Sahra Wagenknecht

Drei Jahre danach: Zum Stand der Finanzmarktregulierung

Artikel von Sahra Wagenknecht vom 24.01.2012

26.01.2012

Vor gut drei Jahren löste die Pleite von Lehman Brothers die größte Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg aus. Die Regierungen in den Vereinigten Staaten und in Europa versprachen, die globalisierten Finanzmärkte zu regulieren. Doch bis zum heutigen Tag wurde nicht viel erreicht.

Banken – immer noch "too big to fail"
"Keine Bank darf so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen darf", stellte Kanzlerin Merkel 2008 fest. Zuvor hatten die Regierungen weltweit Billionen Euro und Dollar mobilisiert, um systemrelevante Banken zu retten. Was war das Ergebnis? Zur Bankenkrise kam eine Krise der Staatsfinanzen hinzu. Gleichzeitig sind die Finanzkonzerne noch größer geworden: Die Deutsche Bank durfte sich die Postbank und das Bankhaus Oppenheim einverleiben, die Commerzbank schluckte die Dresdner Bank – um nur einige Beispiele zu nennen. Die Erpressungsmacht der Banken ist damit größer als zuvor, während die Demokratie mehr und mehr auf der Strecke bleibt.

Machtkartell der Ratingagenturen ungebrochen
Die drei großen Ratingagenturen Moody´s, Standard & Poor's und Fitch üben eine verhängnisvolle Macht aus. Dies zeigte sich in der letzten Finanzkrise: Massen an hochriskanten Wertpapieren erhielten das Gütesiegel der Ratingagenturen und wurden in alle Welt verkauft. Dies brachte den Ratingagenturen saftige Profite ein, für die Kosten des gigantischen Schwindels mussten schließlich die Steuerzahler bluten. Doch die Ratingagenturen wurden für ihr Versagen nicht etwa abgestraft - im Gegenteil: Heute spielen sich die Ratingagenturen zum Richter und Henker über Staaten auf. Ihr Urteil bestimmt wesentlich mit, zu welchen Zinskosten sich Staaten verschulden können beziehungsweise ob sie überhaupt noch Kredite erhalten. Nun fordern Merkel und Sarkozy wieder einmal strengere Regeln für Ratingagenturen. Dies ist heuchlerisch, denn gleichzeitig wird in der EU über ein Regelwerk verhandelt, demzufolge Versicherungsunternehmen sich künftig noch stärker an den Urteilen der Ratingagenturen orientieren müssen.

Transparenz? Von wegen...
2008 versprachen die mächtigsten 20 Industrienationen, dass künftig "kein Produkt, kein Akteur, keine Region außerhalb der Aufsicht" sein werde. Von wegen: Schattenbanken, die keiner Regulierung unterliegen, haben seitdem noch an Bedeutung gewonnen. Auf Schattenbanken – hierzu zählen Hedgefonds, Geldmarktfonds oder Private Equity Fonds – entfallen inzwischen mehr Kredite als auf den normalen Bankensektor. Auch der undurchsichtige Handel mit gefährlichen Derivaten geht weiter. Einziger Fortschritt ist, dass der außerbörsliche Handel mit Derivaten in Europa künftig über sogenannte Clearing-Stellen abgewickelt werden soll. Dies reicht aber nicht aus: Gefährliche Derivate wie Kreditausfallversicherungen, mit denen auf den Bankrott von Staaten spekuliert wird, müssen gänzlich verboten werden.

