Sahra Wagenknecht

Große Mehrheit braucht mehr Geld in der Brieftasche

Linksfraktion: Interview der Woche mit Sahra Wagenknecht und Michael Schlecht vom 16.11.2009

16.11.2009

Die wirtschaftspolitische Sprecherin und der Chef-Volkswirt der Fraktion DIE LINKE, Sahra Wagenknecht und Michael Schlecht, nehmen die milliardenschweren Staatshilfen für Banken und Konzerne in den zurückliegenden Monaten sowie den Weg von Union und FDP zu mehr Wachstum unter die Lupe und umreißen die Vorzüge eines öffentlichen Bankensektors.

Am vergangenen Montag ist der Dow-Jones-Index um über 200 Punkte auf den höchsten Stand seit 13 Monaten gesprungen. Augenscheinlich wird bereits wieder kräftig spekuliert. Wie ist das möglich?

Sahra Wagenknecht: Das viele billige Geld, das die Zentralbanken in den Markt pumpen, fließt eben nicht in Kredite an die Realwirtschaft, sondern überwiegend direkt auf die Finanzmärkte - in Wertpapierspekulation. Das treibt die Kurse von Aktien und Anleihen wieder nach oben. Selbst die Schrottpapiere, in denen die vielen faulen Kredite der Zeit vor 2008 verpackt wurden, werden schon wieder nachgefragt. So bläht sich über einer maroden krisengeschüttelten Wirtschaft eine neue gewaltige Finanzblase auf. Nicht nur in den USA, sondern global.

Der Präsident des Sparkassenverbandes Haasis warnt davor, dass US-amerikanische, aber auch bundesdeutsche Banken durch Staatshilfen noch größer und damit systemrelevanter geworden sind. Er fordert Regularien, mit denen große Banken besonders beaufsichtigt, mit höheren Eigenkapitalanforderungen belegt und notfalls auch abgewickelt werden können. Kann das funktionieren?

Sahra Wagenknecht: Tatsächlich hat der Finanzcrash die großen Banken noch größer und damit noch gefährlicher gemacht hat. Die Commerzbank hat – mit staatlicher Unterstützung! – die Dresdner Bank aufgekauft. Die Deutsche Bank hat die Postbank übernommen, jetzt noch Sal. Oppenheim. Auch die Deutsche Bank könnte von solchen Übernahmen nur träumen, wenn ihre Forderungen gegenüber der IKB und der HRE nicht vom Steuerzahler gesichert worden wären. Dass der Staat privaten Banken dabei hilft, weiter zu wachsen, ist ein Skandal. Denn Banken, die »too big to fail« sind, besitzen einen Blankoscheck für hochriskante Spekulationsgeschäfte. Sie können gar nicht mehr verlieren: Gehen ihre Spekulationen auf, können sie Boni und Dividenden verteilen. Geht was schief, muss wieder der Steuerzahler ran. Das ist eine Perversion aller gängigen Ideen von Markt und Wettbewerb und zeigt sehr deutlich, dass der private Bankensektor sich überlebt hat.

DIE LINKE fordert, den privaten Bankensektor in öffentliche Hand zu überführen. Was wäre dadurch erreicht?

Michael Schlecht: Dann könnten Vertreter des Staates gemeinsam mit denen der Beschäftigten bzw. der Gewerkschaften im Aufsichtsrat der Geschäftsführung verbindliche Vorgaben machen: Schluss mit der Zockerei im Casino, Vergabe von Krediten zu fairen Bedingungen an Betriebe. So kann nachhaltig gesichert werden, dass Betriebe und Arbeitsplätze nicht durch die immer enger werdende Kreditklemme vernichtet werden. Außerdem muss Schluss sein mit astronomischen Überziehungszinsen.

Mit der Vergabe von Krediten scheinen die Banken nicht genug oder gar kein Geld mehr zu verdienen. Oder warum wird es immer schwieriger, heute einen Kredit zu fairen Bedingungen zu bekommen?

Michael Schlecht: Das sogenannte Investmentbanking, also die Zockerei unter anderem am Aktienmarkt, ist viel profitabler. Renditen von 25 und mehr Prozent sind nur so zu erzielen. Außerdem ist in vielen Banken das Eigenkapital eingedampft weil man sich in der Vergangenheit verzockt hat. Eigenkapital benötigen die Banken aber für die Kreditvergabe. Sie könnten sich mit Mitteln aus der staatlichen Bankenrettung zusätzliches beschaffen. Dies scheuen die Banker, da sie dann Höchstgrenzen beim Gehalt und Verzicht auf Boni-Zahlungen hinnehmen müssen.

Könnte der Staat nicht auch in irgendeiner Form Druck auf private Banken ausüben?

Michael Schlecht: Klar, das Mindeste wäre, dass alle Liberalisierungen der letzten zehn Jahre wieder zurückgenommen werden, und dass zusätzliche Regulierungen Gesetz werden. Aber trotzdem besteht die Gefahr, dass die Bank-Chefs immer wieder Schlupflöcher finden und Geschäfte machen, die nicht dem Gemeinwohl dienen. Das Entscheidende ist: Solange Banken und Versicherungen privat sind, werden sie mit ihrer Macht, mit ihrem Geld immer wieder Möglichkeiten finden, Politik unter Druck zu setzen. Union und FDP haben aus die Finanzwirtschaft Millionen von Spenden erhalten.

