Sahra Wagenknecht

Putin, Krieg und Krisen: Was Sahra Wagenknecht ihrer Partei jetzt rät

Sahra Wagenknecht im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, erschienen am 22. Juni 2022

22.06.2022
Uwe Westdörp

Wie kommen die in der Wählergunst abgestürzten Linken wieder auf die Beine? Wie steht es um die Unterstützung der Ukraine? Und sollte man weiter auf eine "Sicherheitspartnerschaft" mit Russland setzen? Fragen an die Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht mit Blick auf Krieg, Krisen und dem Bundesparteitag am Wochenende in Erfurt. 

Frau Wagenknecht, die Linke hat sowohl bei der Bundestagswahl als auch bei den drei Landtagswahlen dieses Jahres desaströs abgeschnitten. Jetzt plädieren Sie kurz vor dem Parteitag in Erfurt  für eine “populäre Linke”. Welche Themen würden die Linken denn wieder populär machen.

Die Themen liegen auf der Hand. Viele Menschen machen sich größte Sorgen, wie sie mit ihren Einkommen über den Monat kommen. Wir haben extreme Preissteigerungen, für die die Bundesregierung eine Mitverantwortung trägt. Die Teuerung ist ja nicht primär Folge des Ukraine-Kriegs, sondern Folge der Sanktionen gegen Russland, die - wie man inzwischen sieht - vor allem uns selbst schaden, während Putins Einnahmen durch die hohen Preise sogar steigen. Und es gibt ganz viele Menschen, die berechtigte Angst haben, dass der Krieg irgendwann eskalieren könnte, die die Lieferung schwerer Waffen ablehnen und sich endlich wieder Verhandlungen über ein Ende des Krieges wünschen.

Und daraus folgt?

Auch wir verurteilen Russlands verbrecherischen Angriffskrieg. Aber die Linke sollte die Stimme all derer sein, die sich für eine diplomatische Lösung, für westliche und ukrainische Kompromissbereitschaft und für ein schnelles Ende des Kriegs einsetzen. Wir müssen es entschieden ablehnen, einen womöglich jahrelangen Stellungskrieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen zu munitionieren.

Ausgerechnet beim Thema Ukraine gibt es aber Streit, ausgelöst durch einen Änderungsantrag, den Sie und andere gestellt haben…

Seit Tagen laufen Meldungen, dass wir angeblich mit unserem Antrag die Solidarität mit der Ukraine streichen wollten. Das ist eine bewusste Verfälschung, denn auch bei Annahme unseres Antrages wären an vielen Stellen Solidaritätsbekundungen mit der ukrainischen Bevölkerung im Leitantrag erhalten geblieben. Aber wir werden jetzt auch ausdrücklich die immer wieder zitierten Passagen übernehmen und ändern dafür unseren Antrag.

Was erhoffen sie sich davon?

Ich hoffe, dass dann endlich über das diskutiert wird, worum es in unserem Antrag wirklich geht: zum einen, dass die Linke die unsägliche Zeitenwende-Rhetorik nicht mitmachen darf. Verbrecherische Kriege, bei denen es um Großmacht-Ambitionen und Einflusssphären geht, sind leider überhaupt nichts Neues auf dieser Welt. Und die Linke sollte zum anderen nicht hinter dem Papst zurückbleiben, der darauf hingewiesen hat, dass das "Bellen der NATO an Russlands Tür" für den Ausbruch des Krieges mitverantwortlich war. Der Ukraine-Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen, aber er wäre vermeidbar gewesen. Die Mitverantwortung des Westens, insbesondere der USA zu benennen, darf für eine linke Partei kein Tabu sein.

Welches Signal sollte am Ende von Erfurt ausgehen.

