Stabilisiertes Finanzkapital

Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Tageszeitung junge Welt am 16.04.09

16.04.2009

Analyse. Die US-Regierung scheint mit dem endlosen Geldfluß in den Finanzmarkt die Blasenökonomie wiederzubeleben. Eine mögliche Inflation könnte sogar helfen, die ­gigantischen inländischen und Auslandsschulden zu senken

Zwar gehörte die Fähigkeit zu übereinstimmenden Prognosen noch nie zu den Eigenschaften, mit denen die Ökonomenzunft sich hervorzutun pflegte. Aber so viel Divergenz wie bei der Vorhersage der für die nächsten Jahre zu erwartenden Preisentwicklung war selten. Warnen die einen vor den Gefahren einer verheerenden Deflationsspirale, die die wirtschaftliche Depression weiter verschlimmern und um Jahre verlängern würde, sehen die anderen eine Welle galoppierender Inflation auf die Welt zurollen, die den Wert vor allem des Dollar in absehbarer Zeit untergraben könnte. Die Spannbreite der für 2011 vorhergesagten Inflationsraten reicht von unter zwei bis über fünf Prozent, wobei interessanterweise vor allem die Extreme – entweder sehr niedrige oder sehr hohe Inflation – prognostiziert werden. Werte zwischen zwei und fünf Prozent, also das in den letzten Jahren Übliche, erwarten die wenigsten.

Unmittelbarer Auslöser der Unsicherheit ist die eskalierende Staatsverschuldung insbesondere der Vereinigten Staaten und die kreative Geldpolitik, zu der die US-amerikanischen Zentralbank Fed übergegangen ist, seit ihre Leitzinsen den Null-Prozent-Boden erreicht haben und damit der Spielraum traditioneller Zinspolitik ausgeschöpft ist. Normalerweise kanalisieren die Zentralbanken Liquidität durch sogenannte Repo-Geschäfte in das Bankensystem. Das läuft so, daß die Banken bei der Zentralbank bestimmte Wertpapiere als Sicherheit hinterlegen müssen und im Gegenzug für eine gewisse Zeit zu einem festgelegten Zinssatz Bares erhalten. Was die Banken mit dem so erhaltenen Geld anfangen und zu welchem Zinssatz sie es weiterverleihen, ist ihr Ding. In jedem Fall müssen die bei der Zentralbank hinterlegten Wertpapiere von ihnen nach Ablauf der festgelegten Frist wieder zurückgekauft werden.

Und genau hier liegt der Haken dieses Verfahrens. Da die Banken ihre fragwürdigen Papiere so nicht loswerden und also in erster Linie an ihren kranken Bilanzen herumkurieren, geben sie sich in der Weitergabe der von den Zentralbanken so billig bereitgestellten Liquidität zugeknöpft. Entsprechend wurden auch in den USA trotz Nullzinspolitik der Fed die Kreditkonditionen für Unternehmen und Haushalte immer schlechter und die langfristigen Zinsen stiegen eher als daß sie gesunken wären.

Unternehmensrisiko abwälzen

Diesem Dilemma soll nun ein Verfahren abhelfen, das unter dem Namen »quantitative easing« firmiert und in den Neunzigern bereits von der japanischen Zentralbank erprobt wurde. Eine Zentralbank, die »quantitative easing« betreibt, tritt selbst als Käufer von Unternehmensanleihen und anderen Wertpapieren auf den Markt. Ziel ist es, durch die künstlich gesteigerte Nachfrage die Zinsen solcher Papiere nach unten zu drücken und so die Finanzierungsbedingungen für Firmen oder auch Privathaushalte unmittelbar zu verbessern. Anders als im traditionellen Rahmen versucht die Zentralbank also, nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen Zinsen zu steuern. Erweisen sich die auf diese Weise aufgekauften Papiere allerdings als faul, trägt die Zentralbank, und damit letztlich der Steuerzahler, auch die vollen Verluste.