Wofür waren denn nun aber die Hunderten von Milliarden an Staatshilfen, die Regierungen in den zurückliegenden Monaten weltweit in Banken und Konzerne gepumpt haben?

Sahra Wagenknecht: Das Problem ist, dass dieses Geld den Banken und Unternehmen gegeben wurde, ohne dass der Staat sich auch nur ein Mindestmaß an Einfluss und Mitsprache gesichert hat. Die Commerzbank etwa hat 18,2 Milliarden Euro Eigenkapitalhilfe erhalten. Damit müsste das Institut eigentlich komplett dem Staat gehören. Der aber begnügt sich mit 25 Prozent der Anteile. Und selbst die nutzt er nicht, um die Bank zu einem vernünftigen Geschäftsmodell zu zwingen. Selbst Beihilfe zur Steuerhinterziehung wird von dieser Bank weiterhin geleistet. Auch General Motors hat den 1,5 Milliarden-Überbrückungskredit für Opel ohne Gegenleistung erhalten. Nur deshalb konnten sie die Bundesregierung so vorführen. Letztlich hat das viele Geld, das in Banken und Konzernen versenkt wurde, nur dabei geholfen, dass einige wieder satte Gewinne machen und Manager wie Aktionäre vielfach schon wieder prächtig verdienen. Die Wirtschaft insgesamt dagegen liegt unverändert am Boden. In den USA ist die Arbeitslosigkeit in die Höhe geschossen. In Deutschland droht das im nächsten Jahr.

Union und FDP setzen voll auf Wachstum. Wird diese Rechnung aufgehen?

Michael Schlecht: Auf Wachstum zu setzen ist nicht verkehrt. Es kommt aber darauf an, wie man das macht und was wachsen soll. Mit Steuergeschenken an Reiche wird jedenfalls kein nennenswertes Wachstum erzeugt. DIE LINKE will 100 Milliarden Euro mehr ausgeben für eine bessere Erziehung, Bildung und soziale Dienste. Außerdem soll massiv in eine bessere Infrastruktur und den ökologischen Umbau investiert werden. So können zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit Millionärssteuer und weiteren Steuererhöhungen für Reiche und Vermögende kann man das auch finanzieren - ohne neue Schulden.

Können Regierungsparteien, die in dem Umfang wie Union und FDP Spenden aus der Wirtschaft erhalten, überhaupt eine andere Politik machen?

Sahra Wagenknecht: Dass wir es mit gekauften Parteien zu tun haben, ist ein ernsthaftes Problem. Deshalb fordert DIE LINKE, dass Spenden der Wirtschaft an Parteien generell verboten werden. Nicht akzeptabel ist aber auch die personelle Verflechtung. Sehr viele Parlamentarier sitzen gleichzeitig in Aufsichtsräten oder anderen privatwirtschaftlichen Gremien. Das eigentliche Problem liegt aber noch tiefer: Der entfesselte globalisierte Kapitalismus hat Politik erpressbar gemacht. Banken, Konzerne oder auch sehr reiche Vermögensbesitzer haben so viel ökonomische Macht, dass sie der Gesellschaft ihre Interessen aufzwingen können. Deshalb bestimmt das Ziel maximaler Profite seit Jahren die Politik. Um das zu verändern, brauchen wir eine Kontrolle des internationalen Kapitalverkehrs und andere Eigentumsformen in den Kernbereichen der Wirtschaft.

Was setzt DIE LINKE dem schwarz-gelben Regierungsprogramm entgegen?

Sahra Wagenknecht: Mit dem schwarz-gelben Regierungsprogramm wird die Krise nicht überwunden, denn es setzt genau jene Politik fort, die sie verursacht hat. Es hat keinen Sinn, auf neue Exporterfolge zu warten und die Reichen noch stärker zu entlasten. Das ist nicht nur sozial verantwortungslos, sondern auch wirtschaftspolitischer Irrsinn. Wir brauchen Nachfrage hier im Land. Dafür muss die große Mehrheit der Menschen wieder mehr Geld in der Brieftasche haben. Das bedeutet: Alle Gesetze, die Lohndumping befördert und Sozialraub festgeschrieben haben, gehören abgeschafft. Von der Liberalisierung der Leiharbeit bis zu Hartz IV. Wir brauchen eine radikale Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten. Dafür fordern wir auch die Einführung einer Millionärssteuer und höhere Erbschaftssteuern.

Bisher war DIE LINKE zumindest in der parlamentarischen Opposition Mutterseelen allein. Wird sich das auf absehbare Zeit ändern?

Michael Schlecht: Es wäre ja schön, wenn SPD und Grüne mit am gleichen Strang ziehen. Aber bei der SPD gibt es auch nach dem Parteitag keine Korrektur bei Rente mit 67, Hartz IV oder Afghanistan. Einzig die Vermögensteuer soll ab Sommer 2010 gefordert werden. Ob sie auch nur annähernd unserer Forderung nach der Millionärssteuer nahekommt, ist sehr zu bezweifeln.

linksfraktion.de, 16. November 2009