Sahra Wagenknecht

Nein zum Reformvertrag

Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in "Neues Deutschland" am 29.06.2007

29.06.2007

Von Beginn an war klar, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft öffentlich daran gemessen werden würde, ob es Angela Merkel gelingt, dem Verfassungsprozess neues Leben einzuhauchen. Nach der Regierungskonferenz in der Vorwoche konnte die Kanzlerin nun mit stolzgeschwellter Brust ihren Erfolg verkünden: Der deutschen Ratspräsidentschaft ist es gelungen, die Verfassung zu retten. Denn nichts anderes ist das, was jetzt als Reformvertrag verkauft wird. Der Name hat sich gewandelt, der Inhalt jedoch bleibt fast vollständig gleich: Es gibt keine Änderung an der neoliberalen Ausrichtung des Vertrags, Wettbewerbsorientierung und Militarisierung sind weiterhin Programm. Der Erfolg der Bundesregierung ist deshalb ein niederschmetterndes Ergebnis für die Menschen in der EU. Ein soziales, gerechtes und demokratisches Europa rückt in weite Ferne.

Die massiven Auseinandersetzungen vor dem Gipfel können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Ausrichtung des Vertrags kaum Differenzen zwischen den Regierungen gibt. Der neoliberale Inhalt der Verfassung, der maßgeblich zum negativen Votum der Bevölkerung in Frankreich und den Niederlanden geführt hatte, stand nie zur Debatte. Im Gegenteil: Er sollte auf Biegen und Brechen bewahrt werden. Um die Kritik zu bannen, brauchte es allerdings kosmetische Änderungen. Da ist es ein geschickter Schachzug, auf Betreiben des französischen Präsidenten Sarkozy zwar den Verweis auf den freien und unverfälschten Wettbewerb als Ziel der EU am Anfang des Vertrags herauszunehmen – die Substanz jedoch mit Hilfe eines Zusatzprotokolls durch die Hintertür genauso verbindlich wieder in den Vertragstext hineinzubekommen. Frohlockend stellte der europäische Unternehmerverband Businesseurope am Ende fest, dass seine Vorschläge umgesetzt worden seien, und Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte, dass die Änderung keinerlei Einschränkung für die Politik bedeute.

»Europa gelingt gemeinsam«, so lautete das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. Dass sich diese Parole aus Regierungssicht nicht gerade auf die Bevölkerung bezieht, wird dadurch unterstrichen, dass Volksabstimmungen über das Vertragswerk nach seiner Umbenennung unnötig werden. Dies dürfte bei allen Regierungen Erleichterung auslösen, schließlich waren es die unbotmäßigen Abstimmungsergebnisse der französischen und niederländischen Bevölkerung, die die Verfassungskrise der EU erst ausgelöst hatten. Diese Gefahr ist nun gebannt – demokratischer wird die EU so aber nicht.

Was der Öffentlichkeit als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft präsentiert wird, ist nichts anderes als die Neubestätigung einer verfehlten Politik. Vertan wurde die Chance, endlich eine Änderung des Kurses einzuleiten. In ihrer Bilanzrede vor dem Europäischen Parlament äußerte Angela Merkel die Hoffnung, dass man in 50 Jahren auf 2007 zurückblicken und denken werde, dass die Weichen damals richtig gestellt worden seien. Es steht zu hoffen, dass die Menschen sich nicht 50 Jahre Zeit nehmen werden, um ihr Urteil zu fällen. Dass die Änderung einer Politik, die vor allem den Profitinteressen der Großkonzerne dient und die Bedürfnisse der Bevölkerung hintanstellt, mehr als überfällig ist, lässt sich auch heute erkennen. Widerstand gegen den Reformvertrag bleibt deshalb so nötig wie gegen die Verfassung!

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