Sahra Wagenknecht

Die Opposition zur Ampel-Politik nicht Merz oder Weidel überlassen

Gastkommentar von Sahra Wagenknecht in der Tageszeitung "Junge Welt", erschienen am 10.September 2022

12.09.2022
Sahra Wagenknecht

Was ein paar irre Grüne, aber auch Friedrich Merz von der CDU schon im Frühjahr gefordert haben, hat Putin jetzt wahr gemacht: Aus Russland kommt kein Gas mehr und die Energiepreise sind so hoch, dass es vielen Betrieben das Genick bricht und Millionen Menschen in Armut und Verzweiflung getrieben werden. Daran ändert auch das neue Entlastungspäckchen wenig, das die Bevölkerung mit Kleinbeträgen und vagen Versprechungen ruhigstellen solll.

Die Ampel steuert unser Land in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe. Jeder dritte Betrieb ist existenzgefährdet, selbst ein Blackout beim Strom ist nicht mehr ausgeschlossen, und während Öl- und Rüstungskonzerne Rekordgewinne vermelden, sollen Verbraucher in Deutschland über eine Gasumlage, die sich Wirtschaftsminister Habeck von der Energielobby diktieren ließ, noch zusätzlich blechen.

Europa und insbesondere Deutschland haben im Sanktionspoker mit Russland ein schlechtes Blatt. Es wäre verrückt, damit weiter zu reizen bis womöglich noch China ins Spiel eingreift. Und was hilft es den Menschen in der Ukraine, wenn hierzulande Familien verarmen und unsere Industrie ruiniert wird? Davon abgesehen hat es auch nichts mit Solidarität zu tun, wenn wir die ukrainische Führung durch Waffenlieferungen ermuntern, die eigene Bevölkerung für unrealistische Kriegsziele wie die Rückeroberung der Krim zu verheizen.

Wer in der Konsequenz einen Ausstieg aus der Sanktionsspirale und Verhandlungen mit Russland fordert, läuft allerdings Gefahr, als Kreml-Propagandist diffamiert und in die rechte Ecke gestellt zu werden. Die Debatte ist wirklich krank: wer für Frieden ist, ist rechts, wer militärische Härte befürwortet, links? Und warum werden Linke als AfD-nah denunziert, wenn sie die Aufhebung von Russland-Sanktionen fordern, nicht aber ein Herr Merz, wenn er – im Einklang mit der neoliberalen AfD – schärfere Sanktionen für Erwerbslose fordert?

Die Antwort auf die “America First“-Politik von Baerbock, Merz & Co. heißt nicht „Deutschland über alles“ - so wenig wie wir russische Nationalisten unterstützen können, nur weil wir Faschisten in der Ukraine gräßlich finden. Umgekehrt gilt das gleiche. Selbstverständlich mobilisieren wir auch nicht gemeinsam mit Rechstaußen zu sozialen Protesten. Aber was können wir machen, wenn Rechte zu unseren Kundgebungen aufrufen, wenn sie uns Beifall spenden, weil sie genau wissen, dass uns dies schadet? Eines ist klar: Wir dürfen die Opposition zur Ampel-Politik weder Herrn Merz noch Frau Weidel überlassen! Wir dürfen keinen Wochentag und kein gutes Argument den Rechten überlassen. Wer richtige und populäre Positionen räumt, nur weil sie teilweise auch von der AfD vertreten werden, hat den Kampf schon verloren, bevor er begonnen hat.