Sahra Wagenknecht verspottet "neoliberale SPD"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der WELT am 20.06.09

20.06.2009
Interview: Miriam Hollstein

Unter dem Eindruck zerstrittener Parteiflügel will die Linke am Wochenende ihr Wahlprogramm verabschieden. Auf WELT ONLINE spricht Sahra Wagenknecht über das Ziel, den Kapitalismus zu überwinden, ihre Weigerung, sich der SPD anzubiedern und den vermeintlichen Ost-West-Gegensatz in der Partei.

WELT ONLINE: Es war viel von den Konflikten zwischen Radikalen und Pragmatikern zu hören innerhalb der Linken. Rechnen Sie mit einem Eklat auf dem Parteitag?

Sahra Wagenknecht: Nein, da wird auch viel hoch gespielt. Es gibt offenbar einige in der Linken, die mit einem klar antikapitalistischen Programm ihre Probleme haben, das wird man diskutieren müssen. Aber das wird die Partei nicht zerreißen.

WELT ONLINE: Rechnen Sie mit inhaltlichen Verwerfungen?

Wagenknecht: Ich hoffe, dass das Bundestagswahlprogramm in seiner Substanz erhalten bleibt. Das ist ein klares linkes Wahlprogramm. Es gibt keinen Grund, diese Forderungen wieder weichzuspülen.

WELT ONLINE: Sie hatten ein Alternativpapier entworfen, das in seiner Rhetorik deutlich drastischer war. Haben Sie sich weichspülen lassen?

Wagenknecht: Nein, das finde ich nicht. Mir ging es darum, dass in dem Wahlprogramm konsequente soziale Forderungen formuliert werden und auf die Ursachen der Wirtschaftskrise hingewiesen wird, die in den kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnissen liegen. Deswegen ist unser Ziel nicht allein, den Kapitalismus zu bändigen, sondern ihn zu überwinden. Das steht drin.

WELT ONLINE: Der Grundkonflikt der Partei – die Frage, ob man sich als regierungsfähige Partei oder als Fundamentalopposition profiliert – bleibt ungelöst.

Wagenknecht: Ich würde den Konflikt anders umschreiben. Ich habe nichts gegens Regieren, wenn man entsprechende Mehrheiten hat, ich habe nur etwas dagegen, sich der SPD anzubiedern, um in eine Regierung zu kommen. Die SPD ist heute neoliberal, mit Steinmeier und Co. kann man keine Politik im Interesse der Mehrheit der Menschen machen. Ein Ergebnis dessen ist ja das schlechte Abschneiden der SPD bei den Europa-Wahlen.

WELT ONLINE: Da ist die Linke ja auch weit hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben – und das in Zeiten der Krise des Kapitalismus. Woran lag das?

Wagenknecht: Viele, die die heutige EU der Konzerne und Kapitalfreiheiten mit gutem Grund als Bedrohung empfinden, sind bei der Wahl schlicht zuhause geblieben sind. Es ist uns offenbar nicht gelungen, ihnen das Gefühl zu geben, dass eine Stimme für die Linke eine wirkungsvolle Form des Protests gegen solche Verhältnisse ist. Das war das Grundproblem.

WELT ONLINE: Ihre Antwort als Europa-Abgeordnete?

Wagenknecht: Wir hatten inhaltlich richtige Losungen, aber wir hätten einen viel stärker Protest- und Oppositionsorientierten Wahlkampf führen müssen.

WELT ONLINE: Gewonnen haben vor allem die Liberalen. Auch die von Ihnen und anderen Linke-Politiker geforderten „sozialen Unruhen" bleiben aus. Vielleicht muss die Linke akzeptieren, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Kapitalismus zwar verbessert, aber nicht überwunden sehen will.

Wagenknecht: Aber die Mehrheit ist unruhig, sie hat Angst. Wir werben dafür, die herrschende Politik, die die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abwälzt, statt die Profiteure und Zocker zur Verantwortung zu ziehen, durch Gegenwehr wie Generalstreiks unter Druck zu setzen. Das halte ich immer noch für dringlich.

