Sahra Wagenknecht

„Muss es denn gleich Sozialismus sein, Frau Wagenknecht?"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der Februar-Ausgabe des Magazins "Euro"

20.01.2009
Fragen: Mario Müller-Dofel

Die Kommunistin | Warum Sahra Wagenknecht, Deutschlands bekannteste linke Politikerin, alle Banken verstaatlichen würde, Deutschbanker Josef Ackermann Moral abspricht und selbst noch nicht regieren will

€uro: Frau Wagenknecht, mit wem würden Sie lieber über Wirtschaftspolitik streiten: mit Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder mit Bundesfinanzminister Steinbrück?
Sahra Wagenknecht:
Natürlich mit Herrn Ackermann.

€uro: Warum?
Wagenknecht:
Weil das spannender wäre, als mit seinem Handlanger zu reden.

€uro: Wie bitte?
Wagenknecht:
Deutschland wird doch viel stärker von Konzernchefs wie Herrn Ackermann regiert als von Politikern. Das ist traurig, aber wahr. Ich hätte natürlich nicht die Illusion, ihn von meinen Ansichten überzeugen zu können. Gäbe er mir Recht, würde er die nächste Sitzung seines Aufsichtsrats beruflich wohl nicht überleben.

€uro: Allerdings organisiert Finanzminister Steinbrück die Bankenrettung in Deutschland. Er wettert auch lauthals gegen gierige Banker. Das klingt so gar nicht nach Handlanger. Wagenknecht: Klappern gehört zum Geschäft. Dieser Bankenrettungsplan, mit dem Milliarden Euro Steuergeld verpulvert werden, ist doch mit den Verantwortlichen der Finanzkrise, allen voran Herrn Ackermann, abgestimmt und nach deren Wünschen gestrickt worden.

€uro: Übertreiben Sie nicht ein bisschen? Wagenknecht: Ganz und gar nicht. Die Banken bekommen Steuermilliarden, ohne dass die Allgemeinheit dafür Gegenleistungen erhält. Die Kreditversorgung der Wirtschaft ist so unsicher wie zuvor. Welch ein Armutszeugnis für die Bundesregierung! Außerdem laufen wir Gefahr, dass sich das aktuelle Desaster in einigen Jahren wiederholt. Das sagen sogar liberale Ökonomen.

€uro: Ackermann hat eine staatliche Einmischung in die Wirtschaft stets abgelehnt – bis zum März 2008. Damals bezweifelte er erstmals öffentlich, dass die Märkte die Finanzkrise aus eigener Kraft bewältigen würden. Wie interpretieren Sie diese Wendung? Wagenknecht: Er argumentiert wie andere Konzernchefs im Interesse seiner Aktionäre. Solange die Deutsche und andere Banken von den entfesselten Märkten profitierten, hat Ackermann den Staat geschmäht. Als das Finanzsystem einstürzte, und der freie Markt die Renditen und Vermögenswerte zu vernichten drohte, rief Ackermann nach dem Staat. Das ist aus Sicht des Shareholder Value konsequent, aber nicht im Interesse der Bevölkerungsmehrheit.

€uro: Beim Rufen nach Staatshilfen ist er allerdings längst nicht mehr der Einzige. Wagenknecht: Weil andere ähnliche Probleme haben. Allerdings steht die Deutsche Bank noch mehr als andere für die Abwendung von Mittelstandsfinanzierung und Privatkundengeschäft und für die Fokussierung auf das Investmentbanking und den Handel mit Derivaten. Die Deutsche Bank ist so auch für andere Zusammenbrüche mitverantwortlich. Die IKB etwa ist an einem Schrottpapier-Portfolio erstickt, das ihr zu großen Teilen von der Deutschen Bank angedreht worden war.

€uro: Sie fordern eine Verstaatlichung des gesamten deutschen Bankensystems. Aber es waren doch vor allem Institute in öffentlicher Hand wie die IKB, die Bayern LB und die Sachsen LB, die Milliarden an Volksvermögen verzockt haben. Wie können Sie denn da noch glauben, dass der Staat der bessere Banker ist?
Wagenknecht:
Privatbanken wie die Hypo Real Estate und die Commerzbank greifen sich mindestens so dicke Brocken am staatlichen Rettungsfonds wie die öffentlichen. Auch die IKB hatte mehrheitlich private Eigentümer. Richtig ist: öffentliches Eigentum ist noch kein Garant für ein verantwortungsvolles Wirtschaften. Entscheidend ist, wie die Geschäfte reguliert und kontrolliert werden.

