Sahra Wagenknecht

»Nicht mitkungeln, sondern kämpfen«

Entscheidend für den Erfolg der neuen Linkspartei sind Glaubwürdigkeit und Prinzipientreue

28.04.2007
Sahra Wagenknecht, Nele Hirsch, Ulla Jelpke, Sabine Lösing, Thies Gleiss und Tobias Pflüger

Die Briefumschläge mit den Wahlzetteln für die Urabstimmung über den Zusammenschluß von Linkspartei und WASG sind verschickt, die Mitglieder beider Parteien haben bis zum 18. Mai Zeit, ihr Votum abzugeben. Mit einem positiven Ergebnis wäre die letzte Hürde auf dem Weg zur Bildung der gemeinsamen Partei genommen. Im folgenden Beitrag äußern sich Initiatorinnen und Initiatoren des Aufrufs »Für eine antikapitalistischen Linke« zu Perspektiven der neuen Linkspartei.

Die Formierung einer starken Linken eröffnet die lang ersehnte Chance auf ein ernsthaftes und ernstzunehmendes Gegengewicht zur bislang nahezu uneingeschränkten Hegemonie von Neoliberalismus und Antikommunismus. Wer sich wünscht, nach Jahren ungehinderten Lohndumpings, Sozialraubs und Privatisierungswahns das Jammertal der Niederlagen endlich zu verlassen, der muß auf ein Gelingen des neuen linken Projekts setzen. Ein Scheitern wäre ein nicht zu verantwortender Rückschlag, der die Linke über viele weitere Jahre in die Defensive verbannen würde.

Ob eine starke linke Partei entsteht oder nicht, hängt allerdings nicht nur davon ab, ob das Projekt bei der Urabstimmung die nötige Mehrheit findet und der Berliner Parteitag den Zusammenschluß vollzieht. Das sind die unerläßlichen organisatorischen Vorbedingungen für die Geburt der neuen Linken. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die eigentlichen Weichenstellungen, die über Sein oder Nichtsein einer einflußreichen linken Gegenkraft in der Bundesrepublik entscheiden, sind inhaltlicher Art. Die Auseinandersetzung über sie ist mit der Fusion nicht abgeschlossen. Sie wird dann erst richtig beginnen.

Mehrheit gegen Regierungskurs

Sieht man sich aktuelle Umfragen an, müßte die Linke auf einer beispiellosen Erfolgswelle schwimmen. Wahrscheinlich nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte hat es eine Situation gegeben, in der politische Positionen der Linken in diesem Ausmaß mehrheitsfähig waren und die Linke in wesentlichen Fragen als einzige parlamentarische Kraft den Willen großer Teile der Bevölkerung repräsentierte. Wer keine Tornados in Afghanistan will und keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, der vertritt heute die Mehrheit der Bevölkerung. Wer Bush und Blair als Terroristen bezeichnet und den vorgeblichen »Kampf gegen den Terror« als imperialistischen Öl- und Rohstoffkrieg, der spricht aus, was viele denken. Wer die Rente mit 67 und die Hartz-Gesetze als unerträgliches Sozialdumping geißelt und die herrschende Steuerpolitik als Mästung der Reichsten, findet weite Zustimmung.

Dabei betrifft die Übereinstimmung von linker Position und Stimmungstrend nicht nur Fragen der Tagespolitik. Sie betrifft die generelle Bewertung der derzeitigen Umverteilungswelle, ihrer Akteure und ihrer Profiteure. Daß es in Deutschland ungerecht zugeht, meinen zwei Drittel der Befragten einer repräsentativen Umfrage vom Januar 2007. Daß nicht der Markt, sondern der Staat »… dafür sorgen (muß), daß man auch bei Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit und im Alter ein gutes Auskommen hat«, unterstützen 84 Prozent. Nur noch eine Minderheit von 40 Prozent fühlt sich als Gewinner der gesellschaftlichen Entwicklung. Jeder dritte empfindet sich heute ausdrücklich als Verlierer.

