"Die SPD ist für uns nicht koalitionsfähig"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der WELT am 30.04.09

30.04.2009
Interview: Franz Solms-Laubach

Sahra Wagenknecht von der Linkspartei über die politische Konkurrenz, soziale Unruhen und Karl Marx

DIE WELT:

Frau Wagenknecht, Ihr Parteichef Oskar Lafontaine hat zu "Generalstreiks" aufgerufen, Genosse Andrej Hunko hat sogar "soziale Unruhen" gefordert. Kommt jetzt der Aufruf zur Revolution?

Sahra Wagenknecht:

Es kann doch nicht so weitergehen. Der Staat verschwendet in unglaublichem Ausmaß Steuergeld, um marode Banken zu retten, macht aber kaum einen Finger krumm, um Arbeitsplätze zu sichern. Die Bundesregierung hat insgesamt 480 Milliarden Euro für den Bankenrettungsschirm lockergemacht. Bezahlen werden das am Ende die Normalbürger und nicht die Profiteure der Finanzparty. Dagegen müssen sich die Menschen endlich wehren.

Mit sozialen Unruhen?

Wagenknecht:

Was mit dem Begriff gemeint ist, sind Generalstreiks und soziale Proteste wie etwa in Frankreich. Dort haben die Menschen durch solche Aktionen Präsident Sarkozy bereits Zugeständnisse abgezwungen. Der parlamentarische Weg allein reicht offensichtlich nicht mehr aus.

Trotz der Krise scheint Ihre politische Botschaft nicht beim Wähler anzukommen.

Wagenknecht:

Ich finde Werte um zehn Prozent für die Linke nicht wenig. Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass eine Partei links der SPD solche Zustimmungsraten erreicht. Natürlich orientieren sich die Menschen in der Finanzkrise nicht automatisch nach links. Zudem hat die Krise ihr volles Ausmaß noch nicht erreicht. In der zweiten Jahreshälfte drohen Massenentlassungen. Dann werden sich viele hoffentlich überlegen, ob sie das Desaster wirklich weiter von den Hartz-IV-Parteien verwalten lassen wollen, die es durch ihre Politik erst herbeigeführt haben.

Profitieren Sie von der Schwäche der SPD?

Wagenknecht:

Die SPD hat mit der Agenda-Politik Gerhard Schröders und mit ihrer Arbeit in der großen Koalition alles aufgegeben, wofür sie einst stand. Ich weiß auch nicht, für wie dumm sie den Wähler hält, wenn er ihr jetzt Wahlversprechen abnehmen soll, die in diametralem Gegensatz zu ihrer bisherigen Politik stehen. Da wäre es noch ehrlicher, den Laden ganz aufzulösen. Die linken Sozialdemokraten könnten zur Linken kommen, der Rest müsste sich eigentlich bei der CDU gut aufgehoben fühlen.

Die SPD schließt eine Koalition mit der Linken nach der Bundestagswahl kategorisch aus. Wie sieht Ihre politische Strategie aus?

Wagenknecht:

Ob die SPD das ausschließt oder nicht, ist uns egal. Die SPD ist mit ihren gegenwärtigen Positionen und ihrem Agenda-Personal für uns nicht koalitionsfähig. Wir werden im Parlament, wie bisher auch, die anderen Parteien durch konsequente Opposition vor uns her treiben. Zugleich werden wir alles dafür tun, dass in diesem Land eine stärkere außerparlamentarische Protestbewegung entsteht.

Wenn Sie Ende September den Sprung in den Bundestag schaffen, wo sehen Sie dann dort Ihre Rolle?

Wagenknecht:

Ich werde mich vor allem im Bereich Wirtschaft engagieren. Es gibt Alternativen zu den heutigen Verhältnissen. Es kann doch nicht sein, dass die Deutsche Bank vom amerikanischen Steuerzahler zwölf Milliarden Dollar kassiert, dass sie von deutschen Steuergeldern - indirekt - in Milliardenhöhe profitiert, aber statt die Wirtschaft mit zinsgünstigen Krediten zu versorgen, jetzt schon wieder 22 Prozent Eigenkapitalrendite einstreicht. Eine Verstaatlichung des Finanzsektors ist überfällig. Damit er seine volkswirtschaftlichen Aufgaben wieder erfüllt.

Sie sind Mitglied der Kommunistischen Plattform innerhalb der Linkspartei. Ist das nur eine kleine Gruppe esoterischer Sektierer und Ideologen, oder stehen Sie für eine breite Strömung in der Partei?

Wagenknecht:

Das Problem ist, dass viele den Begriff Kommunismus völlig falsch verstehen. Für mich ist die kommunistische Tradition mit den Namen Marx und Luxemburg verbunden. Wir wollen nicht die DDR oder den sogenannten real existierenden Sozialismus zurück. Aber wir setzen uns für die Überwindung des Kapitalismus ein. Wir fordern eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse. Leistungen der Daseinsvorsorge wie Wohnen, Bildung, Gesundheit, aber auch die Versorgung mit Wasser oder Energie gehören in öffentliche Hand. Das Gleiche gilt für Banken und Schlüsselindustrien. Nur so kann das Diktat der Rendite und der Aktienkurse überwunden werden.

Aber das Beispiel der IKB zeigt doch, dass Politiker nicht die besseren Manager sind.

Wagenknecht:

Politiker sollen ja auch nicht Manager sein, sondern sie sollen Managern die Kriterien des Handelns vorgeben. Ein Manager, dessen Gehalt sich an der Lohnhöhe und der Zahl der Arbeitsplätze im Unternehmen orientiert, wird andere Entscheidungen fällen als einer, dessen Einkommen vom Aktienkurs abhängt. Andere Eigentumsverhältnisse allein reichen nicht. Wir brauchen vor allem auch andere Regeln und demokratische Kontrolle.