Ist diese Praxis an sich schon umstritten – die europäische Zentralbank EZB lehnt sie bisher ab –, ist es vor allem die Größenordnung der von der Fed geplanten Aufkäufe, die auch außerhalb des notorisch inflationshysterischen EZB-Direkto­riums für Mißtrauen sorgt. Immerhin hat Fed-Chef Ben Ber­nanke angekündigt, noch in diesem Jahr Papiere im Wert von mehr als einer Billion Dollar erwerben zu wollen. Darunter vor allem verbriefte Hypothekenkredite – also eben jene Wertpapiere, die die Kreditkrise im Sommer 2007 ausgelöst hatten – und für 300 Milliarden Dollar Staatsanleihen. Der Kauf von Staatstiteln, anders als der von Hypothekenverbriefungen, birgt zwar zumindest vordergründig nicht das Risiko, daß die Zentralbank am Ende auf einem Berg wertloser Schrottpapiere sitzenbleibt. Dennoch fiel die Erregung über Bernankes diesbezügliches Kaufinteresse wesentlich heftiger aus als das Befremden über seine Ankündigung, einen beträchtlichen Teil der Hyperverschuldung amerikanischer Hausbesitzer der Fed in die Bilanz zu drücken. Schließlich zählt die direkte Finanzierung von Staatsschulden über die Notenpresse zu jenen Todsünden, die es nach den Lehren des ökonomischen Mainstreams um jeden Preis zu vermeiden gilt, weil sie unweigerlich zu eskalierender Infla­tion führen.

Allerdings wäre es verfehlt, jene, die vor einer drohenden Dollarinflation warnen, einfach in die neoliberale Schublade zu stecken. Zwar gehört die Schürung von Inflationsängsten zwecks Rechtfertigung höherer Zinsen, niedriger Staatsausgaben und möglichst lausiger Tarifabschlüsse zum neoliberalen Grundkanon, aber bei weitem nicht alle artikulierten Inflationssorgen kommen aus dieser Ecke. Ebenso wie selbstverständlich nicht alle, die vor einer Deflation warnen und »quantitative easing« propagieren, einer progressiven Denkschule zuzuordnen sind. So hat beispielsweise auch der europäische Unternehmerverband Business Eu­rope, das europäische Pendant zum BDI, die EZB gedrängt, dem Vorbild der Fed zu folgen und zu einem direkten Erwerb von Firmenanleihen, vor allem solcher mit schlechtem Rating, überzugehen. Das würde natürlich nichts anderes bedeuten als die Kosten möglicher Firmeninsolvenzen auf die öffentliche Hand abzuwälzen, während die Gewinne im Erfolgsfall weiterhin privat eingestrichen würden. Auch viele Banker sind selbstredend für »quantitative easing«, vor allem, wenn sich das Kaufinteresse der Zentralbank auf Wertpapiere bezöge, die sie gern loswerden möchten. Daß EZB-Chef Jean-Claude Trichet solche Ratschläge bisher nicht befolgen mag, gehört zu den wenigen Dingen, die man ihm nicht vorwerfen sollte.

Sorgen um Geldentwertung

Ebenso heterogen wie das der Anhänger einer unorthodoxen Geldpolitik ist auch das Lager derer, denen das Agieren der Fed Inflationssorgen einflößt und die diese auch artikulieren. Dazu gehören zum einen natürlich beinharte Neoliberale wie Thomas Straubhaar, der Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, oder auch Trichet selbst. Eine neue Welle der Inflation erwartet allerdings auch George Soros, der Hedge-Fonds-Milliardär, der mit der Schlichtheit der ökonomischen Aufassungen der Erstgenannten schon nicht mehr in einen Topf zu werfen ist. Besonders laute Warnungen kommen schließlich aus dem sehr fernen Osten. In China wiederum dürfte das Interesse, den USA mittels Inflationsparanoia bestimmte neoliberale Politikkonzepte aufzuschwatzen, ausgesprochen gering sein. Das einzige, worum es den Chinesen geht, ist, ihr Geld nicht zu verlieren (siehe jW-Thema vom 28.3.2009). Und zwar sehr viel Geld. Immerhin hat das Reich der Mitte Währungsreserven im Wert von zwei Billionen Dollar aufgehäuft, ein großer Teil davon in Dollar, und allein 740 Milliarden in US-Staatsanleihen angelegt. Ungewöhnlich deutlich wurde der chinesische Premierminister Wen Jiabao auf der jüngsten Jahrespressekonferenz der Regierung. Auf die Klarstellung: »Wir haben den Vereinigten Staaten eine große Menge Geld geliehen«, folgte, was durchaus wie eine Drohung klingen sollte: »(…) ich mache mir Sorgen. Die US-Regierung sollte auf den Erhalt ihrer Kreditwürdigkeit achten, ihre Verpflichtungen erfüllen und die Sicherheit der chinesischen Vermögenswerte garantieren.« Sorgen machte sich auch das Editorial der offiziellen chinesischen Regierungszeitung China Daily: Der Versuch, die explodierende Staatsschuld durch Anwerfen der Geldpresse zu finanzieren, werde die Probleme nicht lindern, hieß es da; aus dem Nichts enorme Mengen an neuem Geld zu schaffen, werde die USA statt dessen in ein tiefes Loch mit galoppierender Inflation werfen.