Auch die Erwartung in die Zukunftspotentiale des Kapitalismus ist niedrig. Etwa die Hälfte der Bundesbürger geht davon aus, daß Löhne und Gehälter in den nächsten Jahren weiter fallen. Nur neun Prozent erwarten, daß sie steigen. 93 Prozent aller ostdeutschen Arbeitslosen sehen für sich in der heutigen Gesellschaft überhaupt keine Chance mehr. Die herrschenden Parteien werden inzwischen mehrheitlich als unglaubwürdig, korrupt und mit der wirtschaftlichen Machtelite verbandelt angesehen. Nur noch eine Minderheit meint, daß die bürgerliche Demokratie in ihrer heutigen Form funktioniert. Keineswegs verwunderlich daher, daß 45 Prozent der unter 30jährigen Ostdeutschen die Ansicht unterstützen: »Ein reformierter, humanistischer Sozialismus wäre mir lieber als die gegenwärtige politische Ordnung.« Die Position: »Sozialismus ist im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde« unterstützen bundesweit 52 Prozent.

Kein Aufschwung für links

Es sind inzwischen einfach zu viele Menschen, die tagtäglich zu spüren bekommen, daß die neoliberalen Verheißungen größerer Freiheit und Eigenverantwortung vor allem eines bedeuten: das durch keine Regel mehr gebändigte Faustrecht der Wirtschaftsmächtigen. Dennoch: Die Linke, die als einzige parlamentarische Partei den Kampf gegen solche Verhältnisse auf ihre Fahne geschrieben hat, erfährt keineswegs soviel Resonanz und Zuspruch, wie es angesichts der zitierten Stimmungen zu erwarten wäre.

Bei Umfragen zum Bundestrend liegen wir stabil bei acht bis zehn Prozent. Das ist im Vergleich zu früheren PDS-Werten ein sehr gutes Ergebnis. Aber nach fast zwei Jahren großer Koalition mit unzähligen Sozialverbrechen und angesichts einer SPD, der Mitglieder und Wähler in Scharen davonlaufen, ist eine bloße Stabilisierung unserer Wählerzahl noch nicht wirklich zufriedenstellend. Auch der Zuwachs der Mitgliedschaft, den Linkspartei wie WASG im Wahljahr 2005 verzeichnen konnten, hat sich nicht fortgesetzt. Von einzelnen regionalen Ausnahmen abgesehen, stagniert die Mitgliederzahl oder schrumpft sogar.

Besonders dramatisch offenbart sich die Problematik der neuen Linken bei den seit 2005 stattgefundenen Wahlen. Während bei den Kommunalwahlen in Hessen und Niedersachsen eindrucksvolle Achtungserfolge erzielt werden konnten und die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zumindest gemessen an früheren PDS-Ergebnissen für einen klaren Aufwärtstrend stehen, gestalteten sich die Wahlen in den einstigen Hochburgen im Osten als Abfolge von Niederlagen. Bereits bei der offiziell noch als Erfolg verkauften Landtagswahl in Sachsen-Anhalt konnte die Linkspartei das schwache Ergebnis der vorangegangenen Wahl zwar prozentual übertreffen, hatte aufgrund der bisher niedrigsten Wahlbeteiligung aber absolut nochmals verloren. Ähnlich in Mecklenburg-Vorpommern: Auch hier gingen noch weniger Menschen zur Wahl als zuvor; dennoch zeigte in diesem Fall sogar das prozentuale Ergebnis nach unten. Das Desaster folgte in Berlin, wo sich die Zahl der Wähler innerhalb einer Legislatur schlicht halbierte. Jüngstes Beispiel ist die Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt: nur noch jeder Dritte ging hier überhaupt zur Urne; die Linkspartei verlor in absoluten Stimmen massiv und selbst prozentual so deutlich, daß sie vom zweiten auf den dritten Platz abrutschte.

