Revolte gegen die Reichen

Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 15.12.2018

15.12.2018

Seit einem Monat gehen Menschen in gelben Westen in Frankreich auf die Straße. Auslöser der Protestwelle war eine Steuererhöhung für Benzin und Diesel, was in Deutschland für Irritationen gesorgt hat. Kann ein Aufstand gegen eine Ökosteuer fortschrittlich sein, der auch noch von Leuten wie Trump, Erdogan oder der deutschen AfD mit Beifall bedacht wird?

Klar ist: Es geht in Frankreich längst nicht mehr (nur) um Preise für Kraftstoffe. Es geht um soziale Rechte von Menschen, die sich weder ein Apartment in Paris noch ein Elektroauto leisten können. Diese Franzosen revoltieren gegen einen Präsidenten, der Steuern für Reiche und Konzerne gesenkt hat und nun die Verbrauchssteuern erhöhen will. Der Protest richtet sich gegen neoliberale Reformen und Sozialabbau, gegen eine konzerngesteuerte Globalisierung, die zur Folge hat, dass immer mehr Menschen sozial, politisch und räumlich abgehängt werden.

Sicher verbergen sich auch einige Rechte unter den Gelbwesten. Doch mit der Verbreiterung der Bewegung ist ihr Einfluss gering geworden. Bauern wie Umweltschützer, Gewerkschafter wie Selbstständige, Studierende wie arme Jugendliche aus den Vorstädten: Sie alle kämpfen für eine soziale Wende und eine Erneuerung der Demokratie. Statt Ausländer oder Flüchtlinge zu Sündenböcken zu stempeln, haben sie dem „Präsident der Reichen“ die gelbe Karte gezeigt. Außer einer gerechten Steuerpolitik fordern sie unter anderem höhere Mindestlöhne und Renten, kleinere Schulklassen, den Erhalt von sozialen Einrichtungen, Betrieben und Geschäften vor Ort, die Bekämpfung von Obdachlosigkeit, aber auch mehr Mittel für Integration und ökologischen Umbau.

Erste Erfolge haben die Gelbwesten schon erstritten: Staatliche Aufstockung des Mindestlohns, Steuerfreiheit für Überstunden sowie Entlastungen für einige Rentner. Werden die Franzosen ihre gelben Westen nun ausziehen? Das wäre schade, denn eine Abkehr von neoliberaler Politik ist mit Macrons Zugeständnissen nicht verknüpft. Gute Arbeit erreicht man nicht, indem man niedrige Löhne subventioniert. Erwerbslosigkeit bekämpft man nicht, indem man Anreize für Überstunden schafft. Und solange Macron an Steuergeschenken für Reiche und Konzerne festhält, ist die Gefahr groß, dass seine Versprechen durch soziale Kürzungen an anderer Stelle finanziert werden.