"Vom organisierten Geld regiert zu werden ist so schlimm wie vom organisierten Verbrechen"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte am 26.01.2012 über das Finanzmarktstabilisierungsgesetz

26.01.2012

Zum Video der Rede[1]

Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der FDP - Volker Kauder (CDU/CSU): Da haben Sie ja Erfahrung!)

Nein, liebe Damen und Herren vom Verfassungsschutz, Sie müssen diesen Satz nicht mitschreiben. Er stammt nicht von einem Kommunisten.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Blödsinn!)

- Sie sagen „Blödsinn". Wissen Sie, von wem der Satz stammt? Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt.

(Beifall bei der LINKEN - Manfred Grund (CDU/CSU): Er kann sich nicht mehr wehren gegen das Zitat!)

Franklin D. Roosevelt hat diesen Satz nicht einfach nur dahergeredet, sondern er hat die Konsequenzen daraus gezogen. Er hat nämlich in seiner Regierungszeit den Finanzsektor massiv reguliert. Das war die Konsequenz aus diesem Satz. Von solcher Konsequenz ist die Bundesregierung leider Lichtjahre entfernt.

Der Ausbruch der letzten großen Finanzkrise liegt inzwischen gut drei Jahre zurück. Damals haben die Staaten die Banken zum ersten Mal mit Billionen an Steuergeld aus dem selbstverschuldeten Schlamassel gerettet. Viele Staaten haben sich dadurch so viele Schulden aufgehalst, dass sie jetzt selbst zunehmend in die Pleite schlittern. Angeblich ging es nur um die Konten der Kleinsparer. Angeblich sollte dieser großen Rettungswelle damals eine mindestens so große Regulierungswelle folgen. So sollte verhindert werden, dass es jemals wieder Cash for Trash, also Steuergeld für Finanzmüll geben muss.

Das ist fast drei Jahre her. Drei lange Jahre wurde die Öffentlichkeit mit Scheinaktivitäten hingehalten und getäuscht. Drei lange Jahre ist faktisch nichts passiert. Das Kasino wurde nicht geschlossen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist heute größer als je zuvor. Es wird aktuell sogar gerade von der Europäischen Zentralbank noch einmal mit zusätzlichen Hunderten Milliarden an Spielgeld ausgestattet.

Nahezu alle Geschäfte, die 2008 den Finanzcrash ausgelöst haben, sind unverändert legal und werden unverändert gemacht. All die undurchsichtigen und dubiosen Derivate, vor denen Warren Buffett schon 2002 gewarnt hat, indem er gesagt hat, das seien finanzielle Massenvernichtungswaffen, sind nach wie vor auf dem Markt. Banken wie die Deutsche Bank verdienen sich dumm und dämlich damit. All die zweifelhaften Verbriefungen, die sich damals als Giftpapiere, als toxische Papiere entpuppt haben, werden nach wie vor fleißig von den Banken zusammengebastelt und neuerdings zum großen Teil bei der EZB abgeladen.

„Keine Bank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen kann." Das hatte Frau Merkel im Krisenjahr 2008 öffentlich verkündet. Und? Haben Sie irgendeine private Bank in Deutschland verkleinert? Sie haben das Gegenteil gemacht. Sie haben gefördert und unterstützt, dass die zwei größten privaten Banken noch größer geworden sind, indem sie weitere Banken, nämlich die Commerzbank die Dresdner Bank und die Deutsche Bank sogar zwei Banken, übernommen haben. Das haben Sie auch noch politisch unterstützt. Das lässt nur einen Schluss zu: Sie fühlen sich offenbar ganz wohl in der Abhängigkeit von den Banken. Das mag vielleicht auch damit zu tun haben, dass von Allianz und Co. regelmäßig Millionen an Spenden fließen, sowohl an die Regierungsparteien als auch an SPD und Grüne.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei einer solchen Bankenhörigkeit kommen immer wieder Gesetzentwürfe wie der heraus, den wir heute beraten. Ihre letzte Bankenrettungsrunde, damals noch in der Großen Koalition, hat die deutsche Staatsverschuldung um 265 Milliarden Euro nach oben getrieben. Jetzt sollen den Banken erneut 480 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden, zu ähnlich unsäglichen Konditionen wie 2008. Ich finde es, ehrlich gesagt, unglaublich, was Sie sich trauen.