Schwindende Wählerzahlen stehen für schwindende Akzeptanz und Ausstrahlung, da läßt sich nichts schönreden. Eine Partei im Aufschwung sieht anders aus. Sicher, es war noch nicht die neue Linke, die hier zur Wahl stand. Aber im Hinblick auf landespolitische Entscheidungsträger wird die neue Linke im Osten im wesentlichen die Linkspartei sein. Das neue Label als solches wird den Abwärtstrend kaum stoppen können.

Zu Positionen stehen

Woran liegt es? Immerhin hat die PDS, obwohl bundesweit viel schwächer, im Osten einst ungleich höhere Resonanz und Wahlergebnisse erreicht. Mit Blick darauf wird heute insbesondere von Funktionsträgern aus der früheren PDS zuweilen gewarnt, die neue Linke laufe Gefahr, ihre Zugewinne im Westen auf Kosten ihres ostpolitischen Profils zu erkaufen. So wird der Eindruck erweckt, als seien die Einbrüche im Osten in gewisser Hinsicht sogar Folge des neuen Parteiprojekts, das mit seinen Gesichtern und Themen deutlich stärker westlich geprägt sei als die frühere PDS.

Wir halten eine solche Interpretation für absurd. Mindestens zwei Fakten sprechen dagegen: Erstens, kein Gremium von Linkspartei und WASG steht so klar bereits heute für die neue vereinigte Linke wie die Bundestagsfraktion. Und auf kaum einer Ebene haben wir so stabile und gute Umfragewerte – auch im Osten! – wie im Bundestrend. Diese Werte liegen deutlich über unserem Abschneiden bei den genannten Landtags- oder Kommunalwahlen. Zweitens sind rückläufige Wahlergebnisse im Osten keineswegs ein Phänomen der vergangenen zwei Jahre. Es sei nur an das Verfehlen der Fünfprozenthürde im Bundestagswahlkampf 2002 erinnert. Auch damals waren es vor allem Stimmverluste im Osten – besonders in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern –, die dafür verantwortlich waren.

Einen Indikator, der auf reale Ursachen schwindenden Rückhalts hindeutet, liefert das jüngste ZDF-Politbarometer. Während immerhin elf Prozent der Befragten der Linkspartei ein soziales Profil bescheinigen, fällt sie bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit noch hinter die niedrigen Werte aller anderen Parteien zurück: Während 21 Prozent die CDU für glaubwürdig halten und 14 Prozent die SPD (Grüne elf, FDP sieben Prozent), sind nicht mehr als vier Prozent der Meinung, die Linkspartei sei in ihrer Politik glaubwürdig. Das ist weniger als die Hälfte derer, die der Linken bei der letzten Bundestagswahl ihre Stimme gaben.

Wir sind überzeugt, daß es ganz besonders die Frage der Glaubwürdigkeit ist, die über Erfolg oder Mißerfolg der neuen Linken entscheiden wird. Wir müssen die Menschen nicht nur von unseren Positionen überzeugen, sondern vor allem davon, daß die neue Linke tatsächlich zu diesen Positionen steht, daß sie nicht eine jener Parteien ist, die in der Opposition das Blaue vom Himmel versprechen und alle Prinzipien über Bord werfen, sobald ein Zipfel vermeintlicher Macht in Reichweite gerät.

Daß sich Parteien nach diesem Muster verhalten, haben die Menschen einfach zu oft erlebt. Die SPD hat sich bis 1998 als soziale Kraft geriert, um danach Sozialdumping in bisher ungekannter Dimension durchzupeitschen. Die Grünen galten als Friedenspartei, bis sie als Regierende die Weichen für den weltweiten Kriegseinsatz deutscher Soldaten stellten.

