„Müssen die Stimme der Unzufriedenen sein“

Sahra Wagenknecht im Interview mit dem Donaukurier

12.01.2019

Frau Wagenknecht, wegen Ihrer Positionen in der Flüchtlingspolitik und Ihrer Rolle als Initiatorin der Bewegung „Aufstehen“ stehen Sie parteiintern in der Kritik. Die Klausurtagung der Fraktion sollte den monatelangen Machtkampf beenden...

Sahra Wagenknecht: Die Streitereien haben uns nur geschadet, deshalb sind wir in der Fraktion einhellig der Meinung, dass es damit ein Ende haben muss. Wir stehen jetzt am Beginn eines Wahljahres und müssen uns auf die Probleme konzentrieren, die unsere Wählerinnen und Wähler bewegen. So haben wir uns auf der Fraktionsklausur unter anderem mit Konzepten zur Wiederherstellung des Sozialstaates befasst. Wir leben in einem sozial immer tiefer gespaltenen Land, in dem viele Menschen von dem jüngsten Wirtschaftsboom überhaupt nichts abbekommen. Ungleichheit und soziale Unsicherheit wachsen. Dagegen muss etwas getan werden.

 

Im Herbst wählt die Fraktion einen neuen Vorstand. Werden Sie wieder kandidieren?

Wagenknecht: Das entscheide ich im Herbst. Gegenwärtig spricht für mich nichts dagegen.

 

Bei den Wahlen in diesem Jahr muss Ihre Partei Verluste fürchten. Mit Bodo Ramelow wackelt der einzige linke Ministerpräsident. Warum gelingt es der Partei nicht, den Trend zu stoppen?

Wagenknecht: Noch können wir den Trend umkehren. Laut Umfragen gibt es in Deutschland Mehrheiten für eine sozialere Politik – für bessere Renten, höhere Löhne, mehr soziale Sicherheit. Gleichzeitig haben wir in Bund und Ländern immer seltener politische Mehrheiten, um eine solche Politik umzusetzen. Da müssen sich alle betroffenen Parteien fragen, warum sie die Wähler nicht erreichen. Wir als Linke müssen die Stimme der Unzufriedenen sein, einer abstiegsbedrohten Mittelschicht, der Ärmeren. Sie müssen uns wieder als couragierte Interessenvertretung wahrnehmen.

 

Diese Mehrheit gibt es nicht ohne die SPD. Die steckt jedoch auch im Umfragetief. Wo sehen Sie die Ursachen hierfür?

Wagenknecht: Die SPD hat seit Gerhard Schröder Politik gegen ihre klassische Wählerschaft gemacht. Und auch in den großen Koalitionen hat sich das nicht verändert. Es ist erfreulich, dass es jetzt auch in der SPD Diskussionen gibt, Hartz IV zu überwinden oder den Mindestlohn anzuheben. Aber solange die SPD mit der Union gemeinsam Politik in erster Linie für Wirtschaftslobbyisten und nicht für normale Arbeitnehmer oder Rentner macht, solange werden ihr die Wähler davonlaufen.

 

Bislang profitiert von der allgemeinen Gemengelage einzig die AfD: Warum liegt die Linkspartei in den Umfragen noch immer weit hinter den Rechtspopulisten und was ist zu tun?

Wagenknecht: Weil wir die Ärmeren, aber auch die untere, vom sozialen Abstieg bedrohte Mittelschicht in den letzten Jahren immer weniger erreicht haben. Es ist auch unsere Verantwortung, wenn Menschen aus Verzweiflung und Ärger über die herrschende Politik am Ende AfD wählen, eine Partei, die für Privatisierungspolitik und den Abbau des Sozialstaates steht. Umso mehr müssen wir darum ringen, gerade auch im Osten, das Vertrauen der Menschen, die früher einmal links gewählt haben, zurückzugewinnen.

Die Fragen stellte Petra Sorge.