Versickernde Geldflut

Analyse. Der Entstaatlichungswahn ist offenbar vorüber. Ein Blick auf die internationalen Konjunkturprogramme. [erschienen in Junge Welt vom 7./8. Februar 2009]

07.02.2009
Von Sahra Wagenknecht

Dieses Mal haben wir es nicht mit einer normalen Rezession zu tun, sondern mit einer systemrelevanten Krise, die so groß ist und eine derart strukturverändernde Zerstörungskraft entwickelt, daß man sie nicht einfach laufen lassen kann. (…) wir merken jetzt, daß die ganzen Theorien der letzten Jahre ins Elend führen.« Der das merkt, ist einer, der die neoliberalen Elendstheorien selbst mit großem Vergnügen vertreten hat: der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU).

Rezession, Depression, verlorenes Jahrzehnt – die Termini zur Beschreibung der Zukunft, auf die wir uns einzustellen haben, werden immer düsterer. Und die, die sie verwenden, sind zu nicht geringen Teilen just jene Mainstream-Ökonomen, die noch vor einem Jahr frohgemut von der Heilkraft freier Märkte und einem lang anhaltenden »Aufschwung« träumten. Die Verrücktesten unter ihnen sahen sogar ein neues »deutsches Wirtschaftswunder« erblühen.

Weithin ohne Beispiel – zumindest in den letzten 60 Jahren – ist das, was jetzt losbricht, durchaus. Nur die Richtung ist eine andere, als der Terminus »Wunder« nahelegt. Ein Einsturz um bis zu vier Prozent wird der deutschen Wirtschaft für dieses Jahr vorausgesagt, der Euroraum soll um etwa zwei Prozent schrumpfen. Dramatische Zahlen auch jenseits des Atlantiks. Rechnet man den Warenstau in den Lagern ab, ist die amerikanische Wirtschaft bereits im letzten Quartal 2008 um 5,1 Prozent in die Tiefe gerauscht – ungeachtet aller Tricks, mit denen das US-Wachstum in den Statistiken normalerweise schöngerechnet wird. Die Aussichten für 2009 sind trübe. Auch die Wachstumskräfte der Schwellenländer haben sich erschöpft. Für die globale Ökonomie erwartet der IWF bestenfalls Stagnation.

Woher soll es auch kommen? Das internationale Bankensystem ist praktisch insolvent, die Kreditvergabe eingefroren, die Kaufkraft fällt. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Armut schnellen nach oben. Zwei Millionen Arbeitsplätze wurden in den USA allein in den letzten vier Monaten vernichtet, fast drei Millionen Menschen in unfreiwillige Teilzeitjobs abgedrängt. Für 2009 wird mit dem Wegfall von weiteren drei bis fünf Millionen Jobs gerechnet. Bereits im September 2008 waren in den USA 31,5 Millionen Menschen auf Lebensmittelmarken angewiesen – so viele wie noch nie seit dem Start dieses Programms, das diejenigen, die im sozialen Nichts angekommen sind, zumindest vor dem Verhungern bewahren soll. Auch in Deutschland beginnt die Krise, zum eiskalten Jobkiller zu werden. Und auch hier gibt es dank Agenda 2010 fast keine soziale Abfederung für den Fall nach unten mehr. Eine gefährliche sich selbst verstärkende Abwärtsspirale droht.

Stütze für die Reichen

Im Angesicht dieser hoffnungslosen Situation ist mittlerweile selbst in die stickigsten Studierstuben der neoliberalen Angebotstheorie die Einsicht vorgedrungen, daß Kapitalismus ganz ohne Nachfrage doch nicht funktioniert. Und daß es Zeiten gibt, in denen nur der Staat für letztere sorgen kann. »Ich verstehe einfach nicht, weshalb so große Teile der Volkswirtschaftslehre nun diametral ihre Position ändern. Sind denn alle verrückt geworden«, verzweifelte unlängst im Spiegel (5/2009) der Hannoveraner Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg, einer der letzten aufrechten Neoliberalen, die entfesselte Märkte auch dann noch propagieren, wenn sie der herrschenden Klasse gerade nicht nützen.