Aus solchen Erlebnissen resultiert ein verbreitetes, prinzipielles Mißtrauen gegenüber Parteien. Weil sich immer mehr Menschen von den politischen Repräsentanten eher zer- als vertreten fühlen, gehen sie nicht mehr zur Wahl. Dieser grundsätzliche Vorbehalt trifft gerade auch eine linke Partei. Nur wenn die Linke in ihrer Alltagspolitik, in ihren Entscheidungen und Forderungen, bis hin zu ihrer Sprache deutlich macht, daß sie nicht zum Establishment gehört und auch nicht gehören will, daß sie nicht nach Anerkennung der Mächtigen giert, sondern Partner derer sein will, denen die herrschende Politik ins Gesicht schlägt, daß sie nicht mitkungeln, sondern kämpfen will, nur dann hat sie eine Chance, die Enttäuschten und Frustrierten tatsächlich zu erreichen. Eine Politik dagegen, die – und sei es nur regional oder in Einzelfragen – das Mißtrauen bestätigt und Zweifel nährt, wird die Erfolgschancen des neuen linken Projekts untergraben.

Man kann nicht glaubwürdig die Privatisierung der Deutschen Bahn ablehnen, wenn man gleichzeitig in Dresden und Berlin für den Verkauf Zehntausender Wohnungen steht. Selbst wenn linke Kommunalpolitiker in neun von zehn Kommunen gegen Privatisierungen streiten, wird es genau die eine Kommune sein, in der sie Privatisierungen mittragen oder sogar durchsetzen, die die überregionale Presse erreicht. Man kann auch nicht glaubwürdig für Beschäftigtenrechte kämpfen, wenn eigene Entscheidungen wie die faktische Abschaffung des Ladenschlusses gewerkschaftliche Forderungen mit Füßen treten, wenn Stellenabbau im öffentlichen Dienst und die Schaffung von Niedriglohnjobs auch mit der Linken verbunden werden. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Solche Widersprüche zerkratzen das Gesicht der neuen Linken, wie sie bereits das Gesicht der PDS zerkratzt haben. Das wirkt sich besonders dramatisch dort aus, wo solche Politik praktiziert und von den Menschen unmittelbar erlebt wird. Aber es wirkt nicht nur dort. Wirklich glaubwürdig kann die Linke nur als Ganze sein.

Kernpunkte

Zentral für die Frage der Unterscheidbarkeit der neuen Linken vom bürgerlichen Parteienkartell sind unseres Erachtens vier Punkte: Der erste und elementarste ist, daß die neue Linke in ihrer Politik auf allen Ebenen, von der Kommune bis zum Bund und auch auf Ebene der Europäischen Union, tatsächlich als Alternative zum neoliberalen Mainstream wahrgenommen wird. Zweitens muß die neue Linke Antikriegspartei bleiben – erkennbar, eindeutig und ohne Hintertürchen. Die neue Linke sollte, drittens, die Partei sein, die den Sozialismus als grundsätzliche Alternative zur kapitalistischen Barbarei wieder in die öffentliche Debatte bringt und auch dadurch kenntlich macht, daß sie sich nicht im bestehenden Profitsystem einrichtet. Und die Linke muß schließlich diejenige Partei sein, die auf außerparlamentarische Bündnisse setzt und klar ausspricht, daß sich in diesem Lande nur soviel ändern wird, wie den Herrschenden durch Druck abgezwungen wird.

Beginnen wir mit der Friedensfrage. Bei SPD und Grünen hat der Wandel von Parteien, die offiziell Kriegspolitik ablehnten, zu solchen, die für die deutsche Beteiligung an imperialistischen Raubzügen stehen, mit der Bejahung UN-mandatierter Kampfeinsätze begonnen. Seit dem Parteitag in Münster im April 2000 hatte es in der PDS immer wieder – erfolglose! – Versuche gegeben, unsere klare Antikriegshaltung in diesem Punkt ebenfalls mit einem »Aber« zu versehen. Mit der ersten Version der »Eckpunkte« sollte nicht nur ein Hintertürchen, sondern ein ganzes Scheunentor geöffnet werden. »Unter welchen Bedingungen«, wurde da gefragt, »können und sollen internationale Militäreinsätze im Auftrag und unter Kontrolle der UN in regionalen Kriegs- und Bürgerkriegskonstellationen zu einer Rückkehr der friedlichen Entwicklung beitragen?« Damit war impliziert, daß es sehr wohl »friedensstiftende« Kriegseinsätze gibt. Münster wäre erledigt gewesen.