€uro: Die Regulierung ist Sache der Politik. Und die Kontrollgremien der Landesbanken waren und sind voll mit Politikern. Wagenknecht: Das Dilemma begann, als die europäische Kommission vor wenigen Jahren den Wegfall der Staatshaftung für die Landesbanken erzwungen hat. Seither werden sie bedingungslos auf Rendite getrimmt, weil sie sich unter gleichen Bedingungen Kapital beschaffen müssen wie die privaten. Um die Rendite hochzutreiben, setzten sie auf hochspekulative Finanzinstrumente. Damit haben sie den volkswirtschaftlichen Irrsinn der privaten Banken kopiert.

€uro: Was schlagen Sie vor? Wagenknecht: Wir brauchen keinen privaten, sondern einen öffentlichen Finanzsektor, der per Gesetz auf regionale Wirtschaftsförderung, Mittelstandsfinanzierung und einen strikten Gemeinwohlauftrag festgelegt wird. Die Sparkassen sind ein guter Anfang. Deutschland kann froh sein, noch einen öffentlichen Bankensektor zu haben. In England und Italien wurden die Sparkassen weitgehend privatisiert - mit fatalen Folgen.

€uro: Die Commerzbank wurde Anfang Januar teilverstaatlicht. Ist die Bundesregierung damit auf dem richtigen Weg? Wagenknecht: Bei der Commerzbank wurden über 18 Milliarden Euro Steuergeld in ein Institut gepumpt, das am Markt gerade noch mit etwas über 3 Milliarden bewertet wird. Mit diesem gigantischen Einsatz hat der Staat lächerliche 25 Prozent an der Bank erworben. Das ist eine gnadenlose Verschleuderung von Steuergeld, mit dem letztlich keine Bankenrettung, sondern eine Bankenfusion mit der Dresdner Bank, die tausende Arbeitsplätze kostet, bezahlt wird.

€uro: Sie wollen eine Wirtschaftsordnung, in der „Menschen wichtiger sind als Renditen". Klingt gut. Aber wie soll das funktionieren? Wagenknecht: Deutschland hatte seit 2004 einen Konjunkturaufschwung, in dem die Konzernprofite explodiert, aber die Reallöhne gefallen sind. Das zu ändern, ist eine Frage der Eigentumsverhältnisse und der Anreize. Heute werden Manager auf kurzfristige Profitsteigerungen orientiert, weshalb sie kaum Interesse daran haben, Arbeitsplätze zu schaffen. Für sie sind Aktienrückkäufe viel attraktiver als langfristige Realinvestitionen. Öffentliches Eigentum in Kernbereichen der Wirtschaft könnte neue Anreize und starke Mitspracherechte der Belegschaften bringen.

€uro: Brauchen wir nicht eher eine neue Moral, wie sie viele Politiker fordern? Warum muss es bei Ihnen gleich Sozialismus sein? Wagenknecht: Würde Ackermann plötzlich die Moral entdecken, wäre er morgen seinen Job los. Solange Finanzinvestoren die Macht in Unternehmen haben, bleibt der Druck nach schnellen Renditen hoch. Wohin das führt, sehen Sie in den USA. Dort mästen Firmenchefs ihre Aktionäre seit Jahrzehnten, indem sie die Ausschüttungen erhöhen, statt in neue Technologien und Arbeitsplätze zu investieren. Ein Resultat davon ist, dass die US-Autobauer nun gegen die Wand fahren. Der entfesselte Kapitalismus, zu dem sich auch Europa hinentwickelt, ist sozial verheerend und produktionsfeindlich.

€uro: Gibt es Ihrer Ansicht nach eine angemessene Rendite? Ackermann hat seiner Bank ein Ziel von 25 Prozent gesetzt. Wagenknecht: Die Zahl ist Irrsinn und ließ sich nur durch Spekulation realisieren. Firmen müssen genug Gewinn machen, um nachhaltig investieren zu können und nicht subventioniert werden zu müssen. Das sollte genügen. Ich finde es absurd, wenn etwa die Industriellenfamilie Quandt allein aus ihrem Anteil am Autobauer BMW jährlich über 300 Millionen Euro Dividende einstreicht. Da häuft sich das Geld bei Leuten, die ohnehin schon viel zu viel davon haben. Zugleich werden Arbeitsplätze vernichtet und Löhne gedrückt.