Genau besehen, ist die plötzliche Wende in Lehre und Politik, die Homburg so irritiert, natürlich gar keine. Beide dienen vielmehr unverändert dem gleichen Herrn. Nur braucht der, seit er schwach und schwindsüchtig geworden ist, eben Pflege und warmen Tee statt wilder Partys und käuflicher Liebe. Weniger metaphorisch ausgedrückt: War es gestern der ungeregelte Markt, der verläßlich dafür sorgte, den oberen Zehntausend Einkommen und Vermögen zuzuschaufeln, brauchen sie heute unbedingt den Staat, um die Ausbeute jener flotten Jahre nicht wieder zu verlieren. Folgerichtig ist der staatliche Schlankheitswahn Geschichte und big ist wieder beautiful, wenn es um öffentliche Ausgaben geht.

Dürfen es noch fünf Milliarden mehr für erneuerte Straßen und bunt bemalte Schulen sein? Oder drei Milliarden für Frau Schaeffler? Oder 18 Miliarden für den netten Herrn Blessing von der Commerzbank? Dazu noch 20 Milliarden für ein paar Steuergeschenke? Es ist schon verblüffend: Derselbe Staat, der verbissen – und daran hat sich nichts geändert! – mit jedem ALG-II-Bezieher um zehn Euro feilscht, teilt mit lässiger Geste aus, sobald es um Summen oberhalb der Milliardenschwelle geht.

Nicht nur in Berlin, erst recht in Washington, Peking oder Tokio werden riesige Beträge in die Realwirtschaft gepumpt, um diese vor dem schleichenden Tod zu bewahren. Und wie die Geldflut, die im schwarzen Loch des Finanzsektors versickert, von Monat zu Monat anschwillt, wird auch bei den Konjunkturprogrammen immer wieder nachgebessert, sprich: draufgelegt. Das Konjunkturprogramm des neuen US-Präsidenten Obama, das gerade den Kongreß passierte, hat ein Volumen von beispiellosen 825 Milliarden Dollar. Der Senat wird das Programm voraussichtlich auf 890 Milliarden aufstocken. Auch eine Ausweitung auf über eine Billion Dollar hat Obama nicht mehr ausgeschlossen. Das chinesische Konjunkturprogramm, das die Wirtschaft mit öffentlichen Investitionen und Sozial­programmen vor dem Niedergang bewahren soll, beläuft sich auf 580 Milliarden Dollar. Die japanische Regierung will weit über 100 Milliarden Dollar in die Hand nehmen. Auch in Europa haben alle Länder, die es sich halbwegs leisten können, Konjunkturpakete geschnürt. Großbritannien kämpft mit 20 Milliarden Pfund gegen den wirtschaftlichen Absturz, Frankreich mit 26 Milliarden Euro und Deutschland mit 50 Milliarden. »Allmählich verliert man das Gefühl für die Größe der Zahlen …« sorgt sich schon das Handelsblatt.

Nachfrage- oder Profitsteigerung?

Allerdings, auf Größe allein kommt es nicht an, und die nackten Zahlen als solche sind wenig aussagekräftig. Wichtig ist zum einen, in welchem Zeitraum das Geld ausgegeben wird. Während drei Viertel des Obama-Pakets innerhalb der nächsten 18 Monate fließen sollen, werden größere Teile etwa des deutschen Programms erst 2010 wirksam. Zum anderen wird fröhlich manipuliert, indem ohnehin vorgesehene Ausgabenposten plötzlich als Teil von Konjunkturpaketen erscheinen. Besondere Energie im Hochrechnen ihrer Antikrisen-Aktivität entwickelte etwa die italienische Regierung, die nach eigenen Angaben ein Konjunkturprogramm in Höhe von 80 Milliarden Euro gestartet hat. Der reale Kern liegt nach Schätzungen der EU-Kommission bei höchstens sechs Milliarden. Auch das erste deutsche »Konjunkturpaket« vom Dezember 2008, dem offiziell ein Volumen von 30 Milliarden Euro zugeschrieben wurde, belief sich tatsächlich auf kaum ein Drittel dessen und wurde daher zu Recht schnell vergessen.

