Sahra Wagenknecht

Vorgeschobene Argumente

Artikel von Sahra Wagenknecht, veröffentlicht in "Neues Deutschland"

04.05.2007

Seit den neunziger Jahren hat das Land Berlin öffentliches Vermögen im Wert von ca. 12 Mrd. Euro veräußert. Wie Finanzsenator Sarrazin stolz bemerkte, gibt es in Deutschland „wohl kaum ein Land, das mehr verkauft hat." Bis zu ihrem Einstieg in die Landesregierung zählte die PDS zu den schärfsten Kritikern dieses Privatisierungswahns. Doch mit der „Regierungsverantwortung" änderte sich manches. So wurde beispielsweise der Verkauf der größten Wohnungsgesellschaft GSW an die Finanzinvestoren Cerberus und Whitehall 2004 mit Verweis auf haushaltspolitische Nöte gerechtfertigt.

Auch heute werden Sachzwänge bemüht, um zu begründen, warum es zur bundesweit erstmaligen Privatisierung einer Sparkasse keine Alternative gibt. Diesmal wird der EU Kommission der Schwarze Peter zugeschoben – was nicht schwer fällt, weil die Kommission tatsächlich keine Gelegenheit auslässt, um die Privatisierung des öffentlichen Bankensektors voranzutreiben.

Nun würde es in ganz Europa sicherlich keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, keinen öffentlichen Nahverkehr, keinen sozialen Wohnungsbau und keine einzige Sparkasse mehr geben, wenn die EU-Kommission schalten und walten könnte, wie sie will. Doch glücklicherweise ist ihre Macht nicht unbegrenzt, denn nach Artikel 295 EG-Vertrag sind Fragen der Eigentumsordnung Sache der Mitgliedsstaaten und ausschliesslich da zu entscheiden. Die EU-Kommission hat in einer Pressemitteilung vom 28. Juni 2006 selbst betont, dass „…Deutschland vollkommen frei über die Privatisierung oder Nichtprivatisierung einer Sparkasse entscheiden kann. Sobald jedoch Deutschland beschließt, eine Sparkasse zu privatisieren, wie es das Land Berlin mit der ,Berliner Sparkasse' getan hat, müssen die Vereinbarungen für die Privatisierung mit dem EU-Recht übereinstimmen." Auch auf meine Anfrage an EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erhielt ich die Antwort, dass nicht die Kommission, sondern „das Land Berlin im Rahmen des Umstrukturierungsplans die Veräußerung der BGB einschließlich der Berliner Sparkasse vorgesehen hat."

Warum wurden Alternativen zum Verkauf der Berliner Sparkasse zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen? Warum hat man im Anschluss an den Bankenskandal gar nicht erst versucht, die Sparkasse aus dem Konzern Bankgesellschaft auszugliedern und als eine dem Gemeinwohl verpflichtete, voll rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts wiederherzustellen? Wo sind die Studien, die belegen, dass eine Neuverhandlung des Umstrukturierungsplans – etwa die schrittweise Rückzahlung der Beihilfe aus den Gewinnen der Bankgesellschaft - unmöglich wäre?

Aus meiner Sicht gibt es auf all diese Fragen nur eine Antwort: Zumindest Teile des Berliner Senats haben durchaus ein Interesse daran, die Sparkasse zu privatisieren! Tatsächlich ist ein hoher Verkaufserlös für die Berliner Bankgesellschaft vor allem dann erreichbar, wenn die Sparkasse mit veräussert und zudem privaten Finanzinvestoren die bisher einmalige Gelegenheit geboten wird, den Namen „Sparkasse" weiterzuführen und die Gewinne trotzdem privat einzustreichen. Ein Sparkassengesetz, das dieses bisher Unmögliche möglich machen sollte, ließ der SPD-PDS-Senat von Freshfields Bruckhaus Deringer erarbeiten – einer Kanzlei, die mit der privaten Bankenlobby aufs engste verbunden ist.

Nachdem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beanstandet hatte, dass dieses Sparkassengesetz im Widerspruch zum deutschen Kreditwesengesetz steht, das den Namen Sparkasse für öffentlich-rechtliche Institute mit gemeinwohlorientierter Gewinnverwendung reserviert, bat Sarrazin die EU-Kommission, bei der Abschaffung des entsprechenden Paragraphen behilflich zu sein. Gern nahm die Kommission daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wieder auf, das beinahe den Namensschutz für Sparkassen in ganz Deutschland beseitigt und eine flächendeckende Privatisierung ermöglicht hätte.

Nicht also die EU-Kommission zwingt das Land Berlin zum Verkauf der Sparkasse, sondern der Berliner Finanzsenator bedient sich der EU-Kommission, um Gesetze, die eine Privatisierung von Sparkassen noch verhindern, aus dem Weg zu räumen. Selbst die Financial Times Deutschland stellte kürzlich erstaunt fest, dass „die der Zusammensetzung ... nach ‚linkeste' Landesregierung die Privatisierung ihrer Sparkasse am entschiedensten betreibt. Die FDP hätte das nicht besser machen können, obwohl sie es wenigstens programmatisch vertritt". (FTD 29.01.07)

Zwar hat das Abgeordnetenhaus inzwischen einen Antrag beschlossen, nach dem im Vertrag mit dem Käufer der Landesbank bestimmte sozialpolitische Auflagen verankert werden sollen. Nicht zuletzt von Sarrazin selbst wurden diese Festlegungen allerdings als blosse „politische Meinungsäusserung" ohne bindende Wirkung abqualifiziert. Auch stellt sich die Frage, warum der Senat sich hartnäckig weigert, etwa das Recht auf ein Konto für jedermann im Sparkassengesetz selbst zu verankern – der einzige Weg, um Betroffenen ein einklagbares Recht zu geben. Oder die Verpflichtung zur gemeinnützigen Gewinnverwendung ins Gesetz zu schreiben, was das Interesse von Privatbanken und Heuschrecken am Bieterverfahren erheblich abkühlen dürfte.

Was bringt unsere Partei dazu, an der Seite von Sarrazin eine Politik zu betreiben, die der privaten Bankenlobby und der EU-Kommission in die Hände spielt? Selbst wenn man eingesteht, dass sich das Land Berlin aufgrund des größten Bankenskandals in der Geschichte der Bundesrepublik in einer außergewöhnlichen Situation befindet: Dies rechtfertigt noch lange keine Politik, die der Zerstörung des öffentlich-rechtlichen Bankensektors in ganz Deutschland Vorschub leistet und damit den flächendeckenden Zugang zu Finanzdienstleistungen, tausende Arbeitsplätze, Millionen an Steuereinnahmen und unzählige gemeinnützige Projekte aufs Spiel setzt! Die Linke hat nur eine Zukunft wenn sie glaubwürdig ist – und glaubwürdig bleibt sie nur, wenn sie sich neoliberaler Privatisierungs- und Sparpolitik konsequent verweigert.