Sahra Wagenknecht

Das nächste Fressen

Artikel von Sahra Wagenknecht zur Finanzkrise, erschienen in der Tageszeitung "junge Welt" am 06.10.08

06.10.2008

Der öffentlich-rechtliche Bankensektor gerät zusehends ins Visier der großen Geldinstitute. Angesichts der aktuellen Finanzkrise streben sie eine Ausdehnung ins Privatkundengeschäft an

»Privat vor Staat« hat sich jenseits des Atlantik erst einmal erledigt. Wo nur noch Verluste zu verteilen sind, ist die öffentliche Hand schon immer gern gesehen, und so erleben wir mit der Übernahme der Hypothekengiganten Fannie Mae und Freddie Mac sowie des Versicherungsriesen AIG im Musterland des ungezügelten Kapitalismus eine Verstaatlichungswelle, die zaghafte Forderungen nach mehr öffentlicher Kontrolle im Finanzsektor, wie sie die Linke in Europa seit Jahren vorgetragen hat, weit in den Schatten stellt.

Sich in den rettenden Hafen von Staatsgarantien und Steuergeldern einzuschiffen, hat aber nicht nur in den Vereinigten Staaten Konjunktur. Bekanntestes Beispiel in Europa ist der britische Baufinanzierer Northern Rock, der bereits im letzten Jahr nach einem Ansturm verängstigter Kunden nur noch durch Verstaatlichung vor dem Bankrott bewahrt werden konnte. Erst in der letzten Woche folgten die Verstaatlichung der britischen Hypothekenbank Bradford&Bingley sowie der belgischen Großbank Fortis.

Der arglose Beobachter könnte meinen, daß angesichts dieses, im Wortsinn, notgedrungenen Trends zu mehr Staatseigentum im Finanzbereich zumindest ein Thema, das in Deutschland seit Jahren als stiller Dauerbrenner vor sich hin flackert, vom Tisch sein sollte: die Privatisierung von Sparkassen und Landesbanken. Aber weit gefehlt. Aus dem jahrelangen Schwelbrand, der die Fundamente der öffentlich-rechtlichen Säule des bundesdeutschen Finanzsystems bereits erheblich angenagt hat, droht gerade jetzt ein Großfeuer zu werden, das sie endgültig zum Einsturz bringen könnte.

Rürup zündelt mit

Eine prominente Rolle beim Zündeln und Brandstiften in dieser Frage spielt der bereits als Rentenprivatisierer sowie durch andere renditefördernde Schandtaten bekannte Ökonomieprofessor Bert Rürup, seines Zeichens Vorsitzender des sogenannten Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Gremium hatte bereits im Juni seinem Ruf als rühriger Wirtschaftslobbyist erneut alle Ehre gemacht und mit einem als Gutachten firmierenden Werbeprospekt für die Effizienz eines rein privatwirtschaftlich organisierten Finanzsystems der Privatisierungsdebatte neuen Anschub gegeben. Tatsächlich liest sich das 185 Seiten starke Pamphlet unter dem schönen Titel »Das deutsche Finanzsystem: Effizienz steigern – Stabilität erhöhen«, das am 17. Juni Bundeskanzlerin Merkel übergeben wurde, als hätte es der Bundesverband deutscher Banken (BdB), der die Ackermänner und Co. vertritt, höchstselbst verfaßt.

Hatte selbiger Bundesverband beispielsweise immer wieder öffentlich beklagt, daß das starke Gewicht des öffentlich-rechtlichen Bankensektors eine »optimale Marktstruktur« im deutschen Finanzsystem verhindere und dadurch im Einlagen- und Kreditgeschäft »Möglichkeiten einer dauerhaften Stabilisierung der Ertragssituation eher begrenzt« seien, repetieren Rürups Mannen eilfertig das Lamento vom allzu zersplitterten und daher »ertrags- und wachstumsschwachen« deutschen Bankensystem. Hatte der Bundesverband der Banken undiplomatisch gepoltert: »Eine öffentlich-rechtliche Trägerschaft von Kredit­instituten ist in einem modernen Bankensystem einfach nicht mehr zeitgemäß«, plädiert Rürup für eine »begrenzte Öffnung und Auflockerung der öffentlich-rechtlichen Säule«, was – ohne ein Gefühl von Peinlichkeit – sogar als Schlußfolgerung aus der aktuellen Finanzmarktkrise präsentiert wird. Frei nach dem Motto: Wenn dein Haus eh zusammenfällt, hacke möglichst noch die letzte intakte Säule weg, dann geht es wenigstens schneller.