Die über die Erfolgschancen eines Konjunkturprogramms letztlich entscheidende Frage ist aber nicht nur, wie groß und wie schnell, sondern vor allem: Wer kriegt das Geld? Sind es Leute, die bereits relativ wohlhabend sind und daher viel sparen – dann verpufft der Effekt. Oder sind es Leute, die wenig haben und daher jeden zusätzlichen Euro mit Freude ausgeben – dann steigen Nachfrage und Absatz tatsächlich.

Der praktikabelste und schnellste Weg, die Wirtschaft auf Trab zu bringen, wäre ohne Frage eine radikale Umverteilung der Einkommen und Vermögen von oben nach unten. Dann würde sich das Nachfrageproblem von selbst erledigen. Denn es ist ja nicht so, daß es nicht genügend unerfüllte Wünsche und unbefriedigte Bedürfnisse gäbe. Das sozial Gerechte ist heute tatsächlich auch das einzig wirtschaftspolitisch Vernünftige.

Nur, es geht eben nicht einfach um Vernunft und Krisenbekämpfung. Es geht um Krisenbekämpfung unter Beibehaltung von Verteilungsverhältnissen, die hohe Profite auch in Zukunft möglich machen. Denn der einzige Grund, aus dem die kapitalistischen Eliten die Krise überwinden wollen, ist die Bewahrung und Stabilisierung ihrer Einkommen und Vermögen. Sie haben daher zwar ein großes Interesse an einer Erholung der Wirtschaft – aber zu ihren Konditionen! Der Widerspruch zwischen Nachfragesteigerung und Profitinteresse prägt sämtliche Konjunkturprogramme, die in den letzten Monaten aufgelegt wurden. Ihre Aufgabenstellung ist nicht einfach, Nachfrage zu schaffen. Sie müssen Nachfrage schaffen, die nicht – weder heute noch morgen – zu Lasten der Kapitalverwertung geht. Das ist nicht so leicht zu machen.

Keynesianische Krisenbekämpfung

Ehemalige Apologeten entfesselter Märkte wie Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) merken langsam, daß Kapitalismus ganz ohne Nachfrage nicht richtig funktioniert Grob zusammengefaßt, bestehen alle Konjunkturpakete aus drei Komponenten: öffentlichen Investitionsausgaben, Maßnahmen zur Ermutigung des privaten Konsums sowie direkten Hilfen für strauchelnde Wirtschaftsunternehmen, etwa in Form von Kreditgarantien oder Kapitalspritzen. Zusätzliche öffentliche Investitionen gehören zum keynesianischen Grundrepertoire und sind in den meisten Fällen nützlich. Gerade in einem Land wie den USA, wo dank des neoliberalen Entstaatlichungswahns seit langem Straßen verfallen, Brücken eher gesperrt als repariert werden, Schulfassaden bröckeln und öffentliche Bibliotheken verwahrlosen, wäre ein staatliches Investitionsprogramm sogar ohne Krise überfällig gewesen. Das gleiche gilt für Deutschland, dessen finanziell ausgehungerten Kommunen die öffentliche Infrastruktur jahrelang verrotten lassen mußten.

In Obamas Programm sind insgesamt 554 Milliarden Dollar für öffentliche Investitionen vorgesehen. Sie sollen dazu beitragen, die Erzeugung alternativer Energien in den nächsten drei Jahren zu verdoppeln, Straßen zu modernisieren und Schulen zu erneuern. Ähnliche Dinge sind in den meisten europäischen Ländern und auch im deutschen Konjunkturpaket vorgesehen. Letzteres ist mit mageren neun Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen pro Jahr allerdings nur eine unscheinbare Miniaturversion keynesianischer Antikrisenpolitik. Für einen ernsthaften konjunkturellen Effekt wäre wesentlich mehr gefordert, und auch der öffentliche Investitionsstau wird damit nicht beseitigt. Immerhin müßte der deutsche Staat pro Jahr etwa 25 Milliarden Euro mehr investieren, um auch nur den europäischen Schnitt zu erreichen.

