Merkels Macht in Europa hat einen Riss bekommen

Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen auf linksfraktion.de am 28.01.2015

28.01.2015

Der Wahlsieg von SYRIZA ist eine historische Chance für ganz Europa. Die griechischen Wählerinnen und Wähler haben für ein Ende der katastrophalen Kürzungspolitik gestimmt, die dem Land von der Troika, bestehend aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB), diktiert wird. Dieser Wahlausgang ist daher auch eine Niederlage für Merkel. Keine andere Regierungschefin in Europa wird zu Recht stärker mit der verhassten Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialausgaben nach dem Vorbild der Agenda-2010-Politik verbunden. Wer sich Merkels Diktat nicht beugt, der bekommt keine „Hilfskredite“ und wird den Finanzmärkten zum Fraße vorgeworfen. Die Kürzungspolitik hat den Anspruch erhoben, die Staatsschulden zu senken. Daran ist sie kläglich gescheitert. Stattdessen wurden ein Millionenheer arbeitsloser Menschen, ein gigantischer Wirtschaftseinbruch und eine beispiellose Geldschwemme durch die EZB erzeugt. Auch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland hat Merkel damit ein Milliardengrab geschaufelt. Bereits 2010 konnte Griechenland seine Schulden nicht zurückzahlen. Trotzdem sorgte Merkel mit Unterstützung von SPD und Grünen dafür, dass den Banken, Hedgefonds und privaten Gläubigern mit neuen öffentlichen Krediten ihr Geld zurückgezahlt wurde. Allein für diese Veruntreuung öffentlicher Mittel müsste Merkel zurücktreten. Doch bisher perlte trotz der katastrophalen Folgen alles an der Kanzlerin ab. Mit dem Regierungswechsel in Athen hat ihr Nimbus als Machtmaschine aber einen Riss bekommen.

Inzwischen ist Alexis Tsipras zum neuen griechischen Ministerpräsidenten gewählt worden. SYRIZA hat die absolute Mehrheit im griechischen Parlament haarscharf verpasst. Seine Regierung stützt sich nun auf den Rückhalt der Unabhängigen Griechen (Anexartiti Ellines - ANEL), einer rechten Abspaltung der bürgerlichen Neuen Demokratie (Nea Dimokratia - ND). Diese Option wurde in der griechischen Öffentlichkeit bereits seit mehreren Monaten für den Fall diskutiert, dass SYRIZA die absolute Mehrheit verpasst. Die Gründungserklärung der Unabhängigen Griechen wurde von ihrem Vorsitzenden Kammenos am 11. März 2012 in dem Dorf Distomo vorgestellt, in dem 1944 von der deutschen Waffen-SS ein Massaker verübt worden war: ein symbolträchtiger Akt, der den griechischen Anspruch auf Souveränität unterstrich – ein Anliegen, dem angesichts der eigenen Kolonial- und Besatzungsgeschichte und vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenpolitik sowohl auf rechter als auch linker Seite große Bedeutung zugemessen wird „Griechenland oder Merkel“, lautete zum Beispiel der Slogan von SYRIZA in diesem Wahlkampf.

Entscheidend dafür, die Koalition mit ANEL einzugehen, dürfte aus Sicht von SYRIZA gewesen sein, dass die Unabhängigen Griechen die einzige Partei im Parlament sind, die das Diktat der Troika abschütteln will und als Koalitionspartner zur Verfügung steht. Die Kommunistische Partei KKE war dazu nicht bereit. In wirtschaftlichen und sozialen Forderungen gibt es zwischen SYRIZA und ANEL eine hohe Übereinkunft. Das betrifft u.a. ein Ende der Kürzungspolitik, die Forderung nach einem Schuldenschnitt, den Bruch mit dem alten korrupten System, Sofortmaßnahmen zur Linderung der sozialen Not und ein kostenfreier Zugang aller Griechen zu Gesundheitsversorgung und Bildung. In Fragen der Flüchtlingspolitik, der Religion oder des Umgangs mit der türkischsprachigen Minderheit in Nordgriechenland gibt es erhebliche Unterschiede. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die ANEL der deutlich kleinere Koalitionspartner sind und nur einen, wenn auch mit dem Verteidigungsressort wichtigen, Minister stellen wird. Wie groß der Einfluss der ANEL in der Regierung sein wird, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch eins: Mit dem Wahlsieg von Alexis Tsipras besteht jetzt endlich die Möglichkeit, der katastrophalen Krisenpolitik der Troika auf Regierungsebene zu begegnen.

Und der Druck auf die neue Regierung ist immens. Die Erpressungsversuche von Merkel, Schäuble und Brüssel wurden nach der Wahl sofort intensiviert. Sie wollen es nicht zulassen, dass ihr neoliberales Kürzungsdiktat durch eine demokratische Entscheidung auf der Müllkippe der Geschichte entsorgt wird. Genau das muss aber jetzt unser gemeinsames Ziel sein.

Wir unterstützen die Forderung von Syriza nach einer europäischen Schuldenkonferenz mit dem Ziel eines konditionierten Schuldenschnitts für Griechenland und andere überschuldete Länder. DIE LINKE fordert zusätzlich eine EU-weit koordinierte einmalige Vermögensabgabe für Millionäre und Milliardäre, die genutzt wird, um den öffentlichen Schuldenstand abzusenken und die Kosten der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die Profiteure zu übertragen. Außerdem wollen wir, dass das Geld der EZB nicht mehr auf die Finanzmärkte und in die Banken gepumpt wird und so durch Niedrigzinsen die Sparerinnen und Sparer enteignet werden. Wer wirklich die Deflation bekämpfen will, der sollte das EZB-Geld für öffentliche Ausgaben und Investitionen nutzen. Ein Zukunftsinvestitionsprogramm für die Eurozone in Höhe von jährlich 500 Milliarden Euro ist erforderlich. Wir wollen es durch die EZB und höhere Steuern zu Lasten von Konzernen und Superreichen finanzieren. Das ist unsere Alternative zu den PPP-Projekten von EU-Kommissionspräsident Juncker und Bundeswirtschaftsminister Gabriel, die die Mehrheit der Bevölkerung für private Profite bluten lassen wollen.

Eine andere Politik ist möglich. Die Chance, die sich aus der Wahl in Griechenland ergibt, muss jetzt genutzt werden, zum Wohl der Menschen in ganz Europa.