Nicht zuletzt die »Antikapitalistische Linke« hat es damals zu ihrem vorrangigen Ziel gemacht, diese Aufweichung unseres friedenspolitischen Profils nicht zuzulassen. In der Folge wurden von uns, aber auch von vielen Basisgruppen und Kreisorganisationen aus Linkspartei und WASG unzählige Anträge gestellt, die eine Änderung hin zu einer klaren friedenspolitischen Position forderten. Mit dem Parteitag in Dortmund (am 24./25.3.2007, d. Red.) ist dies tatsächlich gelungen. Während die Süddeutsche Zeitung nach der gemeinsamen Vorstandssitzung am 10. Dezember titelte, die Linke sei nicht mehr grundsätzlich gegen Militäreinsätze, war das Presseecho nach Dortmund eindeutig. Überall wurde darauf verwiesen, daß die Linke Militäreinsätze grundsätzlich ablehnt. Die FAZ nörgelte, daß die Linke mit dieser »Radikalablehnung« ihre bundespolitische Regierungsunfähigkeit unter Beweis gestellt habe.

Wer jetzt versucht, in den beschlossenen Text etwas anderes hineinzudeuten, der verfälscht. Aktuell zeigt sich das in der Bundestagsfraktion bei der Abstimmung über den Sudan-Einsatz der Bundeswehr: Von Teilen der Fraktion wurde argumentiert, eine Enthaltung oder sogar Zustimmung zu diesem Einsatz sei von den Dortmunder Beschlüssen abgedeckt. Unter anderem diese Darstellung führte dazu, daß sich bei der Abstimmung am Freitag 15 Abgeordnete der Linken ihrer Stimme enthielten, so viele wie nie zuvor. Nur noch knapp zwei Drittel blieben bei ihrem konsequenten Nein. Diese Entwicklung zeigt, daß die Debatte über diese Frage mit der Entscheidung in den »Eckpunkten« nicht beendet ist. Neue Vorstöße zur Aufweichung des friedenspolitischen Profils werden folgen. Dahinter steht das Kalkül, die Tür für mögliche Regierungsoptionen im Bund nicht zuzuschlagen. Wer eine glaubwürdige Linke will, muß alles dafür tun, um dies zu verhindern. Die Positionierung von Dortmund darf weder aufgeweicht noch in der konkreten Politik mißinterpretiert werden.

Orientierung auf Sozialismus

Mit Blick auf das sozialistische Profil haben sich die »Eckpunkte« nach links bewegt. In der Endfassung ist die Orientierung auf Sozialismus nicht nur enthalten, sondern wird mit der Formulierung, daß »Schlüsselbereiche der Wirtschaft und der Daseinsvorsorge zum Wohle der Allgemeinheit in öffentliche Eigentumsformen überführt werden müssen«, untersetzt. Auch das war ein Punkt, den im Programm zu verankern sich unter anderem die »Antikapitalistische Linke« vorgenommen hatte. Eine solche Position in der Eigentumsfrage fand sich übrigens in keinem PDS-Programm; in denen ging es, wie in der ersten Fassung der »Eckpunkte«, immer nur um die Vergesellschaftung der »Verfügung«, womit sich Chávez und Morales schon lange nicht mehr aufhalten.

