Sahra Wagenknecht

Europawahlen am Ende des Turbo-Kapitalismus

Streitgespräch zwischen Markus Ferber, MdEP (CSU) und Sahra Wagenknecht, MdEP (LINKE), erschienen in WAZ, 08.05.09

08.05.2009
Interview: Knut Pries

Brüssel. Die Europawahlen stehen im Zeichen der Krise. Welche Partei hat die besseren Antworten darauf? Ein Streitgespräch zwischen den Europa-Abgeordneten Sahra Wagenknecht (Die Linke) und Markus Ferber (CSU).

In einem Punkt sind Sie beide einig: Die Teilnahme an der Europa-Wahl ist wichtig. Heißt das, Frau Wagenknecht, ein CSU-Wähler ist Ihnen lieber als ein Nichtwähler?

Wagenknecht: Mir ist am liebsten einer, der Die Linke wählt. Damit der Wählerwille zum Ausdruck kommt, muss die Mehrheit zur Wahl gehen. Entscheidend ist aber, dass wir andere Mehrheiten im Plenum bekommen.

Und Sie, Herr Ferber?

Ferber: In Bayern gibt es nicht viele Linke. Es ist aber in unser aller Interesse, dass die einzige vom Bürger direkt gewählte EU-Institution eine starke Legitimation bekommt.

Frau Wagenknecht, kennzeichnen Sie bitte in ein paar kräftigen Strichen die Europapolitik der CDU/CSU. Herr Ferber hat Gelegenheit zum Dementi.

Wagenknecht: Es gibt eine tiefe Kluft zwischen öffentlichen Bekundungen und Abstimmungsverhalten. Wenn die CSU „bayerische Interessen“ vertreten will, sollten da bayerische Arbeitnehmer und Kleinunternehmer dazugehören. Im EP stimmt sie aber neoliberal: für Deregulierung, Privatisierung und eine Politik der Konzerne.

Ferber: Frau Wagenknecht verwechselt uns mit der FDP. Wir sind als CDU/CSU immer Vertreter der sozialen Marktwirtschaft gewesen. Der Turbo-Kapitalismus ist 20 Jahre nach dem Scheitern des Kommunismus ebenfalls gescheitert.

Und wie sieht die Europapolitik der Linken aus?

Ferber: Die Linken vertreten eben diese vor 20 Jahren gescheiterte Politik: dass der Staat vorschreibt, wie die Menschen leben und arbeiten sollen.

Sie sehen bei Frau Wagenknechts Partei den Versuch, den Untergang des DDR-Systems rückgängig zu machen?

Ferber: Ja.

Wagenknecht: Das ist völlig absurd. Wenn Sie natürlich jeden Kampf um öffentliches Eigentum und gegen Marktradikalismus denunzieren wollen als ‚Zurück zur DDR' – dann bitteschön! Was wir fordern, hat nichts mit der Vergangenheit, der DDR, zu tun, aber viel damit, dass wir ein anderes Wirtschaftsmodell brauchen.

Ferber: Soziale Marktwirtschaft heißt auch Markt, nicht nur Reglementierung! Aber der Vorwurf „neo-liberal“ trifft uns nicht. Wir haben dafür gesorgt, dass die neo-liberal ausgerichtete Dienstleistungsrichtlinie umgekrempelt wurde.

Wagenknecht: Die Dienstleistungsrichtlinie ist selbst in der geänderten Form zutiefst neoliberal, sie fördert Lohndumping und bringt kleine Unternehmen unter Druck.

Die Wahlen stehen im Zeichen der Krise. Herr Ferber, der Schlamassel ist entstanden, als Sie und Ihre Freunde quer durch Europa das Sagen hatten.

Ferber: In Deutschland war zur Zeit der falschen Entscheidungen Rot-Grün an der Macht. Auch auf europäischer Ebene wurden die Weichen nicht von Konservativen gestellt. Die Briten waren tonangebend. Das amerikanische Modell ist gescheitert, nicht das deutsche. Ich freue mich, dass das jetzt auch die Briten einsehen.

Frau Wagenknecht, für Ihre Partei Die Linke ist die Krise eine System-Krise des Kapitalismus. Nur – der Wähler glaubt nicht dran. Sie haben nicht die Spur einer Machtperspektive.

Wagenknecht: Im Gegensatz zur CSU steht bei uns immerhin nicht in Frage, ob wir wieder ins EU-Parlament einziehen. Die Linke zeigt im Bundestag, dass man aus der Opposition heraus Politik machen kann, indem man die anderen vor sich her treibt. Das gilt auch auf europäischer Ebene. Je stärker wir sind, desto eher können wir mitbestimmen.

Was zum Beispiel?

Wagenknecht: Für soziale Mindeststandards, eine Regulierung der Finanzmärkte. Alles, was mit der Grundentscheidung soziales Europa oder entfesselter Kapitalismus zu tun hat.

Herr Ferber, was liefe konkret schief, wenn Markus Ferber und die CSU nicht mehr im EP säßen?

Ferber: Die CSU sorgt dafür, dass sparsam mit dem Geld der Steuerzahler umgegangen wird. In der Agrarpolitik würde ohne uns die Existenz der bäuerlichen Familienbetriebe nicht mehr ausreichend vertreten. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei würden forciert.

Über das Europäische Parlament und seine Mitglieder sind jede Menge Vorurteile in Umlauf. Was ärgert Sie daran am meisten, was stimmt?

Wagenknecht: Am meisten ärgert einen das ,Freizeit-Parlament'. Der Vorwurf Bürgerferne ist nicht ganz unberechtigt – manche agieren hier anders als zuhause, weil sie sich unbeobachtet fühlen.

Ferber: Mich ärgert der Vorwurf ebenfalls, der EU-Abgeordnete tummle sich nur auf Empfängen. Bürgerferne sehe ich auch als Problem: Wenn Sie hier was bewegen wollen, müssen Sie in Brüssel und Straßburg präsent sein, als Volkstribun zuhause. Die Balance ist sehr schwierig.