Sahra Wagenknecht

"TTIP bedeutet nicht Freihandel, sondern Sonderrechte für Konzerne"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Aktuellen Stunde des Deutschen Bundestages am 11.05.2016 zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA

12.05.2016
Sahra Wagenknecht, DIE LINKE: TTIP bedeutet nicht Freihandel, sondern Sonderrechte für Konzerne

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Sigmar Gabriel, das war jetzt ganz großes Kino mit beachtlichem schauspielerischen Einsatz. Es hat nur leider überhaupt nichts damit zu tun, wie die Bundesregierung die ganzen Jahre über in Bezug auf die Freihandelsabkommen TTIP und CETA real agiert und regiert hat. Es hat nichts damit zu tun!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie täuschen die Öffentlichkeit und verkaufen sie für dumm.

Der Leak, für den ich wirklich dankbar bin, hat uns ganz klar gezeigt, dass alle Befürchtungen und Kritiken voll berechtigt sind. Wir haben es jetzt schwarz auf weiß: TTIP bringt - zumindest ist das die klare amerikanische Position, unterhalb derer es dieses Abkommen nicht geben wird; das geht daraus hervor - Genfood und Hormonfleisch. TTIP bringt Gifte in unsere Hautcremes und Chemikalien in unser Kinderspielzeug, die bisher aus gutem Grund in Europa verboten sind.

(Mark Hauptmann (CDU/CSU): Das stimmt doch nicht! Das ist eine Lüge!)

Das ist die Position, die in diesen Dokumenten deutlich wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Es bringt außerdem eine Sonderjustiz und Klagerechte für große Konzerne, mittels derer sie in Zukunft jede Regierung, die sich nicht in vorauseilendem Gehorsam ihren Renditeinteressen unterwirft, vor den Kadi ziehen können.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Sie sollten Ihre Rede umschreiben!)

Ich höre wirklich gerne, Herr Gabriel, dass die Bundesregierung das alles nicht will. Sie haben das jetzt gesagt. Aber ich frage mich schon: Weshalb gibt es dann nicht von der Bundeskanzlerin eine ähnlich klare öffentliche Verdeutlichung ihrer Position, wie sie beispielsweise der französische Präsident Hollande vorgenommen hat?

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hollande hat ganz klar gesagt: Das, was jetzt vorliegt, ist nicht zustimmungsfähig. ‑ Wo ist das öffentliche Nein von Frau Merkel? Es gibt dieses Nein nicht. Stattdessen gibt es öffentlich inszenierte Kuscheltage mit Obama, es gibt unterwürfige Komplimente, und es gibt eine Dauerwerbeschleife gemeinsam mit Obama für TTIP die ganze Zeit des Besuches über. Ich fand: Das war oberpeinlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine Regierung, die so agiert, sollte sich auch nicht wundern, dass immer mehr Menschen ihr das Vertrauen entziehen. Einer Regierung, die seit Beginn der TTIP-Geheimkungelei wirklich alles versucht, um die Öffentlichkeit zu täuschen, kann doch wirklich kein Mensch mehr vertrauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, da diskutieren Sie, was Sie tun können, um aus Ihrem Jammertal bei Umfragen und Wahlergebnissen endlich herauszukommen.

(Widerspruch bei der SPD)

Das ist doch nun wirklich nicht so schwer: Hören Sie endlich auf, diese jämmerliche Politik mitzutragen, die dem Großteil der Bevölkerung ins Gesicht schlägt.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann wird es Ihnen auch wahlpolitisch besser gehen.

Ich muss natürlich auch sagen: Ich kann alles unterschreiben, was Toni Hofreiter hier gesagt hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

‑ Ja, klar. ‑ Aber es ist leider nicht wirklich vertrauenerweckend, was man im neuen grün-schwarzen Koalitionsvertrag von Baden-Württemberg über die angeblichen „substanziellen Vorteile“ von TTIP lesen kann. Da sehe ich künftigen Abstimmungen im Bundesrat mit wenig Zuversicht entgegen -

(Beifall bei der LINKEN)

und das, obwohl inzwischen auch klar ist, dass nicht nur Arbeitnehmer und Verbraucher, sondern gerade auch mittelständische Unternehmen zu den großen Verlierern von TTIP und CETA gehören werden.

Herr Gabriel, Sie haben hier mehrfach von freiem Handel geredet. Ich finde, schon der Begriff „Freihandelsabkommen“ für diese Art von Abkommen ist doch ein einziges Lügenwort. Es geht doch überhaupt nicht um freien Handel. Es geht um Sonderrechte und Privilegien für große, transnationale Konzerne.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)

Es geht um ein Selbstermächtigungsgesetz für Kapitalinteressen, das Parlamente entmachten und letztlich die Demokratie endgültig begraben soll.

(Mark Hauptmann (CDU/CSU): Totaler Unfug!)

Das ist doch das, worum es geht. So ein Projekt hat wirklich keinerlei Unterstützung verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles, was ich bisher über TTIP gesagt habe, stimmt mit wenigen Abstrichen auch für CETA, Herr Gabriel. Deswegen muss ich fragen, wenn Sie jetzt so klar betonen, dass Sie TTIP so nicht wollen: Warum gibt es dann die Unterstützung der Bundesregierung für diesen ganz miesen Trick, nämlich jetzt CETA über die Hintertür der europäischen Lobbykratie an den nationalen Parlamenten vorbei in Kraft zu setzen?

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der SPD: Oh!)

Warum betreibt die Bundesregierung das? Das ist doch unglaublich.

CETA bedeutet, dass auch US-Konzerne die Vorteile nutzen können. Auch CETA steht für Gift, Genfood und Paralleljustiz. Alles das ist auch in diesem Abkommen verankert. Jedes US-Unternehmen, das eine Filiale, eine Niederlassung in Kanada hat ‑ das sind 80 Prozent dieser Unternehmen ‑, kann dann natürlich auch diese Rechte nutzen.

(Gustav Herzog (SPD): Quatsch!)

Deswegen sage ich: Ich finde es skandalös, dass die Bundesregierung das Verfahren, dass CETA über die europäische Ebene eingeführt werden soll, offensichtlich akzeptiert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir akzeptieren das nicht. Die Linke hat dazu eine klare Position: Weg mit TTIP und weg mit CETA!

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Nicht „weg mit CETA“, sondern: Weg für CETA!)

Niemand außer den Renditejägern in den oberen Konzernetagen braucht diese Abkommen.

Vizepräsidentin Ulla Schmidt:

Sie müssen zum Schluss kommen, Frau Kollegin.

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Ich bin gleich am Schluss. Einen Satz noch. ‑ Wenn Sie schon nicht den Mut und das Rückgrat haben, das selbst zu entscheiden, dann lassen Sie die Bevölkerung abstimmen. In den Niederlanden wird ein Volksentscheid über CETA und TTIP vorbereitet. Ich frage mich: Wann ist es endlich so weit, dass diese Form direkter Demokratie auch in Deutschland möglich wird? Die Linke wird sich auf jeden Fall weiterhin dafür einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN)