"Schulz fehlt die Strategie"

Sahra Wagenknecht im Interview mit dem Donaukurier

30.12.2017

Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht spricht im Interview über die Regierungssuche und die SPD.

 

Frau Wagenknecht, kommt es nun doch zur großen Koalition?


Sahra Wagenknecht: Das ist offen. In der SPD-Basis gibt es erhebliche Vorbehalte. Es ist ein Fehler von Martin Schulz, nicht mit klaren, populären Forderungen in die Verhandlungen zu gehen. Solche Forderungen wären eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns, bessere Regeln gegen unsichere, prekäre Jobs, eine Vermögenssteuer für Superreiche und die Wiederherstellung einer gesetzlichen Rente, die im Alter den Lebensstandard sichert. Aber das alles will die SPD noch nicht einmal selbst. Deswegen sehe ich kaum Chancen, in den Verhandlungen Profil zu gewinnen.

 

Martin Schulz fehlt der Mut?

Wagenknecht: Ihm fehlt die Strategie. Nach einem furiosen Start mit Agenda-Kritik hat er einen Kuschelwahlkampf geführt und ist dafür am Wahltag bestraft worden. Es folgte die Absage an die große Koalition, jetzt verhandelt er darüber. Das überzeugt alles nicht.

 

Wäre Schulz gut beraten, wieder mit Merkel zu regieren?

Wagenknecht: Wir brauchen eine Politik, die den Sozialstaat wiederherstellt und für sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze sorgt, anstelle eines wachsenden Niedriglohnsektors. Dass eine große Koalition einen solchen Weg einschlägt, ist leider unwahrscheinlich. Frau Merkel ist selbst geschwächt und kann den Sozialdemokraten nicht noch einmal so entgegenkommen wie 2013. Wenn die Verhandlungen scheitern und es zu Neuwahlen kommt, wäre das eine Chance, andere Mehrheiten zu erreichen. Natürlich wünsche ich mir, dass die Linke stärker wird. Aber nur mit einer inhaltlich und personell erneuerten SPD wird es möglich sein, die Ära unsozialer Politik zu beenden.

 

Die SPD will mehr Europa, setzt auf Integration und Solidarität. Ist das die richtige Antwort auf Populismus und Nationalismus?

Wagenknecht: Richtig wäre es, die alte Idee eines in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit geeinten Europas zu erneuern. Die "Vereinigten Staaten von Europa" mit mehr Macht für eine Brüsseler Bürokratie, der viele Bürger nicht vertrauen und die kaum demokratisch kontrolliert wird, ist der falsche Weg. Die EU von heute unterstützt große Konzerne und regiert in die einzelnen Staaten hinein. Genau das befördert letztlich nationalistische Stimmungen, weil die Menschen das als Demokratieabbau und Verlust an Souveränität empfinden.

 

Muss die Linkspartei in der Flüchtlingspolitik für eine Begrenzung eintreten, um diejenigen zurückzugewinnen, die sich zurückgelassen fühlen?

Wagenknecht: Niemand kann im Ernst unbegrenzte Zuwanderung fordern. Es ist wichtig, dass in Deutschland und Europa das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleistet wird. Aber natürlich können wir nicht jedem, der sich wünscht, in Deutschland zu leben, die Möglichkeit dazu geben.

 

Also weiter kein Familiennachzug für subsidiär Geschützte?

Wagenknecht: Die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel hat dazu geführt, dass in erster Linie junge Männer kamen. Schon allein das zeigt, wie fehlerhaft der ganze Ansatz war. Aber das kann man jetzt nicht dadurch korrigieren, dass man ausgerechnet gegenüber Frauen und Kindern Härte demonstriert. Wer so handelt, sollte sich nicht christlich nennen. Im Übrigen ist es auch ein ziemlich aufgebauschtes Thema, denn nur eine kleine Minderheit der Flüchtlinge ist subsidiär geschützt, und viele junge Männer haben keine Familie.

 

Ist die AfD Ihre größte Konkurrenz im Deutschen Bundestag?

Wagenknecht: Die AfD hat im Bundestag gemeinsam mit den anderen Parteien gegen unseren Antrag auf höheren Mindestlohn gesprochen und für Bundeswehreinsätze im Ausland gestimmt. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik konkurriert die AfD eher mit CDU/CSU und FDP.

 

Trotzdem wird die AfD von enttäuschten Menschen gewählt. . .

Wagenknecht: Die AfD wird von Abgehängten gewählt, von Menschen mit Abstiegsängsten und auch von relativ Wohlhabenden, die früher CDU/CSU gewählt haben. Wir müssen uns bemühen, gerade Menschen, denen es schlechtgeht oder die Angst vor einem sozialen Abstieg haben, wieder besser zu erreichen. Der Eindruck, die Linkspartei trete für besonders viel Zuwanderung ein, hat viele aus dieser Schicht bei der vergangenen Wahl abgehalten. In Wahrheit sind wir die einzige Partei, die die Ursachen für Flucht und Migration wie Waffenexporte, Rohstoffkriege und schlechte Handelsabkommen wirksam bekämpfen will.