"Völlig absurd": Wagenknecht fühlt sich als Impfgegnerin diffamiert

Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung, erschienen am 3. November 2021

11.11.2021
Uwe Westdörp

"Das ist absurd." Sahra Wagenknecht sieht sich im Streit um Corona-Impfungen zu Unrecht als Impfgegnerin diffamiert. Damit wehrt sie sich im Interview mit unserer Redaktion auch gegen Kritik aus der eigenen Partei.

Frau Wagenknecht, Sie haben erläutert, warum Sie sich nicht impfen lassen wollen. Nun heißt es aus dem Parteivorstand, man werde "Wagenknecht nicht mehr erklären". Andere werfen Ihnen "Schwurbelei" und die Gefährdung von Menchenleben vor. Überrascht Sie die herbe Kritik auch aus der eigenen Partei? Fühlen Sie sich aktuell noch wohl in der Partei?

Es sind immer die gleichen Leute, die mich schon seit Jahren bekämpfen und jetzt versuchen, mich öffentlich als Impfgegnerin zu diffamieren. Das ist völlig absurd. Ich habe nicht gegen die Impfung geworben, sondern ausdrücklich Älteren und Risikogruppen geraten, sich impfen zu lassen. Ich habe mich dagegen gewandt, dass Ungeimpfte moralisch geächtet und finanziell erpresst werden und jetzt als Sündenbock für die Versäumnisse der Politik herhalten sollen.

Werden da auch alte Rechnungen aufgemacht? Immerhin stehen Sie ja unter anderem mit Ihrer Kritik an "Lifestyle"-Linken seit Langem in der Kritik?

Ja, im Kern geht es bei diesen Empörungsritualen kaum um das jeweilige Thema, sondern in erster Linie darum, mich anzugreifen und öffentlich in ein schlechtes Licht zu setzen. Es ist Parteiposition der Linken, dass wir eine Impfpflicht ablehnen. Dass wir kostenlose Tests fordern. Nichts anderes habe ich vertreten.

Warum ist es in Ihren Augen nicht solidarisch, wenn ich mich impfen lasse und dann von mir ein geringeres Impfrisiko ausgeht?

Der Impfung schützt vor allem vor schweren Verläufen. Das ist wichtig, aber eine andere Frage ist, ob Geimpfte sich infizieren und das Virus weitergeben können. Dass sie das tun, belegen nicht nur neuere Studien, sondern auch die aktuelle Situation. Die Inzidenzen sind höher als vor einem Jahr. Wenn das Virus fast nur noch unter den knapp 20 Prozent ungeimpften Erwachsenen zirkulieren würde, müsste das anders sein - trotz Delta-Variante. Nach den Zahlen des RKI betrifft über 40 Prozent aller Erkrankungen und über 25 Prozent der Intensivfälle heute Geimpfte. Deshalb ist es unredlich, von einer „Pandemie der Ungeimpften“ zu reden und die Impfentscheidung moralisch aufzuladen. Wer sich schützen möchte, sollte sich impfen, aber es muss eine individuelle Entscheidung bleiben.

Wenn Sie dem Impfen so skeptisch gegenüberstehen und damit auch andere beeinflussen: Welche Strategie empfehlen Sie für den kommenden Corona-Winter? Brauchen wir schnelle Booster-Impfugen für alle? Braucht es wieder mehr Tests und verschärfte Regelungen am Arbeitsplatz?

Ich stehe dem Impfen nicht skeptisch gegenüber, aber ich habe Bedenken angesichts völlig neuartiger genetischer Impfstoffe, deren Langzeitfolgen aktuell niemand kennt. Ich bin überzeugt, dass es die Impfquote deutlich erhöhen würde, wenn die besten der weltweit millionenfach eingesetzten Totimpfstoffe auch in der EU zugelassen würden. Außerdem müssen Tests dringend wieder kostenlos werden. Im sensiblen Bereichen wie Pflegeheimen sollten alle Besucher getestet werden. Wenn die Lage sich zuspitzt, eventuell auch woanders. 2G macht mit Blick auf die Infektionen überhaupt keinen Sinn. Booster sind für sehr alte und immungeschwächte Menschen sicher sinnvoll. Aber ehe wir die halbe Bevölkerung boostern, sollten wir individuell Antikörpertests durchführen, um festzustellen, wer das überhaupt braucht. Vor allem aber müssen wir endlich etwas gegen den Pflegenotstand tun. Es ist ein Skandal, dass wir nach anderthalb Jahren Corona weniger Krankenhäuser, noch wegen Pflegepersonal und noch weniger Intensivbetten haben. Das ist das größte Versäumnis der Politik, - und unentschuldbar.