Sehen wir uns die Gemengelage etwas genauer an. Ist mit dem Anwerfen der amerikanischen Notenpresse tatsächlich hohe Inflation programmiert? Oder sind die Chinesen bloß paranoid, und stimmt die Argumentation von Ben Bernanke, daß angesichts der Dramatik der Krise die Strategie der Fed das einzige Mittel ist, ein Abgleiten der Wirtschaft in eine Depressions-Deflations-Spirale zu verhindern?

In der Tat sieht es derzeit weit und breit nicht nach Inflation aus. Waren die Preise in der Euro-Zone 2008 noch im Schnitt um 3,3 Prozent angestiegen, hat die Euro-Inflationsrate seit Februar 2009 eine Null vor dem Komma. Das ist hart an der Grenze zur Deflation. Spanien hat als erstes Euro-Land bereits eine negative Inflationsrate gemeldet. Auch die US-Preisentwicklung zeigt eine deutliche Neigung, in den negativen Bereich abzurutschen.

In dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeld ist das wenig erstaunlich. Aufs Jahr berechnet ist die Wirtschaftsleistung im letzten Quartal 2008 in den USA wie im Euro-Raum um sechs Prozent geschrumpft, in Japan sogar um das Doppelte. Die Industrieaufträge lagen im Euroraum im Januar um satte 34 Prozent unter Vorjahresniveau. Bereits 4,5 Millionen Menschen haben in den USA seit Beginn der Krise ihren Job verloren. Und es besteht wenig Hoffnung, daß sich an der Tristesse kurzfristig etwas ändert. Die OECD erwartet für die USA wie für den Euroraum 2009 einen Einbruch des Sozialprodukts um vier Prozent und 25 Millionen zusätzliche Arbeitslose in den Industriestaaten insgesamt.

Finanzkapital profitiert

Ist es nicht völlig aberwitzig anzunehmen, in solchem Umfeld könne irgendwo Inflation entstehen? Tatsächlich muß eine massiv ausgeweitete Geldemission der Notenbank nicht automatisch die Preise nach oben treiben. Auch Japan hatte, um eine Dauerdepression und Deflation zu bekämpfen, in den Neunzigern die Notenpresse angeworfen und hat trotzdem bis heute eine Inflation nahe Null. Die entscheidende Frage ist, wer das Geld am Ende bekommt und wofür er es ausgibt. Nur, wenn das Geld irgendwann bei denen ankommt, die sich reale Dinge wie Brötchen oder Autos kaufen, fließt es überhaupt auf den Gütermarkt, und erst, wenn es dort zu einer sprunghaft steigenden Nachfrage führt, ist mit einem nachfrageseitig verursachten Preisschub zu rechnen.

Wer bekommt die von der Fed verschenkten Billionen? Bernankes Aufkäufe von verbrieften Hypothekenpapieren und Schuldpapieren werden zunächst einmal den Instituten zugute kommen, die solche Papiere halten: Banken, Hypothekenfinanzierer, auch Hedge Fonds. Das Kalkül ist, daß diese die so gewonnene Liquidität wiederum für Aktivitäten auf dem Finanzmarkt verwenden. Kaufen sie beispielsweise Aktien oder Unternehmensanleihen auf dem Sekundärmarkt, steigt deren Wert. Im Effekt bedeutet das, daß auch die Emission von Anleihen für Unternehmen wieder billiger werden könnte. Auch ist ausdrücklich intendiert, den eingefroreren Hypothekenmarkt wieder in Fluß zu bringen und die Hypothekenzinsen zu senken. Tatsächlich sanken die fixen Zinsen für 30jährige Hypothekenkredite seit Ankündigung der Fed von 5,15 Prozent auf 5,09 Prozent.