Auch die tolle Bankenabgabe hat sich als völliger Flop erwiesen. Es gab große Ankündigungen: Die Banken sollten einen Fonds speisen, aus dem künftige Rettungsmaßnahmen finanziert werden. 70 Milliarden Euro sollten dadurch zusammenkommen.

Die Linke hatte schon damals gewisse Zweifel, dass sich die nächste Finanzkrise an Herrn Schäubles Planung halten und erst in 35 Jahren eintreten wird. Denn Sie sind damals davon ausgegangen, dass die Bankenabgabe jährlich 2 Milliarden Euro einbringt. Das hieße, nach 35 Jahren hätte man die 70 Milliarden Euro zusammengehabt. Aber das war alles viel zu optimistisch. Von 2 Milliarden Euro Einnahmen kann keine Rede sein. Die Bankenabgabe hat im letzten Jahr gut 500 Millionen Euro eingespielt. 500 Millionen Euro wurden bei den Banken einkassiert. Das ist nichts.

Allein der Betrag, den die Deutsche Bank den Steuerzahlern verdankt, beläuft sich auf 30 Milliarden Euro. 30 Milliarden Euro an Forderungen hat die Deutsche Bank nicht abschreiben müssen, weil die Staaten andere Banken gerettet haben, nämlich die Hypo Real Estate, die IKB, in den USA die AIG usw. 30 Milliarden Euro: Das entspricht dem gesamten harten Kernkapital der Deutschen Bank. Das heißt, auch dieses Institut wäre komplett pleite gewesen, wenn die Staaten nicht mit Rettungsmilliarden eingegriffen hätten. Aber die Idee, sich die 30 Milliarden Euro von einem Finanzinstitut zurückzuholen, das Boni und Dividenden ausschüttet, liegt offenbar völlig außerhalb der Vorstellungskraft dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Fordern und Fördern: Das gilt offenbar nur für Arbeitslose, wobei es hier in der Regel auf Fordern und Drangsalieren hinausläuft. Bei den Banken dagegen gilt offensichtlich: Fördern und Vergessen, und auf Zuruf wieder Fördern, wenn die Banken wieder etwas brauchen. Ich finde, diese Politik ist ein einziger Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schätzung, dass die Deutsche Bank dem Steuerzahler 30 Milliarden Euro verdankt, hat Herr Steinbrück in die Öffentlichkeit gebracht. Er kann das vermutlich gut einschätzen. Denn er war damals deutscher Finanzminister, als die erste große Bankenrettungsrunde lief. Das heißt, er hat sie wesentlich mit verbrochen. Deswegen muss ich noch einmal auf die Rettung der Commerzbank zurückkommen, und zwar nicht deshalb, weil damals alles so schlimm war ‑ das war es allerdings ‑, sondern weil genau das Gleiche wieder droht.

Erinnern wir uns daran, was damals passiert ist: Die Rettung der Commerzbank ist in einer Art und Weise verlaufen, die nicht nachteiliger für den Steuerzahler und nicht vorteilhafter für die Aktionäre hätte sein können. 18 Milliarden Euro ‑ das ist schon mehrfach erwähnt worden ‑ wurden in diese Bank gepumpt, die am Markt 3 Milliarden Euro wert war. Mit diesen 18 Milliarden Euro hätten Sie natürlich alle Aktien der Commerzbank kaufen können. Sie hätten sogar alle Aktien der Deutschen Bank mitkaufen können. Aber stattdessen haben Sie sich auf einen Anteil von 25 Prozent beschränkt. Der Rest wurde dieser Bank als stille Einlage faktisch zum Nulltarif zur Verfügung gestellt. Nicht einmal 2010, als die Commerzbank wieder Milliardengewinne gemacht hat, hat diese Bank einen müden Euro an Zinsen gezahlt. Ich kann mir wirklich keinen privaten Investor vorstellen, der zu solchen Harakiri-Konditionen Geld zur Verfügung stellen würde.

