Sahra Wagenknecht

Synonym für Krise und Zerfall

Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 19.02.2016

19.02.2016

Die Eurozone leidet unter unsolidarischer Politik

Deutschland ist wieder einmal Weltmeister. Trotz anhaltender Stagnation in der Eurozone und einer gedämpften Weltkonjunktur haben deutsche Firmen im letzten Jahr Waren im Wert von fast 1,2 Billionen Euro exportiert. Zieht man die Importe von dieser Zahl ab, bleibt ein Leistungsbilanzüberschuss von 250 Milliarden Euro, was einem Anteil von 8,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt entspricht.

Was deutsche Konzerne freuen mag, sorgt in Europa für eine immer größere Unwucht. Eigentlich müsste die EU-Kommission die Bundesregierung jetzt zu Strafzahlungen verurteilen, da derartige Überschüsse die Eurozone destabilisieren. Doch dazu wird es nicht kommen – schließlich wird in Europa „deutsch gesprochen“, wie es der CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder einmal in unnachahmlicher Arroganz formuliert hat. Statt die deutsche Binnenwirtschaft zu stärken wird man wieder einmal die schwächeren Volkswirtschaften zu Lohn- und Sozialkürzungen nötigen. So hat die Eurozone aber keine Zukunft, sie wird an den wirtschaftlichen Ungleichgewichten und daraus resultierenden Konflikten zerbrechen.

Fast ein Viertel aller EU-Bürger lebt heute in Armut. Gleichzeitig hat sich die Zahl der europäischen Milliardäre seit Beginn der Krise mehr als verdoppelt. Dies ist das Ergebnis einer unsolidarischen Politik, die Banken rettet und die Kosten dafür den Schwächsten aufbürdet. Einer Politik, die die Krisenverursacher aus dem Blickfeld nimmt und stattdessen die Bevölkerung verschiedener Länder gegeneinander aufhetzt. Kein Wunder, dass rechtspopulistische Parteien in Europa Zulauf haben und die EU zu einem Synonym für Zwietracht, Krise und Zerfall geworden ist.

Es ist auch kein Wunder, dass Deutschland nun vom Rest Europas in der Flüchtlingskrise allein gelassen wird. Wer ernsthaft geglaubt hat, man könne Europa von Berlin aus regieren, der darf sich nicht wundern, wenn ihm jetzt selbst der Wind ins Gesicht bläst. Und der Wind kann durchaus zum Sturm werden. Wenn die Grenzkontrollen ausgeweitet und immer neue Zäune und Mauern gegen Flüchtlinge errichtet werden, wäre das nicht nur ein moralischer Bankrott für Deutschland und Europa. Damit wäre auch ein Wirtschaftsmodell am Ende, das auf den ungehinderten Transport von Waren und Vorprodukten angewiesen ist.