€uro: Ist nicht jeder seines Glückes eigener Schmied?
Wagenknecht:
Diesen Spruch finde ich zynisch. Wer in eine arme Familie geboren wird, hat ein viel höheres Risiko, später auch arm zu sein, als jemand aus wohlhabenden Verhältnissen. Das fängt schon bei der Bildung an. Es ist doch unbestritten, dass im deutschen Bildungssystem eine starke soziale Auslese stattfindet. Schon in der Schule. Und ohne Papas Scheck erfolgreich zu studieren, wird im Zeitalter von Studiengebühren und Privatunis auch immer schwieriger.

€uro: Unternehmer wie die Quandts investieren auch. Wagenknecht: Gerade BMW hat in den letzten Jahren die Dividende massiv erhöht und Aktien zurückgekauft. Das überschüssige Geld fließt auf die Finanzmärkte, wo es sich möglichst schnell vermehren soll. Hier liegt die Wurzel von Finanzblasen und -krisen.

€uro: Der Sportwagenbauer Porsche beteiligt seine Beschäftigten mehr als die meisten anderen Firmen am Gewinn. Ist ausgerechnet das kapitalistische Statussymbol Porsche ein Beispiel für mehr soziale Gerechtigkeit? Wagenknecht: Auch dieser Konzern hat Leiharbeiter eingesetzt, die jetzt wieder rausfliegen. Ich glaube auch nicht, dass Gewinnbeteiligungen die Lösung sind, solange die Belegschaft kaum mitbestimmen kann. Die Porsche-Mitarbeiter sind genau so erpressbar wie andere, wenn Wiedeking droht, Firmenteile ins Ausland zu verlegen.

€uro: Sie meinen, Konzernchefs hätten mehr Einfluss auf die deutsche Wirtschaftspolitik als der Bundestag. Wie kommen Sie darauf? Wagenknecht: Im Europäischen Parlament erlebe ich täglich, wie massiv Wirtschaftslobbyisten in die Parlamentsarbeit eingreifen. Im Wirtschaftsausschuss, wo ich arbeite, sind die hinteren Reihen voll mit diesen Leuten. Und die Entscheidungen in der deutschen Politik zeugen davon, dass es dort ähnlich läuft. Die Agenda 2010 von Ex-Kanzler Schröder zum Beispiel war eins zu eins von den Positionen der Industrieverbände BDI und BDA abgekupfert.

€uro: Haben Sie schon einmal das Gespräch mit DAX-Vorständen gesucht? Wagenknecht: Nein.

€uro: Und warum nicht? Wagenknecht: Ich bezweifle, dass das viel bringt. Wir brauchen Gesetze, die Eigentum so gestalten, dass es dem Gemeinwohlauftrag des Grundgesetzes dient, statt nur dem Wohl der Aktionäre. Das erreiche ich nicht durch eine Missionierung der Manager, deren Job gerade darin besteht, es ihren Aktionären recht zu machen. Dass sich Politiker ebenso nur an den Interessen der oberen Zehntausend orientieren, ist der wirkliche Skandal.

€uro: Sie meinen, es hätte für Sie keinen Wert, mit der Großindustrie zu sprechen? Oder würde die erst gar nicht mit einer Linken wie Ihnen reden?
Wagenknecht:
Vermutlich würde Herr Ackermann tatsächlich erst mit der Linken reden, wenn er befürchtet, dass wir den Bundeskanzler stellen. Aber das ist nicht unser Problem. Wir setzen nicht auf Kungelei mit den Mächtigen, sondern wir wollen dazu beitragen, dass in diesem Lande Druck von unten entsteht, der stark genug ist, die Politik zu verändern.

€uro: Wie, glauben Sie, ticken Menschen die DAX-Konzerne führen?
Sahra Wagenknecht:
Heutzutage ist das wohl kaum eine Auslese von Leuten mit sozialem Gewissen. Die wissen ja, dass sie ihre Millionengehälter auch dafür kassieren, dass sie Arbeitsplätze und soziale Existenzen zerstören. Dabei muss man erst mal gut schlafen können.

