Sahra Wagenknecht

Bundesregierung auf politischem Crashkurs in die nächste große Krise

Rede von Sahra Wagenknecht in der wirtschaftspolitischen Debatte des Bundestags am 28.01.2010

28.01.2010

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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Tricksen, täuschen, verschleppen und betrügen ‑ das scheint die wirtschaftspolitische Strategie dieser Bundesregierung zu sein.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

‑ Da brauchen Sie gar nicht zu lachen. Sie brauchen sich nur das anzuschauen, was Herr Brüderle hier vorgestellt hat. Ich denke, solange Sie diese Politik fortsetzen, so lange wird die Hoffnung auf einen selbsttragenden, auf einen wirklichen Wirtschaftsaufschwung nichts als ein frommer Wunsch bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Grundproblem ist, dass Sie wirklich glauben, dass es irgendwann einfach so weitergeht wie vor 2008. Ich kann Ihnen nur sagen: Vergessen Sie es! Es wird kein Zurück zu einem Modell geben, bei dem die deutsche Wirtschaft jedes Jahr Exportüberschüsse in irrwitziger Größenordnung aufhäuft und gleichzeitig der Binnenmarkt durch Sozialraub und Lohndumping immer mehr ruiniert wird, wo alles Wachstum nur am Export hängt. Ein Zurück zu diesem Modell ist weder wünschenswert noch denkbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist nicht wünschenswert, weil das ein Wachstum erzeugt, das an der großen Mehrheit der Menschen vorbeigeht. Das haben wir beim letzten Wirtschaftsaufschwung gesehen. Es ist auch nicht denkbar, wenn Sie sich die weltwirtschaftliche Situation ansehen. Was war denn die Grundlage dieser Exporterfolge? Das war nicht zuletzt die wachsende Verschuldung der amerikanischen Konsumenten. Aber diese Konsumenten sind heute kaum weniger überschuldet als zu Beginn der Krise. Auch der US-Staat ist inzwischen weitgehend an der Grenze seiner Defizitmöglichkeiten angelangt.

Oder schauen Sie in andere Regionen der Welt, schauen Sie auf Osteuropa. Die Krise hat in Osteuropa eine Schneise der Verwüstung geschlagen. Das bedeutet, dass dort Wachstum und Nachfrage auf Dauer am Boden liegen werden.

(Jörg van Essen (FDP): Das war der Kommunismus!)

Südostasien ‑ darauf setzen Sie so gern Ihre Hoffnung ‑ exportiert mehr als es importiert. Das heißt: Die Weltwirtschaft wird uns nicht retten. Wer immer nur darauf setzt, dass das Heil von außen kommen muss, der benimmt sich wie jemand, der in einer kalten Wohnung sitzt und auf den Winter schimpft, aber nicht auf die Idee kommt, dass man vielleicht die Heizung anstellen könnte. So ist Ihre Strategie.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer eine wirtschaftliche Erholung will, die diesen Namen verdient, der muss aufhören, auf warmes Wetter draußen zu warten, sondern der muss etwas gegen die soziale Eiseskälte in der Bundesrepublik Deutschland tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Inzwischen hat es sich selbst bis zu Herrn Brüderle herumgesprochen, dass wir ein akutes Nachfrageproblem haben. Dieses Nachfrageproblem haben wir nicht, weil den Menschen die Lust, zu konsumieren, abhanden gekommen ist, sondern weil Millionen Menschen in diesem Land einfach nicht mehr das Geld in der Tasche haben, um sich die Dinge zu kaufen, die sie dringend brauchen. Das ist das Ergebnis jahrelanger Lohnsenkungen. Das ist ein Ergebnis von Rentensenkungen; auch jetzt haben wir wieder zwei Nullrunden vor uns. Das ist ein Ergebnis von Sozialabbau.

Ich traue dieser Regierung wirklich viel zu. Aber dass sie tatsächlich glauben kann, dass sie die Nachfrage im Land dadurch fördert, dass sie reiche Erben, Besserverdiener und spendierwillige Unternehmen mit Steuergeschenken bedenkt, dass sie wirklich annehmen kann, dadurch die Nachfrage zu stärken, dazu kann ich nur sagen: So viel wirtschaftspolitischen Unverstand würde ich selbst dieser Koalition nicht zutrauen wollen.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Jörg van Essen (FDP): Das müssen Sie gerade sagen!)

Die Große Koalition hat Ihnen ein giftiges Erbe hinterlassen, nämlich in Form von 13 Milliarden Euro an Steuergeschenken, die in diesem Jahr wirksam geworden sind. Das sind Einnahmeausfälle von 13 Milliarden. Aber statt sich darüber zu beschweren und sie zu stoppen, setzen Sie mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch einen obendrauf. Ich muss schon sagen: Die wilde Entschlossenheit, mit der diese Bundesregierung die öffentlichen Haushalte ganz offensichtlich in den Ruin hineintreibt, wohl wissend, dass die Haushaltspolitik ab dem nächsten Jahr im selbstgeschaffenen Korsett der Schuldenbremse stecken wird, lässt den Verdacht aufkommen, dass es gar nicht so ungewollt ist, dass man härtesten Spar- und Konsolidierungszwänge unterliegen wird, weil man sich vielleicht so einen guten Vorwand schafft, sich der letzten Reste des Sozialstaates zu entledigen, also all dem, was Rot-Grün und die Große Koalition noch übrig gelassen haben.

