Sahra Wagenknecht

Staatspleiten am Horizont.Die Finanzkrise kann nur gegen Finanzlobby und Superreiche durchgesetzt werden

Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in der jungen Welt am 08.01.2011

08.01.2011

Die Finanzkrise ist zur staatlichen Schuldenkrise mutiert. Ein Land nach dem anderen in der Euro-Zone sieht sich mit schwindendem Vertrauen konfrontiert, daß die aufgetürmten Kredite jemals zurückgezahlt werden können. Wie ist es dazu gekommen?

Bei Gründung der Euro-Zone war bekannt, daß sie sich aus Ländern mit unterschiedlich hohem Produktivitätsniveau zusammensetzt. In Deutschland lag der Produktionswert je Arbeitsstunde bei Einführung des Euro um das Dreifache höher als in Portugal. Die erhoffte Angleichung blieb aus – im Gegenteil: Durch Lohn- und Sozialdumping à la Agenda 2010 griff Deutschland unter Rot-Grün zum einzigen Hebel, den es in einem gemeinsamen Währungsraum gibt, seine eigene Wettbewerbsfähigkeit weiter zu erhöhen.

Zwischen 2000 und 2009 häufte Deutschland so einen Leistungsbilanzüberschuß von knapp einer Billion Euro an – Spanien dagegen ein Defizit von über einer halben Billion Euro. Für Deutschland bedeutete dies höhere Forderungen, für seine Handelspartner höhere Schulden – egal, ob sich diese beim Staat, in privaten Haushalten oder in Unternehmen niederschlugen. Ohne die höhere Verschuldung in diesen Ländern hätte es die deutschen Exporte in dieser Größenordnung nicht gegeben. Den negativen Effekt, den die schlechte Leistungsbilanz auf ihr Wirtschaftswachstum hatte, konnten die betroffenen Staaten kurzfristig nur durch eine schuldenfinanzierte Binnenwirtschaft ausgleichen.

Banken verdienten prächtig

Wie bei jeder auf Ungleichgewichten und Schulden basierenden Ökonomie verdienten die Banken dabei prächtig. Beim Immobilienboom in Irland und Spanien konnte ihre Gier erst durch das Platzen der Blase gebremst werden. Die Anglo Irish Bank etwa hatte in den zehn Jahren vor dem Crash die von ihr vergebenen Kredite von drei auf 73 Milliarden – also um 2 433 Prozent! – erhöht. Nachdem die Party vorbei war, pumpte die irische Staatskasse zur Rettung des Instituts vier Milliarden frisches Kapital in die Bank. Die Anglo Irish war nun verstaatlicht – sie bescherte ihrem jetzt öffentlichen Eigentümer aber einen Verlust von über zwölf Milliarden Euro.

Dies ist kein Einzelfall: Insgesamt wurden den EU-Banken seit 2008 staatliche Bürgschaften in Höhe von 4,6 Billionen Euro zur Verfügung gestellt. Allein 2009 sind davon 1,1 Billionen in Anspruch genommen worden und an die Banken geflossen – Mittel, die somit den Staatshaushalten fehlen. Dazu kommen die zusätzlichen Schulden, die Staaten aufgrund der nötig gewordenen Konjunkturpakete und automatischer Stabilisatoren (z.B. Kurzarbeitergeld) aufnehmen mußten.

Ohne die Finanzkrise würden wir heute nicht über mögliche Staatspleiten in der Euro-Zone diskutieren. Schon lange vor der Krise haben allerdings Steuersenkungen für Reiche und Konzerne dafür gesorgt, daß die Basis einer stabilen und langfristigen Finanzierung staatlicher Ausgaben Stück um Stück untergraben wurde – und zwar europaweit. Die Vermögenssteuer wurde in vielen Ländern aufgeweicht oder – wie in Deutschland – ganz ausgesetzt; Unternehmenssteuern und Spitzensteuersätze gesenkt. Wen wundert es da noch, daß die Reichen immer reicher wurden? Gut 800000 Multimillionäre besitzen in Deutschland die Hälfte des gesamten Finanzvermögens.

Durch die steuerliche Entlastung der Vermögenden und großen Konzerne fehlen dem Staatshaushalt beträchtliche Finanzmittel. Das führt zu Kürzungen bei öffentlichen Aufgaben, oft im Sozialhaushalt. Zum wird die öffentliche Hand gezwungen, sich immer stärker zu verschulden. Die Nutznießer der Steuerentlastungen verwandten nicht selten die eingesparten Gelder dazu, ihren Bestand an verzinsten Staatsschuldtiteln aufzustocken. Dieses gestiegene Angebot an Staatsanleihen wurde zur »Geldmaschine« – auch für die Banken, die sich das nötige Geld billig bei der Europäischen Zentralbank besorgten. In einigen Ländern der Euro-Zone ist dieses räuberische System jetzt aber an seine Grenze gestoßen.

Vermögensabgabe gefordert

Initiativen wie die des Leiters des Baseler Instituts für Gemeingüter und Wirtschaftsforschung, Alexander Dill, weisen in die richtige Richtung. In Anbetracht der Tatsache, daß die privaten Vermögen der Deutschen seit 2000 um 83 Prozent auf 8,2 Billionen Euro gestiegen sind, sollen seiner Meinung nach die Vermögenden den staatlichen Schuldenberg von 1,8 Billionen Euro abtragen, und zwar durch eine Vermögensabgabe.

Notwendig wären allerdings angemessene Freibeträge, denn es waren in erster Linie die Superreichen, die von dem neoliberalen Zockermodell der letzten Jahrzehnte profitiert haben. Zwei Zahlen sind dabei interessant: Die EU-weite Staatsverschuldung lag 2009 bei 9,6 Billionen Euro. Das Finanzvermögen aller Millionäre und Multimillionäre in der EU lag bei 9,4 Billionen Euro. Beide Größen sind über die Jahre in ziemlichem Einklang expandiert. Eine europaweite Vermögensabgabe von 50 Prozent auf alle Vermögen oberhalb von einer Million Euro würde die Staaten auf einen Schlag von der Hälfte ihrer Schulden befreien. Ein »Hair cut« von 50 Prozent hätte bei richtiger Ausgestaltung eine ähnliche Wirkung.

Egal, welcher Weg aus der Schuldenkrise am Ende eingeschlagen wird, eines steht fest: Alle sinnvollen Lösungsansätze müssen im Parlament und auf der Straße gegen die Interessen der Finanzlobby und der oberen Zehntausend durchgesetzt werden.