Es darf kein “Weiter so” geben. Ich wünsche mir, dass die Linke auf dem Parteitag einen Neuanfang schafft mit neuen Gesichtern, aber auch mit einer Rückbesinnung auf den Gründungskonsens der Linken, mit dem wir ja immerhin einmal sehr erfolgreich waren. Wir müssen wieder die politische Kraft werden, die in den Augen der Menschen klar für mehr soziale Gerechtigkeit und für Frieden steht. Wenn wir es schaffen, geeint einen solchen Kurs zu vertreten, dann hat die Linke gute Chancen, wieder mehr Zustimmung bei den Wählern zu gewinnen. Wahrscheinlich ist der Parteitag die letzte Möglichkeit, noch einmal das Ruder herumzureißen.  

Denn zerstrittene Parteien werden nicht gewählt…

Ja. Viele wissen nicht mehr, wofür die Linke eigentlich steht. Sie vertritt in wichtigen Fragen gegensätzliche Positionen. Wir lehnen mehrheitlich Waffenlieferungen an die Ukraine ab, aber einige Funktionsträger werben öffentlich dafür. Oder: Wir weisen im Bundestag auf die desaströsen Folgen eines Ölembargos gegen Russland für die Inflation und die Wirtschaft in Deutschland hin, aber einige in der Parteiführung wollen am liebsten alle russischen Öl- und Gasimporte sofort stoppen, was die Lebenshaltungskosten natürlich noch mehr in die Höhe treiben würde. Da wenden sich die Leute entsetzt ab.

Billige Energie aus Russland wird in jedem Fall auf absehbare Zeit fehlen. Müssen wir uns auf Wohlstandsverluste einstellen?

Die Frage ist: Wie sinnvoll sind Sanktionen, die vor allem uns selbst schaden? Dadurch, dass wir die Preise durch die Sanktionen in die Höhe getrieben haben, hat Russland zwar weniger verkauft, aber mehr erlöst, also die russischen Einnahmen sind gestiegen. Die Menschen in Deutschland leiden dagegen unter immer höheren Preisen, auch unsere Industrie und Hunderttausende Arbeitsplätze sind in akuter Gefahr - das ist doch eine völlig bescheuerte Politik. Diese Sanktionen sollten sofort gestoppt werden.

Sie meinen alle Sanktionen?

Nicht alle. Man sollte natürlich Oligarchen sanktionieren, die den Krieg unterstützen. Auf die russische Kriegsführung allerdings wird auch das wenig Einfluss haben. Der Krieg ist nur auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Und er ist nur zu beenden, wenn die Ukraine sich von unrealistischen Maximalzielen verabschiedet. Sie wird auf ihre Nato-Ambitionen verzichten müssen, wenn Verhandlungen über einen Waffenstillstand Aussicht auf Erfolg haben sollen. Wahrscheinlich wird es, wie selbst NATO-Generalsekretär Stoltenberg angedeutet hat, auch territoriale Zugeständnisse geben müssen. Aber was ist die Alternative? Dass die Ukraine in ein, zwei Jahren ein völlig zerstörtes, entvölkertes Land sein wird.

Russland, so argumentieren Sie, habe sich durch die Nato bedroht gefühlt. Aber was ist so gefährlich an einem Verteidigungsbündnis, dem Russland Anfang der 1990er Jahre sogar einmal selbst beitreten wollte?

Man muss die russische Sicht nicht teilen, aber die Russen haben sich durch die NATO-Osterweiterung, die ja zugleich eine Ausweitung der US-Einflusszone bis an die russische Grenze war, immer bedroht gefühlt. Immerhin hat die NATO in den letzten Jahren massiv aufgerüstet und gibt mittlerweile 18 mal so viel für Waffen aus wie Russland. Wichtige Abrüstungsverträge wurden durch die USA gekündigt und Raketenbasen in Polen und Rumänien eingerichtet, von denen aus Raketen Moskau in wenigen Minuten erreichen können. Die USA und ihre NATO-Verbündeten haben Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, dem Irak und Libyen geführt und dabei den UN-Sicherheitsrat und damit auch Russland demonstrativ missachtet. Die NATO ist schon lange kein reines Verteidigungsbündnis mehr, sondern hat mit ihrer Aufrüstung und ihren Kriegen zur Instabilität auf der Welt beigetragen. Selbst auf ukrainischem Territorium gab es große Nato-Manöver im vergangenen Jahr und die Stationierung von 2000 US-Soldaten. Die russische Führung hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht hinnehmen wird. Selbst wer die russischen Sorgen für unbegründet hält, hätte sie ernst nehmen müssen.