Spekulation mit Nahrungsmitteln wird nicht verhindert
"Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen", versicherte Josef Ackermann, nachdem die Organisation foodwatch die Deutsche Bank in einem Bericht als "Hungermacher" überführt hatte. Dieses Versprechen dürfte kaum ernst gemeint sein. Schließlich ist die Deutsche Bank der weltweit größte Spieler, wenn es um die Spekulation mit Agrarrohstoffen geht. Aufgrund dieser Spekulation steigen die Nahrungsmittelpreise an – allein im Jahr 2008 hatte die spekulationsbedingte Preisexplosion bei Nahrungsmitteln mehr als 100 Millionen Menschen in den Hunger getrieben. Trotzdem konnte sich die Politik bislang nicht auf klare Regeln gegen Nahrungsmittelspekulation einigen. Nun besteht die Gefahr, dass ein Teil der endlosen Milliarden, die die EZB zurzeit den Banken zur Verfügung stellt, auch für solche Spekulationen verwendet werden, was die Lebensmittelpreise noch weiter nach oben treiben würde.

Kredithebel viel zu groß - Banken zocken einfach weiter
Eine Ursache der letzten Finanzkrise ist im riskanten Verhalten der Großbanken zu suchen: Diese hatten mit wenig Eigenkapital viel zu umfangreiche und riskante Geschäfte getätigt. Daran hat sich bislang auch nichts geändert. Beispiel Deutsche Bank: Ihr Eigenkapital beläuft sich auf 50 Milliarden Euro, ihre offizielle Bilanzsumme ist dagegen auf über 2 Billionen Euro angeschwollen – dies ist so viel wie die Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen zusammengenommen. Zwar haben die EU-Staats- und Regierungschefs im Oktober 2011 beschlossen, dass alle europäischen Banken ihre Eigenkapitalquoten bis zum 30. Juni 2012 auf mindestens neun Prozent der risikogewichteten Aktiva anheben müssen. Doch erstens ist auch eine Eigenkapitalquote von neun Prozent alles andere als ausreichend. Zweitens wird nur ein Bruchteil aller riskanten Anlagen zu den "risikogewichteten Aktiva" gezählt. Drittens büßen die Großbanken bei dem Versuch, ihren Kredithebel zu reduzieren, ihre letzte sinnvolle Funktion für die Gesellschaft ein: Statt Unternehmen mit Krediten zu versorgen, horten sie ihr Geld lieber bei der europäischen Zentralbank. Zum Glück gibt es in Deutschland noch viele Sparkassen und Genossenschaftsbanken, sonst hätten wir längst eine Kreditklemme, die die wirtschaftliche Entwicklung abwürgt.

Fazit
Die Politik hat aus der Finanzkrise nichts gelernt. Statt die Banken an die kurze Leine zu nehmen, lässt sich die Politik wieder und wieder von ihnen erpressen: So soll der alte, 480 Milliarden schwere Bankenrettungsfonds einfach neu aufgelegt werden, damit sich die Banken ein zweites Mal auf Kosten der Allgemeinheit sanieren können. Dieser Spuk muss endlich beendet werden, indem sämtliche Finanzkonzerne in öffentliche Hand überführt und strikt reguliert werden. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Geschäfte auf den Finanzmärkten einfacher und durchsichtiger werden. Riskante Finanzprodukte und -geschäfte sowie die Spekulation mit Agrarrohstoffen gehören verboten. Große Finanzkonzerne müssen zu überschaubaren Einheiten schrumpfen, Schattenbanken und intransparente Unternehmensstrukturen dürfen nicht länger geduldet werden. Die Demokratie muss aus dem Würgegriff der Finanzkonzerne und Ratingagenturen befreit werden. Hierzu muss eine Bank für öffentliche Anleihen gegründet werden, bei der sich die EU-Staaten zinsgünstig finanzieren können, ohne den Umweg über den Kapitalmarkt und die privaten Geschäftsbanken zu gehen. Darüber hinaus sollten sämtliche Gesetze geändert werden, die die Akteure auf den Finanzmärkten dazu zwingen, sich an den Urteilen der Rating-Agenturen zu orientieren. Schließlich sollten die Bilanzen aller Bad Banks, für deren Risiken die Steuerzahler haften, vollständig offengelegt und ausreichende Mittel für deren Überprüfung durch unabhängige Experten bereitgestellt werden.

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