(Beifall bei der LINKEN)

Mindestens 2 Milliarden Euro sind dem deutschen Fiskus durch diese aberwitzige Konstruktion an Einnahmen verloren gegangen. Mit diesen 2 Milliarden Euro hätten Sie übrigens 20 Jahre lang ohne Probleme für alle Wohngeldempfänger in Deutschland den Heizkostenzuschuss zahlen können. Aber Sie brauchen ja keinen Heizkostenzuschuss zu zahlen, weil er von dieser neoliberalen Koalition 2010 wegen unerbittlicher Sparzwänge eben einmal gestrichen wurde; diesen Zuschuss konnte man sich nicht leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt doch offensichtlich: Wir müssen scheinbar immer nur deshalb sparen, um uns immer wieder solche Rundum-sorglos-Pakete für die Banken leisten zu können. Das ist eine unerträgliche Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist kein Wunder, dass die einzige begeisterte Rückmeldung auf den vorliegenden Gesetzentwurf vom Bankenverband kam. Selbst Herr Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft fordert inzwischen eine zwangsweise Teilverstaatlichung der Banken. Er hat natürlich recht; denn viele kleine und mittlere Unternehmen haben schon seit Jahren Schwierigkeiten, Kredite zu günstigen Konditionen zu bekommen. Natürlich besteht die Gefahr, dass diese Schwierigkeiten jetzt noch akuter werden, weil die Banken wegen ihrer eigenen Probleme noch schlechtere Kreditkonditionen anbieten. Eine Bank wie die Deutsche Bank verwendet übrigens gerade einmal 4 Prozent ihrer Bilanzsumme für gewerbliche Kredite. Mit dem Rest wird gezockt und spekuliert, bis der Staat wieder retten muss. Auch das zeigt einmal mehr: Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Deswegen gehört der Finanzsektor nicht in die Hände unverantwortlicher Zocker und Renditejäger, sondern in die öffentliche Hand,

(Beifall bei der LINKEN)

weil das die einzige Chance ist, die Banken endlich kleinzuregulieren und sie dazu zu verpflichten, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ihre Aufgabe ist verdammt noch mal nicht, zu spekulieren, sondern die Aufgabe ist, Diener der Realwirtschaft zu sein und den Unternehmen günstige Kredite zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Unregulierte Wettbuden dagegen mit immer neuen Steuergeldern zu stützen, ist unerträglich und verantwortungslos.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Die DDR lässt grüßen!)

Es geht aktuell nicht nur um die Kosten des neuen Bankenrettungsfonds. Auch der neue Euro-Rettungsschirm ESM muss noch einmal mit 22 Milliarden Euro ausgestattet werden. Hinzu kommen 168 Milliarden Euro für Bürgschaften, und das in einer Situation, in der hier im Land unzählige wichtige Dinge nicht finanziert werden, weil wir angeblich kein Geld haben. Viele Schulen befinden sich in einem beklagenswerten Zustand. Kommunen können ihre Krankenhäuser nicht mehr ordentlich ausstatten, weil sie kein Geld haben. Der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder ist nach wie vor verfassungswidrig niedrig.

(Beifall bei der LINKEN)

Für all das fehlt angeblich das Geld. Das ist doch eine riesige Heuchelei, die Sie hier betreiben. Sie diktieren ganz Europa Schuldenbremsen, und im selben Atemzug erlassen Sie Gesetze, von denen Sie ganz genau wissen, dass sie die Staatsverschuldung weiter in die Höhe treiben werden. Das ist Ihre Politik. Nehmen Sie sich eigentlich selbst noch ernst?

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt zeigt sich natürlich auch: Eine Behörde, die sich um den Schutz unserer Verfassung tatsächlich kümmern würde, hätte heute in Deutschland einiges zu tun. Sie könnte sich beispielsweise um diejenigen kümmern, die der Ansicht sind, dass man zum Zweck der Bankenrettung auch mal das Budgetrecht des Parlaments einschränken oder umgehen kann, oder um diejenigen, die der Meinung sind, dass parlamentarische Prozesse eigentlich nur stören, wenn sie denn die Märkte beunruhigen, oder um diejenigen, die ins Gespräch bringen, dass wir plötzlich eine marktkonforme Demokratie brauchen. Keine dieser Absurditäten ist im Grundgesetz vorgesehen. Sie widersprechen ihm sogar ausdrücklich.

(Beifall bei der LINKEN)

Es bleibt dabei: Vom organisierten Geld regiert zu werden, ist genauso schlimm, wie vom organisierten Verbrechen regiert zu werden. Heute werden Deutschland und Europa vom organisierten Geld regiert, und diese Bundesregierung ist eine besonders emsige und devote Vollstreckerin seiner Wünsche.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin!

Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Die Linke wird sich im Unterschied auch zur SPD und zu den Grünen an diesem schmutzigen Geschäft niemals beteiligen. Deswegen werden wir heute gegen diesen Gesetzentwurf stimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Links:

  1. https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/1195.vom-organisierten-geld-regiert-zu-werden-ist-so-schlimm-wie-vom-organisierten-verbrechen.html