Sahra Wagenknecht

Überwindung des Kapitalismus als Neuanfang

Rezension von Christian Klemm in der Tageszeitung "Neues Deutschland" vom 12.01.2009

14.01.2009

Nun hat auch Sahra Wagenknecht eine Analyse der Finanzkrise veröffentlicht. Ihre These: Die Misere auf den globalen Finanzmärkten war und ist Teil der kapitalistischen Ökonomie. Ein Ausweg biete nur die Überwindung des Kapitalismus selbst.

Die Finanzkrise reißt die internationale Wirtschaft in eine Rezession. Ein Anstieg von Arbeitslosigkeit und Verarmung wird mittlerweile von Ökonomen aller politischen Couleur prognostiziert. Dabei ist der gegenwärtige Finanzirrsinn an den internationalen Börsen nichts Ungewöhnliches, seine ökonomischen Auswirkungen diesmal nur außerordentlich heftig. Finanz- und Wirtschaftskrisen zählen seit jeher zu den Charakteristika des kapitalistischen Herrschaftssystems, meint Sahra Wagenknecht, Abgeordnete des Europaparlaments und Vorstandsmitglied der LINKEN, in ihrem neuen Buch »Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft«.

Mit dieser Meinung schließt Wagenknecht nahtlos an die Analysen von Marx und Engels an. Diese erkannten den Zyklus von Auf- und Abschwung im Kapitalismus als ein gesetzmäßiges Phänomen. Ebenso sei nach Wagenknecht die Spekulation Teil dieses Systems. Die Politikerin benennt mit der niederländischen Tulpenmanie von 1636 eine Krise des feudalistischen Kapitalismus, die bereits typische Merkmale einer Spekulationsblase aufzeigt. Tulpenzwiebeln waren zu damaliger Zeit ein begehrtes Spekulationsobjekt. Immer mehr Händler investierten in Tulpen, verschuldeten sich und der Wert der Blumen stieg unaufhaltsam. »Einige größere Spekulanten verkauften ihre Tulpendepots, die Preise hörten auf zu steigen und die plötzliche grassierende Angst vor einem Preisverfall führte dazu, dass immer mehr Zwiebeln auf den Markt geworfen wurden. Weil alle verkauften, aber niemand mehr kaufen wollte, stürzten die Preise ins Nichts.« Ein Großteil der Händler war ruiniert.

Ein ähnliches Muster zeigte die »New-Economy«-Krise (auch: »dot.com-Blase« genannt) um die Jahrtausendwende. Spekulationsobjekt waren Aktien von Computer-, Kommunikations- und Medienfirmen. Unmittelbarer Auslöser der aktuellen Finanzkrise waren dagegen Wertpapiere, in denen US-amerikanische Hypothekenkredite gebündelt wurden. Bei allen Finanzblasen spielten Kredite die zentrale Rolle, »denn immer wurde die Nachfrage im Verlauf der Blase durch Kredite aufgebläht (...) und sie platzten, sobald dieser Wachstumsmotor zu stottern begann«.

Detailliert schildert Wagenknecht die Krise des Immobilienmarktes, ausgelöst durch himmlische Kreditangebote der Privatbanken, und berichtet von den erschreckenden Konsequenzen. 2007 kamen 2,2 Millionen Häuser unter den Hammer, »Tendenz steigend«. Im Juni 2008 waren es schon 8000 Eigenheime pro Tag. Da in den USA kaum nennenswerte sozialstaatliche Einrichtungen existieren, stürzten viele ehemalige Hausbesitzer regelrecht ab: »In Wahrheit stehen die Betroffenen am Ende meist noch sehr viel ärmer und verzweifelter da als vor ihrem Ausflug in die Welt der Eigenheimbesitzer«, schreibt Wagenknecht. Ein enormer Schuldenberg drücke die US-Konsumenten, beinahe alles sei auf Pump finanziert. Die gesamten Kreditkartenschulden der amerikanischen Haushalte betrügen knapp eine Billion US-Dollar. »Eine Familie, die im Jahr 40 000 Dollar verdiente, hatte damit durchschnittlich 50 000 Dollar Schulden am Hals und allein Zinszahlungen von vielleicht 400 Dollar im Monat.«

Die Autorin plädiert für die Überführung der Finanzwirtschaft in öffentliches Eigentum unter strenger demokratischer Kontrolle. Ein öffentliches Bankensystem bräuchte klare Vorgaben, die es auf gemeinwohlorientiertes statt renditefixiertes Wirtschaften und eine gemeinnützige Gewinnverwendung festlegen. Dadurch wären Konten zu guten Konditionen auch für Einkommensärmere möglich, könnten kleinere Unternehmen zinsgünstige Kredite erhalten und Ersparnisse der regionalen Entwicklung zugeleitet anstatt in komplexen Derivaten verzockt werden.

Ein Neuanfang sei ausschließlich durch die Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems möglich. Dieser verlange die demokratisch kontrollierte Entwertung der Vermögens- und Schuldenblase in einer Form, die die »oberen Zehntausend«, aber nicht die große Mehrheit der Menschen trifft, so Wagenknecht. Mit Bezug auf die materialistische Geschichtsauffassung von Marx folgert sie: »In der Geschichte entsteht immer Neues. Es muss nur genügend Menschen und ausreichend starke politische Kräfte geben, die dieses Neue wollen und für seine Durchsetzung kämpfen.«


Sahra Wagenknecht: »Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft«, Verlag Das Neue Berlin, 2008, 254 Seiten, 14,90 Euro.