"Erbschaftssteuer ist eine Kapitulation vor der Macht steinreicher Firmenerben"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages vom 24.06.2016 über die Reform der Erbschaftssteuer

24.06.2016
Sahra Wagenknecht: »Erbschaftssteuer ist eine Kapitulation vor Macht steinreicher Firmenerben«

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss wirklich noch einmal sagen: Ich finde es ungeheuerlich,

(Volker Kauder (CDU/CSU): Jawohl!)

dass Sie ein derart grundlegendes und möglicherweise erneut verfassungswidriges Gesetz hier im Eilverfahren und noch dazu heute im Schatten einer solchen Abstimmung wie der in Großbritannien gestern durchpeitschen wollen.

(Christine Lambrecht (SPD): Wo ist denn hier Schatten? - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ich habe es vorhergesagt!)

Ich finde, das ist völlig unangemessen und genau die Politik, die die Leute abstößt. Machen Sie so weiter, dann machen Sie alles kaputt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich geht es bei der Erbschaftsteuer um die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Zwei Ökonomen der italienischen Notenbank haben kürzlich die Liste der Steuerzahler der Stadt Florenz aus dem Jahr 2011 mit der aus dem Jahr 1427 verglichen. Das erstaunliche Ergebnis war: Die reichsten und einflussreichsten Familien der Stadt waren immer noch die gleichen wie vor fast 600 Jahren. Die gleichen Studien gibt es auch für Großbritannien. Auch für Deutschland lassen sich solche Kontinuitäten mindestens bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. An der Spitze der Einkommens- und Vermögenspyramide hatten wir nie eine Leistungsgesellschaft. Da hatten und haben wir eine Erbengesellschaft mit langen, generationenübergreifenden Familiendynastien, die sich von dem alten Feudaladel nur dadurch unterscheiden, dass ihre Vermögen noch um einiges größer sind.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Um genau diese Vermögen geht es überwiegend, wenn wir über Betriebsvermögen reden. Über 90 Prozent des Betriebsvermögens in Deutschland befindet sich in den Händen der reichsten 10 Prozent aller Familien. Den Löwenanteil hat das reichste 1 Prozent. Ein gutes Zehntel aus jeder Generation erbt mehr, als die untere Hälfte der Bevölkerung im ganzen langen Arbeitsleben verdienen kann. Das heißt, wer reich geboren wird, bleibt reich. Wer arm geboren wird, der hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Armut zu sterben. Das sind die gesellschaftlichen Realitäten in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Wir finden das unerträglich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als der Liberalismus noch eine lebendige Strömung in der Tradition der Aufklärung war, gehörte der Kampf gegen erbliche Vorrechte zum liberalen Markenkern. Der große Liberale John Stuart Mill forderte explizit, „eine stark belastende Steuer auf jede Erbschaft“ zu legen, die einen moderaten Betrag übersteigt. Auch der Ordoliberale Alexander Rüstow attackierte das, was er das „feudal-plutokratische“ Erbrecht nannte, das nach seiner Auffassung die Marktwirtschaft zur „Plutokratie, zur Reichtumsherrschaft“ verkommen lässt. Ich finde es wirklich traurig, dass solche Traditionen in der heutigen Union keine Heimat und nicht den geringsten Rückhalt mehr haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In all diesen Fällen kann der Fiskus sich tatsächlich zurückhalten. Aber die Realität ist: Das tut er gar nicht.

Wer zum Beispiel von seinen Eltern ein Haus im Wert von 1 Million Euro erbt ‑ das sind in Städten wie München oder Düsseldorf keine prunkvollen Villen ‑, bei dem werden 90 000 Euro Erbschaftsteuer fällig; keine Kleinigkeit.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Das ist doch okay bei 1 Million! - Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Der sichert doch keine Arbeitsplätze!)

Wer dagegen ein Unternehmen im Wert von 25 Millionen Euro erbt, der zahlt keinen einzigen Euro Erbschaftsteuer.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Seine Beschäftigten muss er bezahlen! Seine Mitarbeiter muss er bezahlen!)

Selbst für Unternehmen mit einem Wert im dreistelligen Millionen- oder sogar im Milliardenbereich sind so viele Ausnahmen und Sonderregelungen im neuen Gesetz versteckt, dass selbst Sprösslinge aus Familien, die man in Russland oder in Griechenland als Oligarchen bezeichnen würde, gute Chancen haben, ihr Erbe anzutreten, ohne der Allgemeinheit irgendeinen relevanten Beitrag zu zahlen. Ich finde, das ist ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß auch nicht, wie Sie das mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbaren wollen. Ich finde, das Gesetz ist auch eine ziemliche Unverschämtheit gegenüber dem Verfassungsgericht - um das auch deutlich zu sagen -, denn es hat genau diese Gleichbehandlung eingefordert.

Insgesamt 300 bis 400 Milliarden Euro, und zwar überwiegend Großvermögen jenseits der Milliardenschwelle, werden Jahr für Jahr von einer Generation zur nächsten weitergereicht. Trotzdem haben Sie die Erbschaftsteuer zu einer Bagatellsteuer verkommen lassen, die weniger als 1 Prozent zum gesamten Steueraufkommen beiträgt. Das war vor der Reform so, und das wird nach der Reform so bleiben.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Das ist auch gut so!)

