„Unverschämt, verantwortungslos, verlogen“: Sahra Wagenknecht räsoniert über die "Fehltritte" der Bundesregierung

Bericht von einer Wahlveranstaltung in Münster im Stadtmagazin "Echo Münster" vom 24.09.09

24.09.2009

„Wir brauchen eine starke Linke im Parlament, denn wir brauchen verdammt noch mal einen Neuanfang“ – der Appell von Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Linken für den deutschen Bundestag, er beschloss einen flammenden Vortrag, den sie am Mittwochabend, 23. September, in einem übervollen Saal im Café Uferlos hielt.

Die 40-jährige Politikerin, sie nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund – und weiß ihre Zuhörerschaft mit klaren Worten und unmissverständlichen Statements zu überzeugen. Gleich zu Beginn ihres Plädoyers nimmt sie die „phantasiereichen Regierungskonzepte“ der Machthabenden unter die Lupe, spricht von „frisierten Statistiken“ (die aktuellen Arbeitslosen zahlen reflektierten „nur die halbe Wahrheit“) und einer Politik, die seit Jahren nur noch „im Interesse der oberen 10.000 der Gesellschaft“ geführt werde.

"Verschleuderung" von Steuergeldern

„Schon der Aufschwung der Jahre zwischen 2005 und 2007 hat gezeigt: Auch wenn es mit der Wirtschaft bergauf geht, die Löhne sinken und sinken.“ Harzt IV sei „eine Schande für eine reiches Land wie die Bundesrepublik“, die Großen „zocken und spekulieren trotz Finanzkrise munter weiter“ und „die normalen Bürger müssen am Ende die Party bezahlen – eine Unverschämtheit“. Wagenknecht präsentiert sich als perfekt vorbereitete Rednerin, wechselt beinahe unmerklich zwischen den Themen. Sie räsoniert über Investment Banking, Wertpapierhandel und Staatsanleihen, bezeichnet die jüngst vergebenen milliardenschweren Rettungspakete als „verantwortungslose Verschleuderung von Steuergeldern, die durch nichts zu rechtfertigen ist“ – und fasst sich schließlich an den Kopf: „Für wie blöd hält der Politiker den Wähler eigentlich?“

Mindestlohn: Zehn Euro pro Stunde

Sämtliche gegnerischen Parteien bekommen an diesem Abend ihr Fett weg: Wahlslogans wie „Arbeit muss sich wieder lohnen“ (FDP) oder „Weil faire Arbeit faire Löhne braucht“ (SPD) mangele es an tatkräftiger Umsetzung („Wo war ein Herr Steinmeier in den letzten Jahren?“), bestehende Formate wie Hartz IV – „ein soziales Verbrechen“ – oder Leiharbeit – „die moderne Form von Sklaverei“ – könnten eine „ordentliche Grundsicherung“ nicht ersetzen, ein Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde müsse dringend eingeführt werden.

"Privatisierungsorgien"

Wagenknechts Rüge reißt nicht ab: Durch den rapiden Stellenabbau im öffentlichen Dienst werde die Bildung „kaputt gespart“, die „Privatisierungsorgien“ der Regierung zerstörten elementare Leistungen wie ärztliche Behandlungen („Der Patient wird zum Kunden“) und das Konjunkturpaket verleite die Kommunen lediglich zu „Betoninvestitionen“. An dieser Stelle der Gegenvorschlag der Linken: 100 Milliarden Euro pro Jahr möge man in öffentliche Ausgaben für Bildung und Gesundheit schießen – eine Summe, die in Anbetracht des 480 Milliarden schweren Rettungsschirms für Banken alles andere als „demagogisch“ sei.

Steuerpolitik

Nicht zuletzt richtet die Rednerin ihre Kritik gegen die deutsche Steuerpolitik: Wo in Sachen Körperschafts-, Spitzen-, Erbschafts- oder Abgeltungssteuer „Geschenke an diejenigen verteilt wurden, die am meisten verdienen“, versuche man jetzt an der „Mehrwertsteuer-Schraube“ zu drehen. Wagenknecht: „Die Politiker sind zu feige, das Geld daher zu holen, wo es liegt“ – spricht’s aus, und erntet donnernden Applaus.

"Bankrotterklärung an die Demokratie"

Zeit für Werbung in eigener Sache: Die „Angst“ der anderen Parteien, die Linke könne sich durchsetzen und „das Kapital würde die Flucht ergreifen“, hält sie für vollends unberechtigt. Zur Begründung zweierlei Stichworte: Unternehmenssteuer – „Sie fällt in Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern unterproportional aus – und treibt damit das Steuerdumping voran.“ Kapitalverkehr – „Wenn die Gelder schwinden, dann muss man dagegen etwas unternehmen. Alles andere wäre eine Bankrotterklärung an die Demokratie.“ Starke Worte, die die studierte Philosophin auch zum Ende ihres Vortrags nicht verlassen: Mit Blick auf den 27. September fordert sie das Votum für die Linke, „nur durch uns geraten die anderen unter Druck.“ Und mehr noch: Inspiriert durch die Aufstände in Frankreich wünscht sich Wagenknecht auch hier zu Lande „eine stärkere Kultur des außerparlamentarischen Widerstands“. Nur so könne der derzeitigen „Politik der Augenwischerei“ ein Ende gesetzt werden.

Caroline Kern