Zudem ist Investition natürlich nicht gleich Investition. Es macht für den konjunkturellen Effekt beispielsweise einen erheblichen Unterschied, ob Unternehmen mit hoher oder mit niedriger Gewinnspanne, mit hoher oder niedriger Arbeitsintensität beauftragt werden. Je mehr Geld z. B. im Bausektor nicht nur der Sanierung maroder Fassaden, sondern zugleich der Sanierung der Profitrate großer Unternehmen dient, desto geringer ist der Einkommensmultiplikator und desto kleiner damit auch die Wirkung auf die gesamte Wirtschaftsaktivität. Eine weitere Frage ist der konkrete Inhalt der Investition. Übelriechende Schultoiletten zu sanieren ist zweifelsohne sinnvoll, die bröckelnden Fassaden von Bundeswehrkasernen aufzupolieren, wie im deutschen Konjunkturpaket ebenfalls vorgesehen, ist dagegen eher eine klammheimliche Erhöhung der Militärausgaben.

Bei der zweiten Komponente der Konjunkturpakete, den Maßnahmen zur Erhöhung des privaten Konsums, ist der Verteilungseffekt der allein entscheidende. Die zwei Hebel, die hier im Zentrum der Debatte stehen, sind Konsumschecks versus Steuererleichterungen. Steuererleichterungen begünstigen fast immer Besserverdienende, da die naturgemäß mehr Steuern zahlen. Niedrigverdiener, Arbeitslose oder Schwarzarbeiter – also gerade diejenigen, die Geld am dringendsten brauchen – gehen bei Steuergeschenken leer aus, was diese konjunkturpolitisch ziemlich wertlos macht. Interessenpolitisch freilich gehören Steuerentlastungen zum neoliberalen Kanon, und gerade Krisen sind eine gute Gelegenheit durchzusetzen, was in Aufschwungzeiten noch nicht gelungen war.

Nur ein Strohfeuer

In der Tat sieht das amerikanische Konjunkturprogramm Nachlässe des Fiskus im Volumen von 275 Milliarden Dollar vor. Und die 70 Milliarden, die der Senat noch aufstocken will, bestehen ausschließlich aus Steuerentlastungen. Zu Recht kritisiert daher der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: »Viel zu viele Steuersenkungen, die nicht viel bringen und weder zu mehr Investitionen führen noch gezielt solchen Leuten zugute kommen, die das Geld auch ausgeben.« Im deutschen Konjunkturprogramm steht die Verschleuderung öffentlicher Gelder mittels Steuergeschenken erst recht im Vordergrund. Die Senkung von Freibetrag und Eingangssteuersatz einschließlich Verschiebung des Tarifverlaufs kostet etwa neun Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommt die Senkung der Krankenkassenbeiträge, die den Beschäftigten wenig, den Unternehmen dagegen viel bringt. Zur verteilungspolitischen Wirkung der Steuersenkungen hat sich die Bundesregierung in dankenswerter Offenheit geäußert: Bezieher von Jahreseinkommen bis zu 10000 Euro bekommen nach ihrer Rechnung von dem Geschenkpaket dürftige 0,15 Milliarden Euro. Bezieher von Jahreseinkommen oberhalb von 53000 Euro machen dagegen einen Reibach von 1,45 Milliarden. Das mag für die Reichen in Tagen trüber Börsenstimmung tröstend sein; sonst freilich ist damit nichts gewonnen.

Eine besondere Art der Steuersenkungen haben die Briten getestet, nämlich die Minderung der Mehrwertsteuer um 2,5 Prozentpunkte. Da indirekte Steuern regressiv wirken, also Einkommensschwächere überproportional belasten, scheint die Senkung solcher Steuern auf den ersten Blick eine vernünftige Sache zu sein. Das Problem ist allerdings, daß sinkende Mehrwertsteuern in der Regel nicht über die Preise weitergegeben, sondern von den Unternehmen zur Sanierung ihrer Bilanzen genutzt werden. Inzwischen hat auch die britische Regierung festgestellt, daß diese Maßnahme, die sie 2009 immerhin 14 Milliarden Euro kosten wird, ein völliger Blindgänger war.

