Sahra Wagenknecht

"Ackermann ist ein armer Hund"

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der Wochenzeitung "Sonntag aktuell" am 30.01.2011

31.01.2011
Interview: Claudia Lepping

Frau Wagenknecht, ist Kommunismus über die Zwischenetappe Sozialismus echt Ihr Ziel?

Wenn man unter Kommunismus das osteuropäische Modell der Vergangenheit versteht, dann ist das definitiv nicht mein Ziel. Ich strebe eine sozialistische Alternative zum Kapitalismus an, der doch längst vor seinen eigenen Ansprüchen versagt. Die Gewinne sprudeln, aber die Investitionen sind niedrig wie nie. Die privaten Großbanken zocken lieber, statt Unternehmen Kredite zu geben. Der Binnenmarkt liegt am Boden, weil viele Menschen jeden Euro immer öfter umdrehen müssen. Die heutige Wirtschaftsordnung behindert Produktivität und Innovation. Und Kreativität wird auf völlig nutzlose Tätigkeiten im Finanzbereich abgelenkt.

Sind die Leute nicht mit dem Kapitalismus recht zufrieden, solange sie teilhaben können und es soziale Marktwirtschaft gibt?

Das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft war: Wohlstand für alle. Das war verbunden mit dem Aufbau einer armutsfesten gesetzlichen Rente und einer ordentlichen Absicherung bei Krankheit und Arbeitslosigkeit. Außerdem war der Arbeitsmarkt gut reguliert, die Löhne stiegen. In den letzten 10, 20 Jahren ist das alles zerschlagen worden. Der aktuelle Aufschwung ist schon der zweite, der nahezu allein bei den Banken, den Großunternehmen und in den Brieftaschen der oberen Zehntausend stattfindet.

Was haben Sie gegen Privatwirtschaft und privates Eigentum?

Schon Walter Eucken, der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, wies auf die Gefahr hin, die aus der Konzentration wirtschaftliche Macht entsteht. In vielen Bereichen haben wir heute keinen echten Leistungswettbewerb mehr, sondern marktbeherrschende Konzerne, die ihre Zulieferer unter Druck setzen, ganze Staaten erpressen und sich um die Zufriedenheit ihrer Kunden kaum noch scheren. Heute sind die Konzerne und Großbanken mächtiger als die Staaten. Solange sich diese Machtbastionen in privater Hand befinden, hat die Politik kaum noch Gestaltungsspielraum. Finanzstabilität etwa ist ein öffentliches Gut. Also gehören große Banken in öffentliche Hand. Sonst haben wir private Renditejäger, die mit Staatshaftung im Rücken zocken gehen.

China ist die dynamischste Volkswirtschaft - kommunistisch, mit starkem Staat, aber wenig sozialer Sicherheit.

China ist eine Entwicklungsdiktatur, ein Land, das mit meinen Idealen nichts zu tun hat. Aber es beweist eins: wie hanebüchen das neoliberale Ideal ist, der Staat solle sich aus der Wirtschaft heraushalten. Überall in Südostasien spielt der Staat in der Wirtschaft eine zentrale Rolle, und die Industrien sind erfolgreicher als die der neoliberalen Musterländer USA und Großbritannien.

Wollen Sie eine neue Planwirtschaft?

Es ist nicht sinnvoll, eine Wirtschaft mit vielen differenzierten Konsumbedürfnissen planen zu wollen. Märkte haben eine wichtige Funktion, man darf sie nur nicht überfordern, und sie müssen Regeln unterliegen. Man muss die Märkte vom Kapitalismus befreien. Dann hätten kleine und mittlere Unternehmen auch wieder größere Chancen.

Der Markt straft den, der sich nicht durchsetzen kann, und stärkt den Erfolgreichen. Was ist da zu regulieren?

Der Markt straft immer erst im Nachhinein, bei großen Unternehmen kann das schnell verheerende Konsequenzen für ganze Branchen haben. Außerdem hat der Markt die Tendenz, den Großen immer größer zu machen. Selbst wenn er ein so absurdes Geschäftsmodell verfolgt wie heute viele Konzerne, nämlich immer mehr an die Anteilseigner auszuschütten statt das Geld im Unternehmen zu investieren. Als die US-Autoindustrie am Shareholder-Value-Wahn zugrunde ging, kam doch wieder der Staat und hat mit Steuergeld gerettet. Die Erpressungsmacht der Großindustrie ist sehr stark. Auch die Banker straft kein Markt.

Wie wollen Sie Leistung honorieren und Reichtum bewerten, den sich jemand selbst erwirtschaftet hat?

Ich bin durchaus für eine Leistungsgesellschaft. Heute haben wir das Gegenteil. Etwa einem Prozent der Bevölkerung gehören in Deutschland über 70 Prozent des gesamten Betriebsvermögens. Vielfach wurde dieses Eigentum nicht erarbeitet, sondern schlicht ererbt, so wie auch große Geldvermögen. Mit wirtschaftlicher Macht verbunden ist auch Macht über Menschen. Die Vererbung von Wirtschaftsmacht halte ich nicht für ein Menschenrecht. Ich wäre für ein Erbrecht, in dem jeder bis zu einer Million Euro steuerfrei vererben kann, mehr aber nicht. Die Betriebe sollten dann im Erbfall an die Beschäftigten übergehen, auf deren Leistung sie ja wesentlich beruhen. Dann könnte jeder mit ähnlichen Startchancen anfangen und sich etwas aufbauen. Milliardäre wie Warren Buffett sehen das übrigens ähnlich.

In unserer Leistungsgesellschaft . . .

. . . der Kapitalismus ist keine Leistungsgesellschaft.

. . . wird die Mittelschicht selten reich.

Die eigentlichen Leistungsträger, die Arbeitenden, werden fast nie reich. Die wirklich hohen Einkommen resultieren aus Vermögen - sind also leistungslos. Im Vergleich zu den Einkommen der Geldaristokratie ist selbst der Deutsche-Bank-Chef Ackermann ein armer Hund. Arbeitseinkommen werden auch viel höher besteuert als Vermögenseinkommen. Der Kapitalismus ist leistungsfeindlich.