Konkret empfiehlt das Rürup-Team eine Privatisierung sämtlicher Landesbanken, bei denen die öffentlichen Anteile auf unter 25 Prozent reduziert werden sollen, sowie die Umwandlung der Sparkassen in Aktiengesellschaften, die in den Besitz kommunaler Stiftungen übertragen werden. Ihre Aktien sollen dann zunächst zu 49,9 Prozent an Privatinvestoren verkauft werden.

Insbesondere die Geschäftsmodelle der Landesbanken seien »wenig tragfähig« und von »geringer Rentabilität«. Sie seien zum »zentralen Schwachpunkt des deutschen Finanzsystems« geworden. Entscheidend sei, heißt es, »daß ein Prozeß in Gang kommt, an dessen Ende die Geschäftspolitik dieser Institute dem politischen Einfluß entzogen ist und eine weitere Konsolidierung des Bankensystems über Marktkräfte ermöglicht wird«.

Kriegsziel offen benannt

»Konsolidierung« ist das Zauberwort, das die deutsche Privatbankenlobby seit Jahren im Munde führt, und das man getrost mit »Konzentration« übersetzen kann. Tatsächlich ist das aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken gebildete Drei-Säulen-Modell in Deutschland den Großbanken schon lange ein Dorn im Auge. Denn aufgrund dieser Struktur ist der deutsche Bankensektor im europäischen Vergleich relativ wettbewerbsintensiv. Während in den meisten EU-Staaten die zehn größten Finanzkonzerne über 50 Prozent des Marktes beherrschen, liegt deren Anteil hierzulande bei lediglich 42 Prozent. Im deutschen Privatkundengeschäft kommen die vielen kleinen Sparkassen, gemeinsam mit den Genossenschaftsbanken, sogar auf einen Marktanteil von 70 bis 75 Prozent. Und da diese Institute sich mit Eigenkapitalrenditen zwischen acht und zwölf Prozent begnügen statt, wie die Deutsche Bank, 25 Prozent oder mehr anzustreben, verderben sie den Großbanken die Margen und die Konditionen. Ihr öffentlich-rechtlicher Status wiederum schützt sie vor Übernahmen und steht damit einer Konzentration im deutschen Bankenmarkt im Weg.

Daß die deutschen Banken »im Geschäft mit Privatkunden unter der Konkurrenz der Sparkassen leiden und daher nicht annähernd an die Ergebnisse ihrer ausländischen Konkurrenz herankommen«1, bejammert seit Jahren auch das Handelsblatt. Bereits 2003 wurde dort das Kriegsziel abgesteckt: »Erst wenn der Staat sich aus dem Bankgeschäft zurückzieht, die vollständige Privatisierung des von den öffentlichen Händen kontrollierten Sparkassensektors zuläßt, (…) erst dann wird die Kreditwirtschaft als Ganzes die Chance haben, wieder auf den Pfad der Solidität zurückzukehren.«2

Daß die private Bankenlobby ausgerechnet jetzt erneut zum Angriff bläst, hat mit der aktuellen Finanzmarktkrise zu tun. Solange die Gewinne im Investmentbanking ihre Kassen fluteten, war für sie das mühsame und im allgemeinen weniger einträgliche Geschäft mit Spareinlagen und Kleinkrediten vergleichsweise zweitrangig. Die Deutsche Bank etwa setzte erklärtermaßen darauf, sich mehr und mehr in eine Investmentbank nach dem Vorbild der US-amerikanischen Brokerhäuser zu verwandeln. Das spekulative Herumspielen in Wertpapieren, Aktien, Devisen und Derivaten sowie die Beratung und Betreuung großer Unternehmensübernahmen versprach ungleich höhere Renditen als etwa die Vergabe von Mittelstandskrediten oder das Massengeschäft mit Spargeldern. Anstelle von Darlehen verkaufte die Deutsche Bank ihren Kunden ohnehin lieber obskure Derivate, beispielsweise sogenannte CMS Spread Ladder Swaps, die gegen Zinssteigerungen absichern sollten und nicht wenige Mittelständler und Kommunen später fast in den Bankrott getrieben haben. Außerordentlich aktiv war die Deutsche Bank auch im Handel mit diversen Schrottpapieren. Das Portfolio, an dem die IKB später erstickt ist, hatte sie zu einem großen Teil direkt aus dem Hause Ackermann erworben. Für die Deutsche Bank lohnte das Geschäft. Mit der Kreation und dem Weiterverkauf solcher Produkte wurde kein Eigenkapital gebunden, die Provisionserträge waren stattlich, und keine Sparkasse kam dem deutschen Branchenprimus auf diesem Marktplatz in die Quere. Im »besten Quartal der Unternehmensgeschichte«, wie Ackermann seinerzeit stolz hervorhob, nämlich im ersten Quartal des Jahres 2007, erreichte die Deutsche Bank eine Eigenkapitalrendite von unglaublichen 41 Prozent, die sie fast ausschließlich ihren smarten Investmentbankern zu verdanken hatte. Von diesem hohen Roß aus konnte man die Niederungen des deutschen Privatkundengeschäfts relativ leidenschaftslos links liegen lassen.

