Sahra Wagenknecht

Postdienstleistungen gehören in öffentliche Hand!

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestags am 08.07.2010 über die Arbeitsbedingungen im Briefmarkt (zu Protokoll gegeben)

08.07.2010

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist schon ein wenig ungewöhnlich, dass wir eine Große Anfrage debattieren, ohne dass die Antworten der Bundesregierung überhaupt vorliegen. Dass die SPD es gar nicht abwarten kann, die Debatte zu führen, dürfte vor allem in ihrer Oppositionsrolle begründet sein. Es ist schließlich nicht auszuschließen, dass die ein oder andere Antwort auch ein negatives Schlaglicht auf so manchen problematischen Aspekt aus eigener Regierungstätigkeit geworfen hätte. Da ist es doch besser, man befasst sich erst gar nicht mit den Antworten, sondern geriert sich lieber nur als große Kritikerin der ungebremsten Post-Liberalisierung und als Kämpferin gegen Sozialdumping und den Niedriglohnsektor. Wohlgemerkt, als Kritikerin einer Politik, die man selbst jahrelang vorangetrieben hat!

Ein Beispiel: In Frage 6 will die SPD-Fraktion wissen, ob auch die Bundesregierung davon ausgeht, dass unter „wesentlichen Arbeitsbedingungen" insbesondere die Höhe der Löhne, die Arbeitszeit und die Dauer des Jahresurlaubs zu verstehen ist. Hintergrund ist, dass die Bundesnetzagentur laut Postgesetz verpflichtet ist, Post-Unternehmen die Lizenz zu verweigern, wenn sie die wesentlichen Arbeitsbedingungen nicht einhalten. Die Gewerkschaft ver.di hat bereits vor drei Jahren darauf hingewiesen, dass die Bundesnetzagentur das Gesetz offenbar falsch auslegt und dass viele Postunternehmen Lohn- und Sozialdumping betreiben.

DIE LINKE hat deshalb bereits 2007 einen Gesetzentwurf eingebracht, der das Postgesetz konkretisiert und die Bundesnetzagentur klar verpflichtet hätte, Löhne, Arbeitszeit und Urlaubsanspruch bei der Zulassung von Post-Unternehmen zu prüfen. Das wurde damals von allen anderen Fraktionen abgelehnt. Damals waren Sie in der Regierung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Da hätten Sie mal die Möglichkeit gehabt, wirklich etwas gegen das Sozialdumping im Postbereich zu unternehmen!

Aber immerhin schwenken Sie jetzt als Opposition auf den Kurs der Linken ein und zeigen sich endlich bereit anzuerkennen, wie katastrophal die Arbeitsbedingungen im Postbereich nach wie vor sind. Die Pin Mail AG zahlt ihren Beschäftigten laut Verdi mittlerweile wieder weniger als den bis vor kurzem gültigen Mindestlohn von 9,80 Euro. Das Unternehmen TNT zahlt seinen Zustellern ohnehin weniger – laut Verdi zum Teil nur 6,75 Euro pro Stunde. Doch es sind nicht nur diese Anbieter, die Löhne drücken. Zwar liegen bei ihnen nach Gewerkschaftsangaben die Löhne zwischen 33 und 54 Prozent unterhalb der Tarifeinkommen bei der großen Post AG – doch auch der gelbe Marktführer versucht zunehmend Löhne zu drücken. Zuletzt mit der Gründung der Billig-Tochter „First Mail". Diesem Lohndumping muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden!

In Anbetracht dessen, dass auch der alte Post-Mindestlohn unterlaufen werden konnte, muss es darum gehen, endlich einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10 Euro pro Stunde einzuführen. Wenn in einer Branche der unterste Tariflohn über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt, soll außerdem dieser Tariflohn für allgemeinverbindlich erklärt werden. Das wären wirksame Maßnahmen gegen Lohndumping und Sozialabbau!

Mindestlöhne und eine verschärfte Überwachung der sozialen Bedingungen im Briefmarkt sind wichtig! Aber man darf nicht vergessen: Sie packen das Problem nicht an der Wurzel. Die eigentliche Ursache der Misere liegt in der Privatisierung und Liberalisierung des Postbereichs. Dass die SPD nun langsam anfängt, die Frage der unerträglichen Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auch in diesen Kontext zu stellen, ist schön. Noch schöner wäre es allerdings gewesen, hätte sie sich in ihrer Regierungszeit aktiv gegen die Privatisierung eingesetzt. Aber da war sie eine treibende Kraft der Liberalisierung. Mit allen katastrophalen Folgen für Verbraucher und Beschäftigte. Wer eine grundlegende und nachhaltige Verbesserung der Situation im Postbereich für Beschäftigte – und Verbraucher - erreichen will, kommt nicht drum herum, auch die Frage der Privatisierung des Postbereichs auf die Tagesordnung zu setzen. Es muss jetzt darum gehen, die von der SPD mit verantworteten Entwicklungen zu revidieren und eine grundlegende Kurskorrektur herbeizuführen. Die Forderung ist klar: Das Postwesen darf nicht dem skrupellosen Profitstreben privater Betreiber überlassen werden. Postdienstleistungen sind eine öffentliche Aufgabe. Sie gehören in öffentliche Hand!