€uro: Hätten manche Konzerne in der Vergangenheit keine Stellen gestrichen, wären Sie heute womöglich schon pleite. Wagenknecht: Quatsch. Wenn sie heute pleitegefährdet sind, wie manches Finanzinstitut, dann nicht, weil sie in den vergangenen Jahren zu wenige Leute rausgeschmissen hätten, sondern weil sie sich verspekuliert haben. Bei den Autokonzernen gingen die Entlassungswellen der vergangenen Jahre eiskalt mit Dividendenerhöhungen einher. Die hatten keine finanzielle Not, sondern wollten die Kosten drücken, um die Aktienkurse hoch zu treiben.

€uro: Wie müsste ein Konjunkturprogramm aussehen, dem Sie zustimmen? Wagenknecht: Die Linke will ein Programm, das vor allem sozial Schwächeren und Geringverdienern zugute kommt. Wenn man allen Hartz-IV-Empfängern 100 Euro mehr im Monat gäbe, wäre das ein starker Kaufkraftschub, weil die sich sofort ein etwas besseres Leben leisten könnten. Das würde gerade mal sieben Milliarden Euro kosten – weniger als die Commerzbank aus dem Rettungsfonds kassiert. Wir wollen Geringverdiener steuerlich entlasten und zugleich die Profiteure der Finanzmarktparty für den entstandenen Schaden haftbar machen.

€uro: Wen haben Sie da im Visier? Wagenknecht: Beispielsweise sollten alle Privatvermögen über einer Million Euro mit einer Millionärssteuer von zehn Prozent belastet werden. Das würde jährlich 200 Milliarden bringen. Damit ließe sich ein richtiges Konjunkturpaket schnüren, ohne neue Schulden zu machen, für die sonst doch wieder der kleine Mann bezahlen muss.

€uro: Wie denn? Sie sagten vorhin, der Bevölkerungsmehrheit gehe es immer schlechter. Wagenknecht: Vermutlich wird die Regierung irgendwann wieder die Einkommenssteuer und vielleicht auch die Mehrwertsteuer erhöhen wollen. Wenn wir eine starke politische Linke haben und Proteste, dann hätten wir Chancen auf eine Millionärssteuer und auf höhere Unternehmenssteuern. Auch der Spitzensteuersatz sollte progressiv steigen. Es kann doch nicht sein, dass der bessere Facharbeiter fast im selben Steuersatz ist wie ein Einkommensmillionär.

€uro: Und wenn sich die Reichen mit ihrem Vermögen ins Ausland verzögen ... Wagenknecht: ... kann man die Millionärssteuer um eine Wegzugsteuer ergänzen.

€uro: Die Bundesregierung wird von anderen Ländern kritisiert, weil sie sich vergleichsweise viel Zeit mit ihrem Konjunkturprogramm lässt. Warum dauert es damit bei uns länger als anderswo? Wagenknecht: Vor allem, weil die Großindustrie wenig Druck macht. In Deutschland wird seit Jahren hauptsächlich auf die Exportindustrie gesetzt. Und der ist die deutsche Binnenkonjunktur relativ egal. DAX-Konzerne etwa, die das Gros ihrer Gewinne im Ausland machen, profitieren eher, wenn die USA, Frankreich und China Konjunkturprogramme auflegen. Und die machen das ja brav. Der Berliner Sparsenator Sarazzin hat sich kürzlich sinngemäß so ausgedrückt: Warum sollen wir die Hartz-IV-Sätze erhöhen? Dann kaufen sich die Leute womöglich Flachbildschirme aus Südostasien. Das ist unfassbar dreist.

€uro: Sie möchten, dass die Linkspartei in der Opposition bleibt, statt Regierungspartei werden zu wollen. Könnten Sie an den Hebeln der Macht nicht mehr erreichen? Wagenknecht: Sobald wir 51 Prozent der Wählerstimmen oder Partner mit ähnlichen Zielen im Parlament haben, bin ich natürlich fürs Regieren. Aber nicht als kleiner Koalitionspartner einer neoliberalen Partei wie der SPD. Das Grundproblem ist, dass heute im Bundestag außer der Linken nur noch eine Einheitspartei neoliberaler Prägung sitzt. Die Unterschiede zwischen CDU und SPD sind ja leider marginal geworden.

