Attacke auf Attac - was sind eigentlich gemeinnützige Zwecke?

Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 06.12.2019

07.12.2019

Unsere Finanzordnung ist zutiefst ungerecht. Nicht nur, dass Sprösslinge von Milliardären und Multimillionären in der Regel keine Erbschaftssteuer zahlen. Auch bei Spenden wird hierzulande mit zweierlei Maß gemessen – mit fatalen Folgen für zivilgesellschaftliches Engagement.

Kürzlich hat das Berliner Finanzamt der ältesten und größten antifaschistischen Organisation VVN/BdA die Gemeinnützigkeit aberkannt. Zwar vergeht kaum ein Tag ohne rechte Übergriffe auf Ausländer oder Andersdenkende. Doch ausgerechnet einer Vereinigung, in der nicht zuletzt Verfolgte des Naziregimes über Krieg und Faschismus aufklären, legt man einen Stolperstein in den Weg, der ihr finanziell das Genick brechen kann. Als gemeinnützig gilt hingegen die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik, die im Interesse der Rüstungslobby Kontakte zu Politikern pflegt.

Zwar ist Selbstlosigkeit die zentrale Vorschrift im Gemeinnützigkeitsrecht. Doch wer selbstlos für Steuergerechtigkeit kämpft und über negative Folgen von Privatisierungen aufklärt wie der Verein Attac, bekommt die Gemeinnützigkeit entzogen. Wer hingegen Stiftungen benutzt, um Steuern zu sparen und Werbung für Privatisierung und Sozialabbau macht wie Bertelsmann, profitiert vom Status der Gemeinnützigkeit.

Dass die Milliardärsfamilie Mohn über die Bertelsmann-Stiftung ein privates Medienimperium beherrscht und als Eigentümer von Dienstleistungskonzernen wie Arvato ein eigennütziges Interesse an Privatisierungen hat, scheint kein Finanzamt zu interessieren. Öffentliche Einflussnahme im Interesse von Millionen Menschen scheint verdächtig und unerwünscht zu sein. Wenn Millionäre Vereine und Stiftungen gründen, um im Hintergrund mit staatlicher Unterstützung politische „Landschaftspflege“ zu betreiben, sieht niemand ein Problem – oder doch?

Was sind gemeinnützige Zwecke? Im Interesse der Demokratie muss diese Frage neu beantwortet werden. Die Unabhängigkeit von Konzernen und Wirtschaftslobbies muss gestärkt, bürokratische Auflagen für ehrenamtliches Engagement müssen abgebaut und die Maulkörbe für Vereine wie Attac oder die VVN/BdA zurückgenommen werden. Diese Aufgabe kommt dem Bundestag als Gesetzgeber zu. Es darf nicht sein, dass Finanzbehörden in den Ländern entscheiden, welches politische Engagement privilegiert wird und welches nicht.

Die Autorin ist Mitglied der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag.