Portugals Hypothek

Gastkommentar von Sahra Wagenknecht in der Tageszeitung "junge welt" vom 05.05.2011

05.05.2011
Sahra Wagenknecht

Das Finanzdiktat durch EU und IWF untergräbt die portugiesische Demokratie. Denn egal, wer am 5. Juni in Portugal zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wird – die Politik der künftigen Regierung steht jetzt schon fest. Es ist pervers, aber wahr: Während die sozialdemokratische Regierung unter José Sócrates unlängst zurücktreten mußte, da sie im Parlament keine Mehrheit für ein drastisches Sparprogramm fand, wird es nun auf Druck von EU und IWF ein noch brutaleres Sparprogramm geben. Zwar betont Sócrates, daß man weder die niedrigsten Renten antasten noch Entlassungen oder weitere Kürzungen im öffentlichen Dienst vornehmen müsse. Doch ohne Steuererhöhungen und massive Sozialkürzungen wird das vereinbarte Ziel, das Haushaltsdefizit innerhalb von zwei Jahren auf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu drücken, sicher nicht zu erreichen sein.

Die Vereinbarung mit EU und Internationalem Währungsfonds sieht ferner vor, daß bis 2013 portugiesisches Staatseigentum im Wert von 5,3 Milliarden Euro privatisiert wird. Die portugiesische Wirtschaft wird also in ein paar Jahren noch ärmer und abhängiger sein. Und da aufgrund des Sparprogramms mit einer Schrumpfung des BIP um zwei Prozent in den nächsten Jahren gerechnet wird, werden auch Arbeitslosigkeit und Armut weiter steigen. Dabei sind im ärmsten Land Westeuropas schon jetzt über elf Prozent der Portugiesen ohne Arbeit, die durchschnittlichen Verdienste belaufen sich auf gerade mal 1000 Euro brutto im Monat.

Hat Portugal eine Alternative? Schließlich sind die Zinsen für portugiesische Staatsanleihen bereits in unerträgliche Höhen gestiegen. Allerdings wird auch der 78-Milliarden-Euro-Kredit nur einen Aufschub bewirken, d.h. schon in wenigen Jahren wird sich erneut die Frage stellen, ob und wie Portugal seine Schulden bedienen kann. Es ist daher nötig, über Alternativen zur Diktatur der Finanzmärkte nachzudenken. Letztlich ist die europäische Schuldenkrise nicht lösbar, ohne die Vermögensbesitzer zur Kasse zu bitten. Es gibt auch keine Demokratie, solange die Regierungen von den Finanzmärkten derart abhängig sind. Die Alternative zum neoliberalen Finanzdiktat liegt folglich in einer Entschuldung der Staatshaushalte zu Lasten ihrer privaten Gläubiger sowie einer Entkopplung der öffentlichen Haushalte von den Finanzmärkten. Statt zu dulden daß die privaten Banken noch an der hohen Staatsverschuldung verdienen, zu der sie selbst beigetragen haben, sollte man es den EU-Staaten erlauben, sich zu deutlich niedrigeren Zinsen direkt bei der Europäischen Zentralbank Kapital zu beschaffen.

Unsere Autorin ist stellvertretende Parteivorsitzende und wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Am 5. Mai erscheint ihr neues Buch »Freiheit statt Kapitalismus« im Eichborn Verlag.