Folgen der Investmentkrise

Heute ist die Investmentbanking-Party vorbei, und es sieht nicht danach aus, daß sie bald wieder anfangen könnte. Es hat sich vielmehr herausgestellt, daß ein Großteil der irrwitzigen Renditen, die auf diesem Gebiet erzielt wurden, auf einem banalen Kettenbriefsystem beruhten, das sich selber nährte und irgendwann zusammenbrechen mußte. Ackermanns Vorbilder in den USA – die fünf großen Investmenthäuser – sind mittlerweile entweder tot wie Lehman Brothers oder sie wurden von großen Geschäftsbanken übernommen wie Merrill Lynch von der Bank of America (BoA) und Bear Stearns von JP Morgan. Oder sie haben sich selbst in Geschäftsbanken umgewandelt.

Daß die Brokerhäuser zusammenbrechen, während Großbanken wie die Bank of America sogar noch große Übernahmen stemmen, hat nichts damit zu tun, daß letztere etwa weniger wild mit Schrottpapieren gehandelt und spekuliert hätten. Im Gegenteil, die globale Liste der größten Geldvernichter wird durchaus nicht von den reinen Investmentbanken angeführt, sondern von der Citigroup mit Abschreibungen im Wert von 55,1 Milliarden Dollar und der schweizerischen UBS mit 44,2 Milliarden Dollar. Die Bank of America hat ebenfalls bereits 21,2 Milliarden Dollar in den Sand gesetzt. Der entscheidende Unterschied zwischen den Investmentbanken und den Geschäftsbanken besteht allerdings darin, daß letztere zur kurzfristigen Refinanzierung auf die Spareinlagen von Millionen Kleinsparern zurückgreifen können, während die Investmentbanken keine Spareinlagen haben und ausschließlich auf den Kapitalmarkt verwiesen sind. Und da war im Verlaufe der Finanzkrise immer schwerer an Geld zu kommen.

Heute ist klar, daß die Spekulations- und Fusionserträge, von denen das Investmentbanking lebt, hochzyklisch sind und jedenfalls in nächster Zeit spärlicher fließen werden. Eine Bank, die solche Dürreperioden überstehen will, sollte daher die klassischen Felder des Bankgeschäfts wie die Erwirtschaftung von Zinserträgen nicht aus dem Auge verlieren. Und sie braucht Spargelder, um auch Phasen mißgestimmter Kapitalmärkte zu überleben. Daß sich mit der Einbettung der Brokerhäuser in Großbanken, die zugleich die Ersparnisse von Millionen Kleinkunden verwalten, das wirklich gefährliche Krisenpotential erst zusammenbraut, steht auf einem anderen Blatt. Die Investmentbank Lehman Brothers etwa konnte man gerade noch untergehen lassen. Bei einer Bank wie der BoA mit 59 Millionen Kunden wäre das undenkbar, und das Management der Bank weiß, daß das so ist.

Lukrativer Privatkundenmarkt

Zurück zu Deutschland. Hier waren die großen Banken traditionell schon immer Universalbanken, die beides taten: auf dem globalen Finanzmarkt herumspekulieren und die Einlagen von Kunden verwalten. Aber die heftigen Finanzmarktunruhen und die aktuelle Flaute im Spekulationsgeschäft führen zu einer verstärkten Rückbesinnung auf jene Bereiche, mit denen man zwar nicht 40 Prozent Rendite, aber vielleicht doch 20 oder 25 Prozent verdienen kann. Vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Und um die wird man sich jetzt besonders kümmern.

Die zwei großen Fusionen der letzten Monate, die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank und der Kauf der Postbank durch die Deutsche Bank gehören in diesen Kontext. Beide führen zu einer deutlich höheren Konzentration im Privatkundengeschäft und damit tendenziell zu schlechteren Konditionen für den Kunden. Von Tausenden vernichteten Arbeitsplätzen nicht zu reden. Insbesondere die Postbank als größte deutsche Privatkundenbank bringt der Deutschen Bank auf einen Schlag wieder ein festes Standbein im Privatkundengeschäft, das diese über Jahre vernachlässigt hatte. Daß sie dieses Standbein auch noch zum Schnäppchenpreis erwerben konnte und die deutsche Politik in Person von Finanzminister Steinbrück bei dem ganzen Deal eine unsägliche, weil treibende Rolle spielte, sei nur nebenbei erwähnt. Nicht vergessen werden sollte auch, daß es sich bei der Postbank einst um eine Bank gehandelt hat, die sich zu hundert Prozent in öffentlichem Eigentum befand. Die schleichende Privatisierung des deutschen Bankensystems ist also bereits in den letzten Jahren kräftig vorangekommen.

Wenn die Übernahmen abgeschlossen sind, gibt es neben den Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Geschäft mit deutschen Privatkunden faktisch nur noch zwei große Spieler: die Commerzbank und die Deutsche Bank. Beide werden sich nicht allein darauf konzentrieren, ihren Marktanteil von zusammen knapp 30 Prozent auszudehnen, sondern sie wollen vor allem ihre Margen nach oben treiben. Das setzt eine Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Sektors voraus.

Genau darauf zielt der Rürup-Plan, der im übrigen nicht einmal neu ist, sondern zu wesentlichen Teilen einfach von Italien abgekupfert wurde. Wie von Rürup vorgesehen, wurden die öffentlichen Anteile an den Sparkassen in Italien bereits in den Neunzigern zunächst in Stiftungen eingebracht und dann schrittweise privatisiert. Die Profiteure dieser Entwicklung liegen heute auf der Hand. Die Sparkassen sind weithin verschwunden und wurden durch private Großbanken abgelöst. Insgesamt sank der Marktanteil des staatlichen Bankensektors in Italien infolge dieser Entwicklung von 75 Prozent Anfang der neunziger Jahre auf nur noch zehn Prozent. Parallel dazu explodierten die Gebühren für Bankdienstleistungen. Im Ergebnis kostet ein Girokonto heute doppelt soviel wie im europäischen Durchschnitt.

Ein anderes Beispiel ist Großbritannien. Auch hier hat die Privatisierung der Sparkassen dazu geführt, daß der Markt durch wenige Großbanken dominiert wird. Ein Ergebnis ist hier, daß etwa 3,5 Millionen Haushalte über kein Girokonto mehr verfügen, weil sich Sozialfälle an den Bankschaltern unter Renditegesichtspunkten einfach nicht rechnen.

Rolle der EU-Kommission

Rürup ist natürlich nicht der einzige Verbündete, den die private Bankenlobby für ihren Feldzug gegen die Sparkassen in Deutschland einspannen kann. Vielmehr tritt jetzt auch eine alte Kumpanin auf den Plan, die den Krieg der Privatbanken gegen die öffentlich-rechtlichen Institute bereits in der Vergangenheit nach Kräften befördert hat: die EU-Kommission. Nach dem bewährten Prinzip, daß die Kette sich am besten an ihrem schwächsten Glied zerbrechen läßt, hat die EU-Kommission sich von Beginn an vor allem auf die Landesbanken eingeschossen.

Einen wichtigen Sieg verbuchten die Privatbanken dabei bereits im Jahr 2001: Damals wurden die Staatsgarantien für die öffentlich-rechtlichen Institute von der Kommission für vertragswidrig erklärt und ihre Abschaffung bis 2005 beschlossen. Eine solche Entscheidung wäre natürlich gegen den entschiedenen Widerstand der deutschen, damals SPD-Grünen-Regierung nicht möglich gewesen. In deren Auftrag verhandelte seinerzeit der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Caio Koch-Weser, der den Deal am Ende auch absegnete und als Dank für diese Meisterleistung kurze Zeit darauf einen bestens dotierten Job bei der Deutschen Bank erhielt.

