölkerung mindestens gesichert wird. Gerade deshalb bin ich dagegen, dass wir jetzt schon wieder Steuermilliarden verpulvern, um die Profite der Finanzmafia abzusichern. Denn nur darum geht es. Dieser Euro-Rettungsschirm wird die Krise allenfalls hinauszögern, aber nicht lösen. Er bringt vielmehr Europa und die europäische Währung in akute Gefahr.

Wie müsste ein wirklicher Rettungsschirm aussehen?
Erstens müssten die Staaten die Möglichkeit haben, sich zinsgünstig über eine Bank für öffentliche Anleihen direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Kredit zu verschaffen. Das Hauptproblem von Griechenland und anderen Ländern in Schwierigkeiten ist ja vor allem die Höhe der Zinsen. Die Zinsen explodieren, wenn Ratingagenturen und Investmentbanker den Daumen senken. Auch Deutschland wäre im Nu pleite, wenn der Bund plötzlich 10 oder 15 Prozent Zinsen auf seine Anleihen zahlen müsste. Der zweite Punkt ist, das Casino zu schließen. Banken gehören in öffentliche Hand und strikt reguliert. Es kann doch nicht sein, dass die Ackermänner mit Hochrisikospekulationen grandiose Renditen einfahren, aber jedes Mal, wenn es schief geht, der Steuerzahler blutet. Drittens fordert die LINKE eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre.

... weil über höhere Einnahmen eine Haushaltskonsolidierung besser funktionieren würde als über die aktuellen Sparmaßnahmen?
In den letzten Jahren sind eben nicht nur die öffentlichen Schulden explodiert, sondern auch die privaten Vermögen. Und zwar aus den gleichen Gründen. Wer Schulden reduzieren will, muss auch Vermögen reduzieren, er muss nur die Richtigen treffen. Die drakonischen Sparprogramme dagegen verringern die Schulden überhaupt nicht. Griechenland hat heute 20 Milliarden mehr Schulden als zu Beginn der angeblichen Rettung, weil die Wirtschaft in die Knie gegangen ist. Dadurch sinken die Einnahmen noch schneller, als die Ausgaben je gekürzt werden können. Es entsteht eine Spirale nach unten, völlig verantwortungslos.

Die von Ihnen geforderte Europäische Bank für öffentliche Anleihen würde sich anders als der EFSF nicht über die Finanzmärkte, sondern über die EZB finanzieren. Welchen Vorteil hätte dies?
Eine solche Bank könnte sich bei der EZB Geld leihen – aktuell zu 1,5 Prozent Zinsen – und dieses entsprechend billig weiterreichen. Der EFSF zahlt heute um die drei Prozent Zinsen, und auch das nur im Rahmen der bestehenden Bürgschaften. Italien, Spanien zahlen ungleich mehr. Es gibt bereits Ökonomen, die fordern, dem EFSF eine Banklizenz zu geben. Das oft geäußerte Gegenargument, dies sei inflationstreibend, ist Quatsch. Es wäre ja nicht automatisch mehr Geld im Umlauf als jetzt, wo es sich die Banken bei der EZB holen und mit einem saftigen Aufschlag an die Staaten oder an den Rettungsschirm weitergeben. Wenn man diesen Umweg über die Privatbanken vermeidet, würden viele Milliarden gespart, die jetzt für Zinsen und damit für die Profite der Banken verpulvert werden.

Der europäische Steuerzahler müsste prinzipiell aber auch dann für den – unwahrscheinlichen – Fall haften, dass ein Staat die Kredite der Bank für öffentliche Anleihen nicht bedienen kann ...
Natürlich darf es keine unbegrenzte Kreditvergabe geben. Deshalb fordert die LINKE ja auch, endlich den europaweiten Dumpingwettlauf bei Unternehmenssteuern, Spitzensteuersätzen und Vermögenssteuern zu beenden. Eine europaweit höhere Besteuerung von Gewinnen, Kapitalerträgen und Spekulation wäre die beste Schuldenbremse. Wer letztere fordert und ersteres unterlässt, der heuchelt.

Sie sprechen sich darüber hinaus für einen Schuldenschnitt für Griechenland aus, was unter linken Ökonomen, aber auch in Ihrer Partei umstritten ist. Die Kritiker warnen vor allem vor Ansteckungsgefahren für richtig große Länder wie Italien und Spanien.
Die Gefahr ist real, wenn man das heutige System beibehält. Würde Griechenland heute die Bedienung seiner Schulden aussetzen, wären sehr wahrscheinlich auch Italien und Spanien pleite, weil keine Bank mehr ihre Anleihen kaufen würde. Deswegen sagen wir ja: Direktfinanzierung über eine öffentliche Bank, dann gibt es auch keine Ansteckungsgefahr, weil dann nicht mehr die Zocker über die Zinshöhe entscheiden. Zweitens: Auch bei einem Schuldenschnitt brauchen wir die Vermögensabgabe, denn viele Banken werden dann staatlich rekapitalisiert werden müssen. Allerdings müssten sie dann auch ins Eigentum der Steuerzahler übergehen.

Ihr Gesamtkonzept wäre eher mittel- bis langfristig zu realisieren. Griechenland braucht aber sofort frisches Geld und neue Kreditzusagen ...
Um den EFSF mit einer Banklizenz zu versehen, bräuchte es lediglich einen Beschluss der Euro-Länder. Gleiches gilt für eine europaweite Vermögensabgabe oder die Frage, das Casino zu schließen und Banken – auch zwangsweise – zu rekapitalisieren. Dies alles könnte man noch in diesem Jahr machen. Sofort aber müsste man diese drakonischen Sparprogramme stoppen, denn wir steuern ja auf eine akute Realwirtschaftskrise hin.