Sahra Wagenknecht

"Von Demokratie kann in Griechenland keine Rede mehr sein"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen auf den Nachdenkseiten am 05.08.2015

05.08.2015

Wie ist die Lage in Griechenland? Haben die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate mit Demokratie überhaupt noch etwas gemein? Und ist, was geschah und noch immer geschieht, wirklich „alternativlos", wie man dies allerorten liest und hört? Zu diesen Fragen sprach Jens Wernicke mit Sahra Wagenknecht, der Ersten stellvertretende Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag.

Frau Wagenknecht, Griechenland hat sich dem Troika-Diktat gefügt, fügen müssen. Wie bewerten Sie – vor allem – die soziale Lage in Griechenland? Wie ist es um die Bevölkerung bestellt und wohin führte, würde er beschritten, der nun eingeschlagene Weg?

Die soziale Lage in Griechenland ist eine Katastrophe, und diese Katastrophe wird bei Fortsetzung der aberwitzigen Kürzungspolitik immer dramatischer. Hinter nüchternen Zahlen, wie der Zerstörung von einem Viertel der griechischen Wirtschaftsleistung innerhalb von fünf Jahren, verbergen sich menschliche Tragödien.

Theano Fotiou, Vizeministerin für soziale Solidarität, erzählte mir bei einem persönlichen Gespräch in Berlin wenige Wochen vor der erpressten „Einigung" in Brüssel, dass viele Kinder inzwischen in einer solchen Armut leben, dass sie vor Hunger in den Schulen ohnmächtig werden. Ein Drittel der griechischen Bevölkerung ist nicht mehr krankenversichert. Krebspatienten sterben, weil sie zu spät oder gar nicht behandelt werden. Die Säuglingssterblichkeit ist hochgeschnellt. Es war daher nicht übertrieben, als Theano Fotiou sagte, dass die Forderungen Syrizas nach einem Ende der Kürzungsdiktate, einem Investitionsprogramm und einem Schuldenschnitt nicht einmal ein explizit linkes Programm waren, sondern schlicht ein Programm, um zu überleben.

Doch inzwischen haben die Gläubiger das griechische Parlament dazu gezwungen, weitere Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen zu verabschieden – als Vorbedingung für die Aufnahme von Kreditverhandlungen. Das ist absurd. Wenn Griechenland irgendetwas nicht braucht, dann sind es neue Kürzungen und neue Schulden. Es ist klar, dass Griechenland durch diese Maßnahmen zurück in eine tiefe Rezession fallen wird. In der Folge werden die Schulden auf über 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung steigen. Es wird einmal als absoluter Wahnsinn in die Geschichtsbücher eingehen, dass die herrschenden Eliten Europas einem Land mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent weitere Massenentlassungen aufgezwungen haben.

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