Im Streit um die Milliarden, mit denen die im Berliner Bankenskandal gerissenen Finanzlöcher durch Steuergeld gestopft wurden, hat die Brüsseler Behörde dann zum ersten Mal versucht, die Privatisierung einer Landesbank, nämlich der Landesbank Berlin (LBB) und damit zugleich der Berliner Sparkasse, zu erzwingen. Der Sparkassen- und Giroverband konnte diesen Plan vereiteln, indem er tief in die gut gefüllten Sparkassentaschen griff und alle Mitbewerber durch ein exorbitant hohes Kaufgebot für die LBB ausstach. Seither gehört die LBB als einzige Landesbank ausschließlich dem Sparkassenlager; die Privatisierungsbetreiber mußten auf das nächste Einfallstor warten.

Einfallstor Landesbanken

Infolge der Finanzkrise sind sie jetzt gleich an mehreren Stellen fündig geworden. Im Fokus steht dabei die WestLB, die durch Fehlspekulationen tief in die roten Zahlen gerutscht ist und 2007 einen Verlust in Höhe von 1,6 Milliarden Euro ausweisen mußte. Wegen der daraufhin erhaltenen öffentlichen Garantien hat die WestLB jetzt erneut ein Beihilfeverfahren und damit die EU-Kommission am Hals. Das von der Bank vorgelegte Sanierungskonzept, das Stellenstreichungen und die Rückbesinnung auf Kerngeschäftsfelder vorsieht und sich offiziell noch in der Prüfung durch die EU-Kommission befindet, wurde von Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes bereits über die Medien zurückgewiesen.

Tatsächlich hat die Kommission einen anderen Plan. Die WestLB soll unter Druck gesetzt werden, durch Übernahme mindestens einer Sparkasse unmittelbar ins Privatkundengeschäft vorzudringen. Da die Kommission gleichzeitig einen Eigentümerwechsel bei der Landesbank, sprich ihre Privatisierung, vorsieht, wäre damit auch die Sparkasse in privater Hand und der Einbruch in die öffentlich-rechtliche Säule, der in Berlin mißglückt war, endlich auf den Weg gebracht. Die Sparkassen werfen der EU-Kommission daher zu recht vor, die Krise der Landesbanken zu nutzen, um den Sparkassensektor zu entmachten, Übernahmen öffentlicher Institute durch Privatbanken zu ermöglichen und so das deutsche Bankensystem durch die Hintertür auszuhebeln.

Die Landesbanken sind natürlich auch deshalb ein perfektes Einfallstor für die Zerschlagung des öffentlich-rechtlichen Sektors, weil ihr Geschäftsmodell der letzten Jahre überaus zweifelhaft ist. Wozu eine öffentliche Bank wie die WestLB sich ein spekulatives Portfolio im zweistelligen Milliardenbereich zusammenkauft, das von Einlagen in Hedge Fonds auf Jersey bis zu Private-Equity-Beteiligungen in Kanada reicht, ist ebenso schwer erklärbar wie die irischen Zweckgesellschaften mit ihren giftigen Hypothekenpapieren, die sich die SachsenLB zugelegt hatte, oder die Spekulationsgeschäfte der BayernLB, die ebenfalls sehr viel öffentliches Geld vernichtet haben.

Es ist schlicht verlogen, wenn der Eindruck vermittelt wird, die Landesbanken seien die wildesten Spekulanten in kruden Derivaten und Schrottpapieren unter den deutschen Banken gewesen. Tatsächlich entfallen von den Wertberichtigungen in Höhe von 48,8 Milliarden Euro, die deutsche Banken in ihren Bilanzen bis Juni 2008 vornehmen mußten, 43,1 Prozent auf die Landesbanken und 44,9 Prozent auf die Privatbanken, einschließlich der IKB. Aber die 21 Milliarden, die die Landesbanken tatsächlich abschreiben mußten und die letztlich auf Kosten des Steuerzahlers gehen, sind trotzdem nicht zu rechtfertigen. Denn die Frage, weshalb kleine Möchte-gern-Merril-Lynchs aus Düsseldorf, München oder Leipzig unbedingt in öffentlichem Eigentum verbleiben sollen, ist schwer von der Hand zu weisen.