Ich finde, das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese zartfühlende Rücksichtnahme, mit der in der Erbschaftsteuerdebatte immer wieder vor Überbelastungen gewarnt wird - wohlgemerkt, wir reden hier von Multimillionären -, hätte ich mir einmal gewünscht, wenn es um die Belastung normaler Arbeitnehmer geht. Welche Verschonungsregeln haben Sie etwa für Kinder von armen Eltern, wenn diese im Alter ins Pflegeheim müssen? Ab einem Einkommen von gut 3 000 Euro pro Haushalt verlangt das Sozialamt von jedem verdienten Euro 50 Cent für die Pflege der Eltern, ohne Verschonungsregeln.

Jetzt kommen Sie mir nicht mit der angeblichen Gefährdung von Arbeitsplätzen. Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat festgestellt, dass es wenige Hinweise darauf gibt, dass die steuerliche Schonung von Betriebsvermögen Arbeitsplätze sichert. Dass immer mehr Unternehmen an Finanzinvestoren und Konzerne verkauft werden, hat mehr damit zu tun, dass geeignete Nachfolger fehlen, und es hat natürlich auch mit Herrn Draghis Billiggeld und dem dadurch ausgelösten Übernahmefieber zu tun.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): So, jetzt kommt die AfD-Rhetorik!)

Aber bis heute gibt es keinen einzigen dokumentierten Fall eines Unternehmens, das aufgrund der Zahlung von Erbschaftsteuer pleitegegangen wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

8 000 Millionen Euro Mehreinnahmen im Jahr wären zu erwarten, wenn einfach nur die aktuellen, relativ niedrigen Sätze auch auf große Betriebsvermögen angewandt würden. Aber durch Ihre tolle Reform sollen sich die Einnahmen gerade mal um lächerliche 235 Millionen Euro erhöhen. Selbst das ist fraglich: Experten, wie etwa Norbert Walter-Borjans, der NRW-Finanzminister,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

fürchten sogar zusätzliche Steuerausfälle. Ich finde, das ist doch wirklich ein Hohn. Verdammt noch mal, muss das nicht Ihnen von der SPD zu denken geben, was Sie hier heute für ein Gesetz durchwinken? Das ist doch unglaublich.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit 8 Milliarden Euro Mehreinnahmen wäre es übrigens kein Problem, die Zuzahlungen der Kinder für Eltern im Pflegeheim komplett abzuschaffen und natürlich auch die personelle Ausstattung der Heime deutlich zu verbessern. Aber so etwas kommt Ihnen leider offenbar gar nicht in den Sinn.

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Zur Sache!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD,

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Oh ja!)

wer soll denn Ihre Politik noch nachvollziehen können?

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Sie nicht! Das ist mir klar! - Volker Kauder (CDU/CSU): Sie brauchen’s nicht!)

An einem Tag ruft Ihr Vorsitzender den linken Bündnisfall zur Rettung des Landes aus,

(Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Mit Ihnen sicher nicht!)

und am nächsten Tagen winken Sie dieses Oligarchenpflegegesetz hier im Bundestag durch.

(Lachen des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU))

Das bringt doch keiner mehr zusammen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Sie sind doch im falschen Land! Gehen Sie doch mal ins Ausland! - Volker Kauder (CDU/CSU): Der einzige Oligarch ist Oskar Lafontaine!)

Ich finde, wer der Konzentration derart riesiger Vermögen so tatenlos zuschaut, der sollte sich Sonntagsreden über Chancengleichheit und Gerechtigkeit auch sparen.

Ich muss noch eines sagen: Besondere Ignoranz gegenüber verfassungsmäßigen Grundsätzen muss man nun wirklich der CSU bescheinigen.

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Oh!)

Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.

Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Schon mal irgendwo gehört?

(Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Aus der bayerischen Verfassung! Das halten wir ein!)

- Ja, das ist die bayerische Verfassung. Na, Sie wissen es doch sogar. Aber es scheint überhaupt keine Relevanz zu haben, dass die bayerische Regierung auf diese Verfassung ihren Amtseid geschworen hat.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Da steht aber nichts von Enteignung drin!)

Gebrochene Eide scheinen Sie für eine politische Selbstverständlichkeit zu halten.

(Max Straubinger (CDU/CSU): In der bayerischen Verfassung steht nichts von Enteignung!)

Auch das ist ein Punkt, weshalb Sie sich nicht wundern müssen, dass die Menschen sich von so einer Politik abwenden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Inzwischen hat die Ansammlung von Riesenvermögen in Deutschland Ausmaße angenommen, die mit einer Demokratie nicht mehr vereinbar sind. Gerade das Gesetz, das Sie hier durchwinken, ist ein lebendiger Beleg dafür. Das ist keine Reform, das ist eine Kapitulation vor der Macht und dem Einfluss steinreicher Firmenerben.

Die Linke wird auf jeden Fall ihren Anteil dazu beitragen, dieses Gesetz im Bundesrat zu stoppen. Wenn die Grünen das Gleiche tun, dann werden wir auch Erfolg haben. Ich hoffe sehr, dass es dazu kommt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)