Bleiben sogenannte Konsumschecks, also Geldgeschenke, die der Staat jedem Einwohner oder bestimmten Einkommensgruppen machen kann. Zumindest soweit solche Schecks ärmeren Haushalten zugute kommen, dürften sie sich eins zu eins in steigenden Konsumausgaben niederschlagen. Das Problem ist allerdings, daß solche Schecks, die etwa in den Konjunkturprogrammen von Japan und Frankreich enthalten sind, in der Regel nur einmal verteilt werden und schon deshalb kaum mehr als ein Strohfeuer anzünden können. Obama verzichtet wohl auch deshalb darauf, weil sein Vorgänger Bush dieser Art Geschenke bereits im Vorjahr unter die Leute gebracht hatte – ohne Effekt. Auch die 100-Euro-Einmalzahlung pro Kind in Deutschland gehört in diese Rubrik, ebenso die Abwrackprämie für Autos. Eine Weltwirtschaftskrise wird so nicht überwunden.

Soziale Abstinenz

Tatsächlich wirkungsvoll wäre dagegen eine Anhebung der unteren Löhne – etwa durch Einführung bzw. Steigerung des Mindestlohns – und die deutliche Aufstockung sozialer Transferleistungen. Lediglich sieben Milliarden Euro müßte beispielsweise die öffentliche Hand in Deutschland aufbringen, um die Hartz-IV-Sätze um 100 Euro pro Bezieher und Monat zu erhöhen – sieben Milliarden, die sich direkt in zusätzliche Konsum­ausgaben verwandeln würden. Die Einführung des französischen Mindestlohns von 8,71 Euro in Deutschland würde auf einen Schlag sogar 13 Milliarden Euro an zusätzlicher Kaufkraft freisetzen. Nur – solche Maßnahmen schmecken den Kapitaleignern natürlich nicht. Die hilflose Idee der Konsumschecks wurde vermutlich gerade aus dieser Aversion heraus geboren.

Beim Schnüren des deutschen Konjunkturpakets ist sichtlich darauf geachtet worden, die sozialstaatliche Komponente so winzig wie möglich zu halten. Mehr als eine Erhöhung des Existenzminimums für arme Kinder – was nach dem jüngsten Urteil des Bundessozialgerichts sowieso geboten war – ist nicht vorgesehen. In den USA sind ein Ausbau der Arbeitslosenunterstützung und der Krankenversicherung sowie zusätzliche Lebensmittelmarken eingeplant. Üppig freilich ist auch das nicht und schon gar kein Versuch, die schamlose Einkommensumverteilung der letzten Jahre – immerhin sind in den USA seit 2001 96 Prozent aller Einkommenszuwächse allein den oberen zehn Prozent der Reichsten zugute gekommen – auch nur ansatzweise zu korrigieren. In punkto sozialer Abstinenz stimmen fast alle Konjunkturpakete überein, und genau darin liegt der wichtigste Grund ihrer absehbar begrenzten Wirksamkeit.

Die dritte Komponente, Unternehmen direkte Unterstützungszahlungen zukommen zu lassen, verstärkt den verteilungspolitischen Aberwitz noch. Es ist selbstredend viel teurer, in Bedrängnis geratenen Unternehmenseigentümern den Geschäftsbetrieb zu finanzieren, als Arbeitsplätze und Produktion in einem öffentlichen oder ins Eigentum der Belegschaft übertragenen Betrieb weiterzuführen. Denn im letzteren Fall würde für die Verbindlichkeiten des Unternehmens erst einmal das gesamte haftende Kapital der alten Eigentümer herangezogen, bevor der Staat die Brieftasche zückt. Außerdem müßten dann nur noch die Löhne erwirtschaftet werden, aber keine Kapitalausschüttungen mehr. Und drittens besteht überhaupt nur dann auch die Chance auf eine grundlegende Veränderung des Geschäftsmodells: Weg von blinder Renditejagd und hoher Ausschüttungsquote. Nur dadurch kann vermieden werden, daß im nächsten Aufschwung der ganze Wahnsinn wieder von vorn beginnt.