Privatisierungsoffensive stoppen

Selten erwähnt wird allerdings, daß die Spekulationswut der Landesbanken in gewisser Hinsicht auch eine Folge dessen ist, daß ihnen die Grundlagen ihres alten Geschäftsmodells entzogen wurden. Ursprünglich sollten die Landesbanken die Entwicklung ihrer Regionen fördern, Infrastrukturprogramme finanzieren sowie als Girozentrale der ihnen angeschlossenen Sparkassen fungieren. Das waren hochrespektable und wirtschaftlich vernünftige Geschäftsfelder, aber natürlich keine, in denen man eine Rendite erwirtschaften kann, die der heutige Kapitalmarkt für angemessen hält. Das war solange kein Problem, wie die Banken dank der Staatshaftung ohnehin beste Refinanzierungskonditionen hatten. Mit der Entscheidung der EU-Kommission von 2001 änderte sich das. Fortan konnten die Landesbanken wie jede x-beliebige kommerzielle Bank gute Ratings und günstiges Geld nur noch durch höhere Renditen erreichen. Die Spekulationslust der Folgejahre erklärt sich nicht ausschließlich, aber doch zu einem guten Teil aus dieser Zwangslage.

Hinzu kommt, daß Landesbanken mit dem ausdrücklichen Ziel der Regionalförderung Landesregierungen voraussetzen, die tatsächlich Strukturpolitik mit klaren Schwerpunkten und Zielen betreiben. Auch das ist im neoliberalen Wettbewerbswahn und Dumpingwettlauf weitgehend abhanden gekommen. Aus beiden Gründen sind die heutigen Landesbanken tatsächlich Institute ohne überzeugendes Geschäftsmodell. Ihre Privatisierung wäre die logische Konsequenz der Kommerzialisierung, die sie bereits durchlaufen haben.

Unter dem Gesichtspunkt der Stabilität des Finanzsystems und der politischen Gestaltungsspielräume wäre es allerdings genau die falsche Antwort. Die richtige wäre eine Rückbesinnung auf den Gemeinwohlauftrag, auf regionale Wirtschaftsförderung und Strukturpolitik sowie der Abschied von kommerzieller Renditetreiberei. Mit einem solchen glaubwürdigen Konzept könnte auch eine Auseinandersetzung um die Wiederherstellung der Staatshaftung begonnen werden. Zumal die aktuelle Krise deutlich zeigt, daß der Staat am Ende ohnehin haftet, und die Frage nur darin besteht, wofür: für Schrottpapiere und aberwitzige Finanzwetten oder für vernünftige Finanzierungen im Interesse der Mehrheit der Menschen. Im Lichte der inzwischen billionen-schweren staatlichen Stützungsaktionen in Übersee und in Europa wirkt die Beihilfe-Hysterie einer Nelly Kroes, die sich an einer Fünf-Milliarden-Bürgschaft für die WestLB aufhängt, ohnehin nur noch lächerlich und anachronistisch.

Auch die Sparkassen brauchen klare Rahmenbedingungen, die sie auf gemeinwohlorientiertes statt renditefixiertes Wirtschaften und eine ausschließlich gemeinnützige Gewinnverwendung festlegen. Die geplanten Sparkassengesetze in Hessen und Nordrhein-Westfalen und das im Kontext der Auseinandersetzung um die LBB vom Berliner Senat verabschiedete Sparkassengesetz weisen in die falsche Richtung. Wer ein Finanzsystem möchte, in dem auch Einkommensärmere ein Konto zu günstigen Konditionen und kleinere Unternehmen zinsgünstige Kredite erhalten, in der Ersparnisse der regionalen Entwicklung zugute kommen, statt in hochkomplexen Derivaten verzockt zu werden und in der die öffentliche Hand Gestaltungsmöglichkeiten zurückgewinnt, sollte sich dringend dafür einsetzen, daß die Privatisierungsoffensive der Privatbanken gestoppt und der bisherige Trend umgekehrt wird. Der aktuelle Crash bietet einen Grund mehr dafür.

1 Handelsblatt, 3.8.2004
2 Handelsblatt, 24.2.2003

* Sahra Wagenknecht ist für die Partei Die Linke im EU-Parlament. Sie ist dort Mitglied im Ausschuß für Wirtschaft und Währung (ECON)

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