Streikrecht verteidigen

Kommentar in der Frankfurter Rundschau, erschienen am 06.03.15

06.03.2015

Sich kollektiv zu organisieren und für gemeinsame Forderungen zu streiken ist ein demokratisches Grundrecht, das in seiner Bedeutung mit dem allgemeinen Wahlrecht verglichen werden kann. Das von Arbeitsministerin Andrea Nahles geplante Gesetz zur Tarifeinheit beschneidet dieses Grundrecht und ist damit verfassungswidrig. Künftig sollen nur noch jene Gewerkschaften Tarifverträge abschließen und für sie streiken dürfen, die in einem Betrieb die meisten Beschäftigten organisieren. Dies ist ein Versuch, kämpferische Gewerkschaften auszuschalten, ohne sie explizit zu verbieten. Dabei gehört Deutschland zu den Ländern mit den wenigsten Streiktagen in Europa.

Das so genannte Gesetz zur Tarifeinheit ist ein Geschenk für die Arbeitgeber. Es schafft Anreize für die Gründung „gelber Gewerkschaften" durch Unternehmen, spielt Beschäftigte gegeneinander aus und spaltet den Deutschen Gewerkschaftsbund. Außerdem lenkt es davon ab, wer die Tarifeinheit in Deutschland tatsächlich zerstört hat. Die massenhafte Privatisierung öffentlicher Unternehmen, die permanente Umstrukturierung und Ausgliederung von Beschäftigten in schlechter bezahlte Firmen sowie der Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit haben zu einer extrem zersplitterten Tariflandschaft geführt. Nicht nur, dass es in unzähligen Betrieben inzwischen verschiedene Tarifverträge und konkurrierende Gewerkschaften gibt.Viel schlimmer ist, dass die meisten Beschäftigten inzwischen gar keinem Tarifvertrag mehr unterliegen und niemand ihre Interessen wirkungsvoll vertritt! Diese Spaltung der Belegschaft gilt es zu überwinden indem man gemeinsam gegen Lohndumping, den Missbrauch von Werkverträgen, sachgrundlose Befristungen und Leiharbeit vorgeht und deutlich mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt. Hier wäre Arbeitsministerin Nahles dringend gefordert. Statt im Schulterschluss mit den Arbeitgebern das Streikrecht, die Tarifautonomie und die Koalitionsfreiheit zu beschränken und damit eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht zu kassieren könnte sie die Tarifeinheit tatsächlich stärken indem sie Belegschaften das Recht verschafft, gegen die Ausgliederung von Unternehmensteilen sowie den massiven Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ein Veto einzulegen.

Dr. Sahra Wagenknecht ist Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

[1]