Nur in dem Maße, in dem die Liquiditätsflut der Fed am Ende eine Ausweitung des Kreditvolumens an Firmen oder Konsumenten beziehungsweise niedrigere Zinsen für solche Kreditnehmer zur Folge hat, wird sie auch nachfragewirksam. Das betrifft also nur einen Bruchteil des Geldes. Ähnlich sieht es beim beabsichtigten Kauf von Staatsanleihen aus. Auch das eskalierende US-Staatsdefizit geht ja nur zu einem geringen Teil auf die Erhöhung realer Ausgaben zurück. Der größte Teil ergibt sich aus den staatlichen Rettungsmaßnahmen für marode Banken und Versicherer. Die Unsummen, die hier fließen, dienen der Sanierung schütterer Bilanzen, der Rekapitalisierung, dem Auszahlen von Gläubigern – wiederum überwiegend Finanzinstitute – und dürften überwiegend im spekulativen Finanzkreislauf verbleiben. Selbst da, wo das Geld als Boni, Zinsen oder Dividenden bei Privatleuten ankommt, trifft es überwiegend solche, die den größten Teil davon wieder sparen. Das aberwitziges Programm des amerikanischen Finanzministers Geithner, bis zu einer Billion Dollar dafür bereitzustellen, Hedge Fonds zum Spekulieren in den derzeit unverkäuflichen Schrottpapieren zu animieren und ihnen das Risiko dieser Spekulation mit Staatsgeld abzunehmen, geht in die gleiche Richtung. Auch hier wird nahezu ausschließlich die Spekulationskasse gefüllt, und selbst wenn die Fed die Finanzierung dieser Billion direkt übernähme, würde dadurch kaum ein müder Dollar zusätzlich irgendwo in einem Supermarkt ausgegeben. Die einzigen Preissegmente, die wieder anziehen könnten, wären diverse Luxusmarken, denn wenn der Plan aufgeht, ginge es zumindest dem US-amerikanischen Finanzadel fürs erste wieder ganz gut.

USA profitiert von Dollarinflation

Theoretisch läßt sich eine Ökonomie durchaus denken, in der die Zentralbank endlos Geld produziert, dieses Geld aber nahezu ausschließlich auf die Finanzmärkte fließt und dort zum Entstehen neuer Blasen führt. Es spricht auch einiges dafür, daß Washingtons »Plan A« tatsächlich darin besteht, die Blasenökonomie der letzten Jahre mit aller Macht wiederzubeleben. Zu einer realwirtschaftlichen Erholung könnte das insofern beitragen, als mit den boomenden Finanzmärkten sowohl die Einnahmen der Oberschicht als auch die Kreditmöglichkeiten der großen Bevölkerungsmehrheit wieder wachsen würden. Freilich wohl kaum in dem Maße, daß daraus massive Inflationsgefahren entstünden. Im Grunde setzen die USA damit genau auf das Modell schuldenfinanzierten Konsums, das ihre und die Weltwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten getragen hat. Daß dieses Modell fortschreibbar ist, scheint zwar angesichts einer bereits erreichten Gesamtverschuldung des amerikanischen Privatsektors in Höhe von 42 Billionen Dollar kaum vorstellbar. Aber einerseits wird ein Teil dieser Schulden ja jetzt vom Staat übernommen. Und zum anderen gibt es natürlich keine objektive Verschuldungsgrenze. Solange genug Kreditgeld fließt, um nicht nur die Tilgung, sondern auch einen erheblichen Teil der fälligen Zinszahlungen durch immer neue Kredite zu finanzieren, solange kann das Spiel endlos weitergehen.

Kurz zusammengefaßt ist »Plan A« also der folgende: Der amerikanische Staat nimmt dem ansonsten schlicht bankrotten Finanzsektor einen erheblichen Teil der Forderungen ab, die letzterer damit abschreiben kann, ohne Verluste zu erleiden. Finanziert werden diese Käufe über höhere Staatsschulden, denn es ist völlig klar, daß der amerikanische Steuerzahler derartige Defizite niemals begleichen kann. Die Fed sichert dem Staat für seine Schulden mit ihren Anleihekäufen langfristig niedrige Zinsen, und sie trägt durch Wertpapierkäufe zusätzlich zur Rodung des toxischen Unkrauts bei den Finanzinstituten bei. Die billionenschwere Fed-Liquidität bringt die Kreditmaschinerie wieder in Schwung, die Bond- und Aktienkurse steigen. Die Banken, Zentralbanken und Privatanleger aus aller Welt gewinnen so ihren Glauben an das amerikanische Produktivitätswunder zurück und reißen sich erneut darum, ihr Geld im schwarzen Loch der US-Schuldenspirale zu versenken.

