Sahra Wagenknecht

»Die Menschen zum Widerstand ermutigen«

Heute vor 15 Jahren wurden die EU-Verträge unterzeichnet. Vor allem die BRD hatte ihren Nutzen davon. Ein Gespräch mit Sahra Wagenknecht

07.02.2007

Interview: Ralf Wurzbacher - 07.02.2007
http://www.jungewelt.de/2007/02-07/046.php

Sahra Wagenknecht (Linkspartei.PDS) ist Abgeordnete im Europaparlament der Vereinten Europäischen Linken (GUE/NGL). Aus Anlaß des 15jährigen Bestehens des Maastricht-Vertrags lädt ihre Fraktion am Sonnabend, den 10. Februar, zur Konferenz »Armut und Reichtum in Europa« um 13 Uhr ins Europahaus, Unter den Linden 78, in Berlin ein. Programm im Internet: sahrawagenknecht.de

Heute vor 15 Jahren wurde die Europäische Union mit Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags gegründet. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Der Maastricht-Vertrag war ein Vertrag für das europäische Kapital. Der Binnenmarkt nützt vor allem großen Konzernen, sich neue Absatzgebiete in anderen EU-Ländern zu erschließen und ihre Wirtschaftsmacht durch eine beispiellose Fusionswelle auszubauen. Dabei können sie die stark differierenden Lohn-, Sozial- und Steuerstandards bestens zur Profitmaximierung nutzen und haben so einen europaweiten Dumpingwettlauf in Gang gesetzt. Seit Maastricht sind die Gewinne der europäischen Multis explodiert. Die Kehrseite sind zunehmende Armut und soziale Ausgrenzung in allen Mitgliedstaaten der EU.

Viele Verlierer also und wenige Gewinner?

Sieger sind die Bezieher von Gewinn- und Vermögenseinkommen, während die Lohnquote europaweit nach unten geht. Beide Entwicklungen – die der privaten Geldvermögen und die auf dem europäischen Arbeitsmarkt – wollen wir auf der Konferenz durchleuchten. Anpeitscher des europaweiten Sozialraubs sind auch die in Maastricht festgeschriebenen Konvergenzkriterien, die die EU-Mitgliedstaaten zur Reduzierung ihrer Neuverschuldung zwingen. Sie bieten den Herrschenden einen willkommenen Vorwand, rabiaten Kahlschlag mit dem »Druck aus Brüssel« zu begründen.

Immerhin scheint die Gefahr eines weiteren Krieges zwischen den europäischen Großmächten abgewendet. Wie friedlich ist das »vereinte« Europa?

Ein Krieg untereinander ist sicher sehr unwahrscheinlich. Ziel der EU ist es jedoch, mit den USA gleichzuziehen und ebenfalls in der Lage zu sein, weltweit Kriege um strategische und Rohstoffinteressen zu führen. Im Verfassungsvertrag verpflichtet sich Europa klar zur Aufrüstung. Bereits heute stehen europäische Soldaten in aller Welt – und die Zahl wächst. Die EU ist an Kriegen weiterhin beteilig, nur finden diese woanders statt.

Ist Deutschland im europäischen Staatenbund noch zu »Sonderwegen« fähig?

Der europäische Weg ist wesentlich von Deutschland mitbestimmt. Die Dominanz der großen Wirtschaftsmächte zeigt sich etwa bei der Frage der Konvergenzkriterien. Während die wiederholte Verletzung der Vorgaben im Falle Deutschlands und Frankreichs wie ein Kavaliersdelikt behandelt wurde, setzt man kleinere Staaten unter viel massiveren Druck. Deutsche Unternehmen gehören im übrigen auch zu den Hauptprofiteuren des Binnenmarktes. Vor allem sie sind expandiert und haben sich in die Wirtschaft der anderen Länder eingekauft –allen voran deutsche Energiekonzerne, Banken und Versicherungen.

Inwieweit ist Deutschland auch Antreiber in puncto Sozialabbau?

Der deutsche Niedriglohnsektor liegt mit einem Anteil von 22 Prozent inzwischen über dem europäischen Schnitt. Auch gibt es in keinem anderen Land ein so krasses Mißverhältnis zwischen Produktivitäts- und Lohnentwicklung. Oder nehmen wir die Steuerpolitik: Nach einer Analyse der EU-Kommission ist Deutschland schon heute ein Steueridyll für Kapitalbesitzer und Dividendenrentiers. Mit der von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) geplanten Unternehmenssteuerreform werden die deutschen Körperschaftssteuersätze deutlich unter denen der anderen großen EU-Länder liegen. Auch die Privatisierung des Energiesektors wurde nur in wenigen Staaten so durchgepeitscht wie in Deutschland.

Der Widerstand gegen das Europa der Konzerne hat zugenommen. Welchen Anteil daran hat die Linke im EU-Parlament?

Je größer der Druck außerhalb der Parlamente ist, desto mehr kann man in den Parlamenten bewegen. Es gibt Beispiele, wo das sehr gut funktioniert hat. Etwa beim europaweiten Kampf der Hafenarbeiter, der zum Versenken neoliberaler Regelungen führte. Bei der Bolkestein-Richtlinie ist es leider nicht gelungen, weil mit dem Einknicken der Sozialdemokraten auch ein Großteil der europäischen Gewerkschaften den Kampf aufgegeben hatte. Die wichtigste Aufgabe von linken Parlamentariern ist, Menschen zum Widerstand zu ermutigen.

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