Immerhin ist heute ein Hauptadressat der geplanten Steuermilliarden die Automobilindustrie, einschließlich ihrer Zulieferer, also ein Sektor, dem es in den letzten Jahren in den meisten Ländern außerordentlich gut ging und der unvorstellbare Summen für den Rückkauf eigener Aktien und die Zahlung von Dividenden verschleudert hat. Den geldgebadeten Aktionären jetzt mit Staatsgeld die Verluste abzunehmen, ist mindestens so dreist wie die Schaffung steuerfinanzierter Müllhalden für die Schrottpapiere der Finanzinstitute.

Der interessenpolitische Hintergrund der Konjunkturprogramme zeigt sich übrigens auch darin, daß sie immer darauf angelegt sind, in erster Linie den heimischen Konzernen Nutzen zu spenden. Das, wie auch der spürbar stärker werdende Hang zum Protektionismus, sind untrügliche Belege dafür, daß die nationale Zuordnung selbst im Falle global aufgestellter Weltkonzerne ihre Bedeutung nicht verloren hat. Allen Globalisierungshymnen zum Trotz wissen die Kapitaleigner am Ende ganz gut, an welchen Staat sie sich halten müssen. Auch der Fakt, daß das deutsche Konjunkturprogramm relativ bescheiden ausgefallen ist, hat übrigens mit Befindlichkeiten in den oberen Etagen der deutschen Konzerne zu tun. Da die meisten DAX-Unternehmen vor allem vom Export – und damit von den Konjunkturprogrammen der anderen Länder – leben, ist die Verausgabung von Steuermitteln zur Nachfragestimulierung in Deutschland in ihren Augen schlichte Geldverschwendung.

Verschuldungsspirale

Wer viel ausgibt, muß natürlich auch viel einnehmen – oder sich ungeniert verschulden. Die Staaten setzen gegenwärtig auf letzteres. Die US-Regierung erwartet für dieses Jahr ein öffentliches Defizit in Höhe von 1,2 Billionen Dollar – über acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Europa steht nicht viel besser da. Obwohl der Maastricht-Vertrag, hinter dem sich die neoliberalen Austeritätsfanatiker seit über 15 Jahren versammeln konnten, eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent des BIP vorschreibt, erwartet Irland zum Beispiel in diesem Jahr eine Neuverschuldung von elf und im nächsten sogar von 13 Prozent. Frankreich und Spanien werden 2009 mit einer Neuverschuldung von 5,4 bzw. 6,2 Prozent aufwarten. In Deutschland wird wohl eine Vier vor dem Komma stehen.

Nun ist es natürlich nicht von Schaden, wenn der Vertrag von Maastricht endlich Makulatur wird, aber eine gute Lösung wäre exzessive Staatsverschuldung selbst dann nicht, wenn die Ausgaben vom ersten bis zum letzten Euro vernünftig wären. Denn da auch öffentliche Schulden nicht unbegrenzt erweiterbar sind, ohne irgendwann im Bankrott zu enden, sind die Schulden von heute fast immer die Rechtfertigung für rabiate Ausgabenkürzungen von morgen. Die einzige Alternative dazu ist, diejenigen für die Krise zahlen zu lassen, die sie zu verantworten und die von der vorangegangenen Party wirklich profitiert haben. Mittel dafür gäbe es – Stichwort Millionärssteuer. Allerdings wird ganz sicher nicht die wirtschaftspolitische Einsicht der Herrschenden, sondern höchstens der massive Druck der sich wehrenden Beherrschten eine solche Lösung erzwingen können. Der Generalstreik am 29. Januar in Frankreich könnte ein Anfang gewesen sein.

Von Sahra Wagenknecht erschien zuletzt: »Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft«, Das Neue Berlin, Berlin 2008, 256 S., brosch., 14,90 Euro, ISBN 978-3360019561