Ob die US-Regierung selbst an diesen Plan glaubt, ist schwer zu beurteilen. Zwar ist den heutigen Finanzmärkten vieles zuzutrauen und die US-Amerikaner tun derzeit alles, um ausländische Anleger in Watte zu packen. Die über 50 Milliarden Dollar Staatsgeld, die sie für Verbindlichkeiten der AIG an ausländische Banken überwiesen haben – davon übrigens allein zwölf Milliarden an die Deutsche Bank –, sind nur in diesem Kontext erklärbar. Angesichts einer zu erwarteten Bruttoemission amerikanischer Staatspapiere im Wert von über drei Billionen Dollar allein in diesem Jahr, ist jedoch auch ein anderes Szenario nicht von der Hand zu weisen. Dieses sieht so aus, daß zumindest die größeren und klügeren Marktteilnehmer die Kaufofferten der Fed nicht als Signal zum Einstieg betrachten, sondern als Möglichkeit, sich von ihren Dollarpapieren ohne Schaden zu verabschieden und mit ihrem Geld das Weite zu suchen. Wenn diese Reaktion dominiert, entsteht keine neue Blase, sondern ein Run aus dem Dollar, der durch jede weitere Geldspritze der Fed nur verstärkt wird.

Bei kleineren Ländern tritt dieser Effekt geradezu zwangsläufig ein. Deshalb führt dort – bei freiem Kapitalverkehr – das Anwerfen der Notenpresse nahezu immer zur Inflation. Denn kollabiert der Außenwert einer Währung, verteuern sich die Importe in extremer Weise, und zwar völlig unabhängig vom Stand der Nachfrage. Über importierte Vorleistungen und Rohstoffe verteuert sich schließlich auch die inländische Produktion. Daß Depression und Hyperinflation gut zusammenpassen, davon vermögen die Länder Lateinamerikas und Südostasiens ein leidvolles Lied zu singen. Leidvoll ist diese Sitution für solche Länder allerdings vor allem deshalb, weil sie in der Regel ihre Auslandsschulden in US-Dollar oder anderen »festen« Währungen haben und das Gewicht solcher Schulden durch den Wertverlust der eigenen Währung immer drückender wird.

Genau deshalb müssen kleinere Länder ein solches Szenario nach Möglichkeit vermeiden. Für die USA allerdings hat es nichts Bedrohliches. Denn die Vereinigten Staaten sind in der komfortablen Situation, durch Inflationierung ihrer Währung zugleich sowohl ihre inländischen Schulden als auch ihre gigantische Auslandsverschuldung schlicht weginflationieren zu können. Der Verdacht ist deshalb gar nicht so abwegig, daß die USA diese Strategie – zumindest als »Plan B« – in der Hinterhand halten und gezielt einschlagen werden, sollte sich »Plan A« als nicht durchführbar erweisen.

Entwicklungsländer sind Verlierer

Tatsächlich hätte eine Inflationierung des Dollar für die amerikanische Oberklasse wenige Nachteile und sehr viele Vorteile. Der entscheidende Vorteil wäre, daß die amerikanische Wirtschaft alle Schulden auf einen Schlag los wäre und quasi von Null anfangen könnte. Zu den Nachteilen gehört, daß der Dollar nach einem massiven Wertverlust seinen Leitwährungsstatus verlieren könnte. Damit verschwindet auch ein Teil der Profitmöglichkeiten des US-amerikanischen Bankensystems. Dennoch ist die Volkswirtschaft des Landes zu groß, als daß zu vermuten wäre, daß der Dollar künftig als Anlage- und Reservewährung gar keine Rolle mehr spielt. Ein anderer Nachteil wäre, daß die amerikanische Upperclass bei einer Dollarinflationierung natürlich einen Teil ihres Vermögens verlieren würde. Aber der Schaden ist relativ begrenzt, denn die wirklich Reichen in den USA halten ihr Geld in vielen Währungen, vor allem auch in Euro, der von einer Dollarentwertung nicht notwendigerweise mitbetroffen wäre. Inflationsresistent sind zudem sämtlicher Immobilienbesitz und alle Formen von Produktiveigentum und Aktien. Betriebskapital könnte, zumindest sofern es sich um Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe handelt, sogar wieder höhere Profite abwerfen, weil ein verfallender Dollar die Chance eröffnet, eine Exportoffensive mit konkurrenzlos billigen Produkten zu starten.

Verlierer einer massiven Dollarinflation wäre zum einen die amerikanische Mittelklasse, die einen Großteil ihrer Ersparnisse und ihrer Altersvorsorge verlieren würde. Leidtragende wären aber vor allem viele Schwellen- und Entwicklungsländer, die sich unter dem Druck des Währungsregimes der letzten Jahrzehnte Milliarden an Dollarreserven oft regelrecht abgehungert haben. Denn daß in einem System frei floatender Kurse nur jene Zentralbanken eine Chance besitzen, ihre Währungen zu verteidigen, die im Ernstfall spekulativer Attacken über hinreichende Reserven verfügen, hatte spätestens die Südostasienkrise Ende der Neunziger aller Welt vor Augen geführt. In der Folge waren die Währungsreserven der Schwellen- und Entwicklungsländer zwischen 2000 und Juli 2008 um 5,3 Billionen Dollar angewachsen. Ein großer Teil der riesigen Außenhandelsdefizite der USA in den letzten Jahren wurden durch die Zentralbanken dieser Länder finanziert. Neben China haben auch die ehemaligen südostasiatischen Tiger-Staaten Singapore, Thailand, Malaysia und Südkorea ihre Währungsreserven hochgefahren. Aber auch Rußland bringt 376 Milliarden Reservedollar auf die Waage, Brasilien 203 Milliarden, Mexiko über 80 Milliarden. Selbst relativ arme Länder wie Polen oder die Türkei haben annähernd 70 Milliarden Dollar aufgehäuft.

Ein großer Teil dieser Reserven ist in US-amerikanischen Staatsanleihen angelegt. Insgesamt ist etwa die Hälfte der derzeit umlaufenden sechs Billionen Dollar schweren US-amerikanischen Treasury-Bonds in ausländischer Hand. Der Anreiz für ein Land, seine Schulden wegzuinflationieren, wenn ein übergroßer Teil der Geschädigten im Ausland sitzt, sollte wirklich nicht unterschätzt werden. Für die USA wäre eine solche Politik schlicht die Fortsetzung der seit Jahrzehnten praktizierten Enteignung der »Dritten Welt« mit anderen Mitteln. Daß außer dieser dabei auch noch einige internationale Finanzinstitute und reiche Privatanleger über die Klinge springen müßten, dürfte Washington ebenfalls nicht beunruhigen. Immerhin hätten es letztere ja in der Hand, »Plan B« abzuwenden, indem sie weiter fleißig amerikanische Finanzpapiere kaufen und so darauf verzichten, das Kartenhaus zum Einsturz zu bringen.

Es ist wie bei einer Bank und einem überschuldeten Großkunden, dessen Konkurs den der Bank direkt nach sich ziehen würde. Es ist sehr wahrscheinlich, daß letzterer selbst dann noch sehr lange Kredit bekommt, wenn der Bankmanager längst weiß, daß er Geld in einen Bankrotteur versenkt. Aber irgendwann ist doch Schluß. Anders als besagter Großkunde hat die US-Oberschicht für diesen Fall allerdings mit der Inflationierung der eigenen Währung eine Masterstrategie, um für den eigenen Bankrott noch nicht einmal haften zu müssen. Über den Bankrott eines Wirtschaftssystems, dessen Lebensfähigkeit längst nur noch auf solchen Luftbuchungen beruht, muß man dagegen nicht viele Worte verlieren. Denn eigentlich wäre es natürlich auch keine schlechte Idee, den Leuten einfach höhere Löhne und bessere soziale Leistungen zu bezahlen, statt immer von neuem zu versuchen, die Nachfrage für Absatz und Export durch endlos steigende Schulden zu sichern.

Von Sahra Wagenknecht erschien zuletzt: »Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft«, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2008, 256 S., brosch., 14,90 Euro