Sie wollen den Krieg in der Ukraine “historisch” einordnen.  Wie bewerten Sie dann die Abkehr vom Budapester Memorandum, in dem Russland der Ukraine  politische Unabhängigkeit garantiert und den Schutz der Grenzen versprochen hat?

Keine Frage: dieses Memorandum hat Russland mit seinem Überfall mit Füßen getreten. Es stimmt aber auch, dass damals in der Verfassung der Ukraine Neutralität verankert war. Henry Kissinger hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Ukraine bei dieser Position bleiben sollte, um einen Konflikt mit Russland zu vermeiden. Und man kann sich natürlich auch fragen, ob die USA die ukrainische Souveränität respektiert haben, als sie 5 Milliarden Dollar eingesetzt haben, um eine US-hörige Regierung in Kiew an die Macht zu bringen.

Die Linkspartei hat bisher für eine “Sicherheitspartnerschaft” mit Russland plädiert. Gilt das auch mit Blick auf Wladimir Putin? Wäre der Diktator ein verlässlicher Partner? 

Russland ist mehr als Putin. Und Russland wird auch nach Putin unser großer europäischer Nachbar sein. Da Russland zugleich die zweitgrößte Atommacht der Welt ist, müssen wir eskalierende Konflikte und einen möglichen Krieg mit allen Mitteln verhindern. Sicherheitspartnerschaft heißt ja nicht blindes Vertrauen, sondern das Bemühen um die diplomatische Lösung von Konflikten, Verstehen der Interessen des Anderen und vertrauensbildende Maßnahmen. Einen anderen Weg gibt es nicht, wenn Europa nicht irgendwann zum atomaren Schlachtfeld werden soll. Ganz abgesehen davon, dass Deutschland als Industriestandort natürlich auch ein vitales wirtschaftliches Interesse an russischen Rohstoffen und preiswerter russischer Energie hat.

Sehr viele Menschen in Europa sind gerade sehr froh, dass es die Nato gibt. Sie auch? Oder sind Sie immer noch für einen Austritt aus der Nato?

Einfach nur raus aus der Nato, ohne Ersatz, war nie eine Position der Linken. Wir haben immer für ein Sicherheitsbündnis geworben, das die Nato ersetzt. Ich bin für ein solches Bündnis, das sich statt um Aufrüstung um Abrüstung und Entspannung bemüht und in dem die Mitglieder auf Augenhöhe zusammenarbeiten, ohne eine Vormacht, deren Interessen dominieren wie die der USA in der Nato. Die Nato sollte ersetzt werden durch ein echtes Verteidigungsbündnis, das unsere Welt friedlicher und stabiler macht.

Eine Vielzahl deutscher Politiker, auch ihr Parteifreund Gregor Gysi, war schon in der Ukraine. Haben auch Sie vor, dorthin zu fahren?

Ich glaube nicht, dass der Ukraine mit letztlich ergebnislosem Polittourismus geholfen wird. Ich bin solidarisch mit der Bevölkerung der Ukraine, habe wie sehr viele auch gespendet, selbstverständlich. Ich finde, dass man alles tun muss, um die Menschen zu unterstützen, die fliehen, und auch die, die noch vor Ort sind. Da könnte auch die Bundesregierung viel mehr tun, statt Waffen zu liefern. Die größte Hilfe wäre, wenn wir dazu beitragen, diesen Krieg so schnell wie möglich auf dem Verhandlungsweg zu beenden.

Interview Wagenknecht | NOZ