Umverteilung unabdingbar

Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Tageszeitung "Neues Deutschland" am 12.12.08

15.12.2008

Die EU steht vor der größten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Trotz milliardenschwerer »Rettungspakete« kommt die Kreditvergabe der Banken nicht in Gang, die Börsenkurse stürzen in die Tiefe, zentrale Industriebranchen sind von einer »Epidemie der Überproduktion« (Marx) befallen, zahlreiche Bankrotte absehbar. Allen Statistiktricks zum Trotz wird die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten Jahren gravierend steigen. Die Lage ist so ernst, dass inzwischen sogar die EU-Kommission hektische Aktivitäten entfaltet. Sie stellte den Plan für ein europäisches Konjunkturprogramm vor, das als »Dringlichkeitsmaßnahme« eine Finanzspritze in Höhe von 200 Milliarden Euro einfordert. Welches Land welchen Beitrag zu diesem Gesamtpaket beisteuert, ist allerdings heiß umstritten.

Besonders geizig gibt sich dabei die Bundesregierung – und dies, obwohl der Spielraum hierzulande größer ist als in fast allen anderen EU-Staaten. Bei genauer Betrachtung beläuft sich der fiskalische Impuls des bisher geplanten deutschen Konjunkturpakets für 2009 jedoch auf ganze vier Milliarden Euro – ein lächerlicher Betrag im Vergleich zu den Summen, die Japan, die USA oder auch China mobilisieren, um der Krise entgegenzuwirken. Wieso tritt ausgerechnet Deutschland in Sachen Konjunkturprogramm so auf die Bremse? Als es darum ging, marode Banken, die sich verspekuliert hatten, mit Steuergeld aufzufangen, wurde immerhin ohne Zögern ein »Rettungsschirm« in Höhe von beispiellosen 500 Milliarden Euro aufgespannt.

Tatsächlich ist das nur scheinbar ein Widerspruch. Die Steuermilliarden werden verbraten, um deutsche Banken für den Kampf um neue Marktanteile fit zu machen. Um den eigenen Binnenmarkt hingegen glaubt man sich als »Exportnation« nicht scheren zu müssen. Frei nach Kurt Tucholsky, der es schon 1931 so fasste: »Export ist, wenn die andern kaufen sollen, was wir nicht kaufen können.« Für Berlins Finanzsenator Sarrazin macht es daher auch keinen Sinn, den Regelsatz für Hartz IV-Empfänger zu erhöhen – das Geld könnte womöglich in Fernost landen statt in den Taschen deutscher Konzerne und ihrer Aktionäre.

Das jetzige Krisenmanagement ist eine direkte Fortsetzung der Politik der vergangenen Jahre, die für die wirtschaftliche Katastrophe, auf die wir zusteuern, wesentlich verantwortlich ist. Die Alternativen liegen auf der Hand und müssten nicht einmal zu einer Erhöhung der Staatsverschuldung führen. Allein eine Millionärssteuer von zehn Prozent auf Privatvermögen oberhalb von einer Million Euro könnte jährlich etwa 200 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen spülen. Genug Geld, um Rente, Kindergeld und ALG II deutlich anzuheben, die chronische Unterfinanzierung von Bildung und Gesundheit zu beenden, den Investitionsstau bei der öffentlichen Infrastruktur zu überwinden sowie durch einen massiven Kaufkraftschub den Binnenmarkt zu stabilisieren und der Krise aktiv entgegenzuwirken. Darüber hinaus gehört die Vergesellschaftung des Finanzsektors endlich auf die Tagesordnung. Eine radikale Umverteilung von oben nach unten ist nicht nur ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit. Sie ist inzwischen auch ein zwingendes Erfordernis wirtschaftspolitischer Vernunft, das sich allerdings nur gegen die Interessen der oberen Zehntausend durchsetzen lässt. Auf freiwillige Einsicht bei Merkel und Steinbrück sollte man dabei nicht hoffen.