WELT ONLINE: Momentan sieht es aber eher so aus, als ob sich die Linke selbst zerfleischt, statt die Massen zu mobilisieren. Es hat in jüngster Zeit einige spektakuläre Austritte gegeben.

Wagenknecht: Spektakulär? Es sind Einzelne aus der dritten Reihe gegangen. Das hat etwas mit Inhalten zu tun, aber auch damit, dass für manche eine Partei, sobald sie ihnen kein Mandat mehr sichert, offenbar schnell an Wert verliert. Diejenigen, die jetzt so harsch kritisieren, haben ihre Konzepte außerdem schon mal in einer linken Partei umsetzen können, der PDS – und sie haben sie damit 2002 unter die Fünf-Prozent-Hürde versenkt. Das sollten wir nun wirklich nicht wiederholen.

WELT ONLINE: A propos Führungsspitze: Parteichef Oskar Lafontaine ist erneut wegen seines Führungsstils intern in die Kritik geraten. Der Begriff des „Lafontainismus" macht die Runde.

Wagenknecht: Das ist ein beliebtes Mittel, weil man mit Kritik an Oskar Lafontaine garantiert in den Medien zitiert wird. Das letzte, was die Linke braucht, ist eine Demontage der Menschen, denen sie am meisten zu danken hat. Ohne Oskar Lafontaine stünde die Linke nicht da, wo sie jetzt steht.

WELT ONLINE: Die Linke hat gerade ihren zweiten Geburtstag gefeiert. Von Zusammenwachsen zwischen Ost und West ist aber innerhalb der Partei nicht viel zu merken – im Gegenteil.

Wagenknecht: Es gibt keinen abstrakten Ost-West-Gegensatz. Ich kenne viele Mitglieder im Osten, die unglaublich froh sind, dass die Linke den Weg geht, konsequente linke Positionen zu formulieren und nicht den einer bedingungslosen Fixierung aufs Mitregieren, wie es früher etwa in Berlin betrieben wurde.

WELT ONLINE: Sie haben früher einmal gesagt, dass Sie das politische System der DDR für besser halten als das der BRD. Glauben Sie das immer noch?

Wagenknecht: Das muss lange her sein. Aber die Frage ist heute auch irrelevant, denn die DDR ist seit 20 Jahren tot. Natürlich würde ich nicht sagen, dass ausgerechnet das repressive politische System der DDR besser war. Das Bildungssystem bot mehr Chancengleichheit, die Gesundheitsversorgung hing nicht vom Geldbeutel ab. Solche Aussagen würde ich unterschreiben.

WELT ONLINE: War die DDR Ihrer Ansicht nach ein Unrechtsstaat?

Wagenknecht: Sie war sicherlich kein Rechtsstaat und es gab erhebliches Unrecht. Aber der Begriff „Unrechtsstaat" kommt aus der Debatte über den Hitler-Faschismus. Alles, was darauf hinausläuft, die DDR auf eine Ebene mit der mörderischen Nazi-Diktatur zu stellen, ist Geschichtsklitterung.

WELT ONLINE: Sie streben ein Bundestagsmandat an. Was ist Ihr Hauptanliegen, wenn sie es schaffen?

Wagenknecht: Deutlich zu machen, dass es politische und vor allem wirtschaftpolitische Alternativen zu dem gibt, was wir heute haben.

WELT ONLINE: Die „Bild"-Zeitung hat sie unlängst unter die 100 erotischsten Frauen Deutschlands gewählt. Waren Sie geschmeichelt?

Wagenknecht: Ich war schon auf allen möglichen Listen, leider auch schon auf einer der „100 unsexiest women". Da zum Glück weit hinten. Naja. Letztlich möchte ich die Menschen nicht durch meine Erotik, sondern durch meine politischen Inhalte überzeugen.

Sahra Wagenknecht ist Mitglied des Parteivorstands der Linken, gehört der Programmkommission an und sitzt im Europaparlament.