Nicht geringzuschätzen ist auch, daß die Solidarität mit den sozialistischen Bewegungen in Lateinamerika, mit den Verstaatlichungen von Rohstoffen und Schlüsselbereichen der Wirtschaft in Venezuela und Bolivien sowie mit Kuba heute dominierende Politik in der Bundestagsfraktion ist. Bei nicht wenigen, die in der PDS der letzten Jahre das Sagen hatten, war das bekanntlich keineswegs so.

Auch das öffentliche Auftreten der Linken ist unverkennbar antikapitalistischer geworden. Etwa wenn immer wieder der Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg oder von Eigentum und Gestaltungsspielraum zum Thema gemacht wird.

Die Orientierung auf und die tatsächliche Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Bewegungen ist ebenfalls lebendiger als früher. Die Forderung nach politischen Streiks und Generalstreiks ist als Position der Bundestagsfraktion öffentlich präsent. Die Kooperation mit den Gewerkschaften wird enger, was indes auch daran liegt, daß deren Unterordnung unter die SPD endlich zu bröckeln beginnt. Daß heute in Bayern SPD-Politiker von der 1.-Mai-Kundgebung ausgeladen werden, während Vertreter der Linken reden können, ist mit Blick auf frühere Tage durchaus eine Sensation.

Wie steht es mit dem letzten Punkt, dem antineoliberalen Profil in Bund, Ländern und Kommunen? Zumindest ist zu konstatieren, daß jene, die in den vergangenen Jahren Privatisierungen durchgewunken und soziale Kürzungen abgenickt haben, heute unter erheblich größerem Druck stehen, als wir ihn früher in der PDS zu organisieren vermochten. Daß eine Privatisierung der Sparkasse jedenfalls nicht mit dem Segen der Linken stattfinden darf, hat Lafontaine den Berlinern ins Stammbuch geschrieben. Wohnungsverkäufe sind kein Kavaliersdelikt mehr. In den »Eckpunkten« wurden zwar nicht, wie wir es wollten, umfassende Mindestbedingungen für Regierungsbeteiligungen festgeschrieben. Aber zumindest Privatisierungen im Bereich der Daseinsvorsorge – und dazu gehört fast alles, worauf sich der neoliberale Privatisierungshunger der letzten Jahre erstreckte: Wohnungen, Wasser, Nahverkehr, Müllentsorgung, sehr wohl auch Sparkassen – sind jetzt klar programmwidrig. Auch so eine Festlegung hat es im PDS-Programm nie gegeben.

Wir wollen nichts schönreden. Die Entwicklungen sind widersprüchlich. Neben dem Geschilderten stehen Verlautbarungen wie die »Dessauer Erklärung« oder der letzte Leitantrag von Sachsen-Anhalt, die deutlich rechts von der bisherigen PDS-Programmatik liegen. Nicht nur die Linke in der Linken, auch der Reformer-Flügel – nach heutigem Verständnis des Begriffs Reform kann man ihn ruhig so nennen – sammelt sich und wird keine Position freiwillig räumen. Neue Regierungsbeteiligungen auf Landesebene, die unter ähnlichem Vorzeichen stehen wie die in Berlin und zu ähnlichen Ergebnissen führen würden, sind keineswegs ausgeschlossen.

Niemand kann heute sicher wissen, wie die Linke in fünf Jahren aussehen wird. Aber jeder kann seinen Teil dazu beitragen, daß in diesem Land tatsächlich eine linke Kraft mit Ausstrahlung und Rückhalt entsteht. Je mehr Menschen sich in dieser Richtung einbringen, desto besser stehen die Chancen.

Sahra Wagenknecht ist Mitglied im Parteivorstand der Linkspartei.PDS und Abgeordnete im Europäischen Parlament, Nele Hirsch und Ulla Jelpke sind Bundestagsabgeordnete, Sabine Lösing ist Mitglied im Länderrat der WASG, Thies Gleiss ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG und Tobias Pflüger ist Abgeordneter im Europäischen Parlament