Man hört schon einiges darüber, was Sie noch vorhaben, auch wenn Sie das offiziell nicht zugeben: Bei der Bundesanstalt für Arbeit sollen Milliarden eingespart werden. Sie erzählen uns, das sei vielleicht durch Reorganisation und Bürokratieabbau zu machen. Machen Sie doch den Menschen nicht so viel vor! Wenn Sie dort Milliarden sparen wollen, dann werden Sie die Leistungen kürzen. Das heißt, Sie werden in zynischer Kontinuität das machen, was Ihre Vorgängerregierungen auch schon gemacht haben: Sie werden das Geld am Ende bei denen holen, denen es schon heute dreckig geht, die schon heute nicht mehr menschenwürdig leben können. Das werden Sie machen. Das sage ich Ihnen voraus.

Man hört, dass die steuerfreien Nacht- und Feiertagszuschläge zur Disposition stehen. Man hört und liest im Jahreswirtschaftsbericht düstere Andeutungen zur Zukunft der Krankenversicherung, die sich stark nach Kopfpauschale, das heißt nach rapider Verteuerung und Leistungsverschlechterung gerade für Geringverdiener anhören. Sie sollten endlich aufhören, den Leuten vorzulügen, Sie wollten die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen entlasten. In Wahrheit wird Ihre Politik am Ende darauf hinauslaufen, dass Schichtarbeiter, Arbeitslose, Rentner und Kranke die Rettung der Zockerbanken und die Steuersenkungen für reiche Unternehmen, für reiche Spitzenverdiener, für reiche Erben zu bezahlen haben. Das ist Ihre Politik. Ich muss sagen: Wer so eine Politik macht, der muss sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen an der Demokratie verzweifeln; der macht die Demokratie nämlich kaputt, indem er ganz wenige hemmungslos bereichert und der Mehrheit seiner Wähler ins Gesicht schlägt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie Sie davon träumen können, unter solchen Bedingungen einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen, bleibt wirklich Ihr Geheimnis. Wir werden in dieser Debatte weiterhin immer wieder darauf beharren: Natürlich gibt es zu dieser Art von Politik Alternativen. Diese Alternativen liegen eigentlich auf der Hand: Wenn die jahrelange Umverteilung der Einkommen von unten nach oben den Binnenmarkt zerstört hat, liegt es dann wirklich so fern, vielleicht einmal die entgegengesetzte Richtung zu versuchen, das heißt darauf zu setzen, dass jetzt diejenigen für die Krise zahlen, die von den Entwicklungen vorher profitiert haben, und nicht wieder den Facharbeiter, die Lidl-Verkäuferin oder sogar den Hartz-IV-Empfänger zur Kasse zu bitten? Warum verweigern Sie sich einer Millionärssteuer? Warum verweigern Sie sich einer Finanzkrisenverantwortungsgebühr, wie Obama sie vorgeschlagen hat, und lassen stattdessen die Banken schon wieder auf den internationalen Märkten herumzocken, als hätte es überhaupt keine Finanzkrise gegeben? Wenn die ständige Schrumpfung des öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Investitionen die Arbeitslosigkeit erhöht hat, liegt es dann so völlig fern, vielleicht auch einmal auf das gegenteilige Konzept zu setzen, nicht auf weitere Privatisierung, sondern auf den Ausbau des öffentlichen Dienstes und die Erhöhung der öffentlichen Investitionen? Die Bundesrepublik befindet sich in all diesen Bereichen inzwischen in einer peinlichen Schlusslichtposition in Gesamteuropa. Wenn die jahrelange Enteignung der Beschäftigten Kaufkraft und Konsum nach unten gedrückt hat, ist es dann wirklich eine so fernliegende Idee, all die barbarischen Gesetze zurückzunehmen, die genau diesen Lohnraub ermöglicht haben, ganz vorn die Liberalisierung der Leiharbeit und natürlich auch den mit Hartz IV verbundenen Zwang zur Annahme auch noch der letzten Hungerlohnjobs?

Die FDP möchte immer so gern Subventionen abbauen. Ich sage Ihnen: Eine Subvention können Sie wirklich abbauen: Das ist die Subventionierung der Billigjobs in diesem Land. Das kostet den Steuerzahler inzwischen fast 10 Milliarden Euro im Jahr.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen: Schaffen Sie einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde, und Sie werden den größten Teil dieser 10 Milliarden Euro einsparen können! Das ist ein konstruktiver Sparvorschlag.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber wahrscheinlich wird das bei Ihnen wieder auf taube Ohren stoßen.

Der wirtschaftspolitische Kurs, den diese Bundesregierung fährt, ist ein Crashkurs ‑ man kann das nicht anders nennen ‑, der früher oder später in die nächste große Krise hineinführen wird. Ich kann Ihnen ankündigen: Die Linke wird diesem Kurs weiterhin schärfsten Widerstand entgegensetzen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Da haben wir Angst!)