Sahra Wagenknecht

„Weidmanns Wahrheit greift zu kurz"

Gastkommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen im Handelsblatt am 28.12.2012

28.12.2012

Der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, kritisiert die Banken. Der Währungshüter – ein verkappter Occupy-Aktivist? Nein, er kritisiert nicht etwa dubiose Finanzderivate, die bei der Deutschen Bank als tickende Zeitbomben das haftende Eigenkapitals noch heute nominal um das gut Tausendfache übersteigen. Er mosert nicht über die virtuose Bilanzkosmetik, mit der sich nicht wenige Institute auf Basel-III gedopt haben – überflüssige Mühe, da das Regelwerk vorerst wohl nicht in Kraft treten wird. Er beschwert sich auch nicht über die selbst nach Basel III viel zu lasche Regulierung, die das wuchernde Schattenbankensystems und dessen Verflechtung mit den Geschäftsbanken eher noch verstärkt hat. Das alles bewegt Herrn Weidmann nicht. Er beklagt die Kreditvergabe an Krisenstaaten.

Staatsanleihen im Wert von etwa 1,6 Billionen Euro befinden sich in den Tresoren von Euro-Banken. Es ist richtig: Diese würden erheblichen Risiken unterliegen, wenn Euro-Staaten Pleite gingen. Weidmann will Banken daher im Zuge der Basel-Reformen zwingen, Staatsanleihen mit Eigenkapital zu unterlegen. Staatskredite würden so erheblich teurer werden.

Weidmann berührt wichtige Punkte: Den „teuflischen Pakt zwischen Staaten und Banken" (Spiegel) und die Möglichkeit eines Staatsbankrotts. Banken leihen sich zu gegenwärtig 0,75 Prozent Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und verleihen es zu bis zu acht Prozent an Krisenstaaten. Das ist ein tolles Geschäft und eine Lebensversicherung für Schrottbanken. Denn selbst Staatsanleihen von überschuldeten Staaten bleiben im Rahmen der Notfallkredite notenbankfähige Sicherheiten.

So sichern sich marode griechische Banken ihre Liquidität. In der Finanzszene kursiert der Witz, im Notfall würde die griechische Zentralbank auch Bürostühle als Sicherheit akzeptieren. Zudem hat die EZB angekündigt, den privaten Gläubigern in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen abzukaufen, wenn sich die Staaten dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterwerfen. Die betreffenden Länder wiederum werden mit Kürzungspaketen in die Depression getrieben und brechen unter der Schuldenlast und den hohen Zinsen ein.

Die nötigen Maßnahmen

Statt die Staaten aus der Abhängigkeit von den Banken zu befreien, will Weidmann die Banken von den Staatskrediten befreien. Sein Vorschlag hätte den „Vorteil", die Zeit bis zum Staatsbankrott Spaniens, Italiens und anderer Länder deutlich abzukürzen. Es gäbe allerdings auch einen vernünftigeren Weg. Er sollte folgende Maßnahmen beinhalten:

1. Einen Schuldenschnitt mindestens in der Höhe der durch die Bankenrettungen und Finanzkrise entstandenen Staatsschulden, bevor die faulen Papiere endgültig bei der EZB oder den europäischen Steuerzahlern abgeladen werden. Der Finanzsektor hat die hohe Staatsverschuldung freiwillig finanziert und teilweise – siehe Spanien und Irland – selbst verursacht. Er sollte dann auch die Konsequenzen tragen.

2. Geraten Banken durch den Schuldenschnitt in Schwierigkeiten, haften erst einmal ihre Aktionäre und Gläubiger. Steuergelder sind ausschließlich zur Sicherung der Einlagen der Kleinsparer sowie das seriöse Kreditgeschäft einzusetzen. Bei der Deutschen Bank sind das 4 Prozent der Bilanzsumme, der Rest ist Casino.

3. Das Geschäft mit der Staatsverschuldung ist zu beenden. Die EZB sollte Staaten in begrenztem Umfang direkte Kredite zum Leitzinssatz gewähren. Einzige Bedingung ist eine ordentliche Besteuerung der Vermögen, Gewinne und Einkommen der Oberschicht in dem betreffenden Land. Die Inflationsrisiken von EZB-Direktkrediten sind weitaus geringer als beim Ankauf der Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt oder bei Krediten an den Finanzsektor. Denn Staaten können mit dem Geld wichtige Investitionen finanzieren, während die Banken nicht zuletzt mit Rohstoffen spekulieren oder Immobilienblasen finanzieren. Beides treibt die Preise hoch, ohne irgendeinen Wachstumseffekt.

There is no free lunch! Mehr als die Hälfte des gesamten europäischen Geldvermögens befindet sich im Besitz von etwa ein Prozent der Bevölkerung. Wird das bereits Offshore geparkte Vermögen einbezogen, sind es sogar 80 Prozent des Geldvermögens. Das Vermögen der europäischen Millionäre ist höher als die gesamte europäische Staatsverschuldung von elf Billionen Euro. Wer Schulden reduzieren will, muss am Ende auch Vermögen reduzieren. Von der europäischen Politik der vergangenen 15 Jahre, von Steuergeschenken und Bankenrettung haben nicht die Mittelschichten profitiert, sondern allein die oberen Zehntausend. Es ist nur legitim, letztere jetzt auch für den entstandenen Schaden haften zu lassen. Eine EU-weite Vermögensabgabe für Millionäre würde die Staatsverschuldung deutlich zurückführen. Dann könnte selbst Herr Weidmann wieder ruhig schlafen.

Sahra Wagenknecht ist erste stellvertretende Vorsitzende der Fraktion „Die Linke" im Deutschen Bundestag.