€uro: Aber auf den Länderebenen verbünden sich die Linken mit der SPD doch fleißig. Wagenknecht: Wir dürfen uns nicht für eine Politik vereinnahmen lassen, die wir nicht tragen können. Das haben wir partiell im Berliner Senat getan und das darf auf Bundesebene nicht wiederholt werden. Wir sollten uns außerdem nicht einreden lassen, dass man in der Opposition nichts bewegen kann. Seit ihrer Gründung hat die Linke nicht wenig bewegt. Inzwischen schreibt sogar die CSU unsere Forderungen ab. Ohne uns gäbe es die meisten Debatten gar nicht.

€uro: Glauben Sie, dass die Linkspartei bald die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen kann? Wagenknecht: Gesellschaftliche Veränderungen kündigen sich selten durch einen einsamen Wahlerfolg an, sondern zunächst über mehr außerparlamentarische Aktionen. Ich hoffe, dass wir auch in Deutschland politische Streiks bekommen, weil sich die Menschen nicht mehr alles gefallen lassen. Im Zuge solcher Gegenbewegungen können linke Kräfte so stark werden, dass sie die Politik entscheidend prägen.

€uro: Angenommen, Sie würden eines Tages die politische Macht in Deutschland erlangen. Brächten Sie uns dann die DDR zurück? Wagenknecht: So ein Unfug. Die Linke will eine Wirtschaft mit starkem öffentlichen Sektor und mehr staatlichem Eigentum bei Großunternehmen. Das heißt nicht zentrale Planwirtschaft! Die Leute wollen nicht die DDR zurück. Die ist 1989 gescheitert.

€uro: Voriges Jahr präsentierte Ihr Parteichef Oskar Lafontaine den Fraktionsgenossen im Bundestag eine interne Studie, nach der Ihrer Partei sogar von den eigenen Wählern wenig Wirtschaftskompetenz zugetraut wird. Und bei einer Forsa-Umfrage Mitte Dezember fiel die Linkspartei von zwölf auf elf Prozent der Wählerstimmen – den tiefsten Stand 2008. Trauen Ihnen die Menschen nicht zu, die aktuelle Wirtschaftskrise zu bewältigen? Wagenknecht: Schwankungen um ein, zwei Prozent bei Umfragen sollte man nicht überbewerten. Wir müssen uns aber fragen, warum uns immer noch viel weniger Wähler ihre Stimme geben, als nach Umfragen mit unseren Forderungen sympathisieren. Denn danach gibt es zu Positionen, wie sie allein die Linke vertritt – etwa gegen Privatisierungen, gegen die Rente mit 67 oder für einen Abzug aus Afghanistan – längst Zustimmungsraten weit jenseits der 50 Prozent.

€uro: Warum dann nur elf Prozent? Wagenknecht: Das hat sicher auch mit falschen Vorstellungen von unseren Zielen zu tun. Andererseits ist es normal, dass die Wähler am Anfang einer Krise erst einmal abwarten, was die Regierung macht. Aber ich bin überzeugt, dass die Krise immer mehr Menschen überzeugen wird, dass es ein ‚Weiter so' neoliberaler Politik nicht geben darf. Dass wir Alternativen zum Kapitalismus brauchen. Und nur die Linke steht für eine sozialistische Alternative.

€uro: Gibt es eigentlich etwas, was Ihnen am Kapitalismus gefällt? Wagenknecht: Kapitalismus heißt für mich, dass die gesamte Wirtschaft am Profit ausgerichtet wird. Daran sehe ich nichts Positives.

€uro: Frau Wagenknecht, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte €uro-Redakteur mario.mueller-dofel@finanzen.net.

Sahra Wagenknecht, geboren am 16. Juli 1969 in Jena, trat kurz vor dem Mauerfall der SED bei, aus der die PDS und später die Linkspartei hervorgingen. 1990 bis 1996 studierte sie Philosophie sowie Deutsche Literatur und schloss mit einer Arbeit über Hegel und Marx ab. Seit 1991 gehört sie zur Leitung der „Kommunistischen Plattform" der Linkspartei. Seit 2004 arbeitet Wagenknecht, die auch Vorstandsmitglied der Linken ist, im Europaparlament. 2009 will die 39-Jährige für den Bundestag kandidieren und ihre Promotion in Volkswirtschaft an der Uni Potsdam abschließen. Kürzlich erschien ihr Buch „Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft".