Sahra Wagenknecht

"Wie Sie mit dem Steuergeld umgehen, ist verantwortungslos"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte am 17.07.2015 über ein erneutes Hilfsprogramm für Griechenland

17.07.2015
Sahra Wagenknecht, DIE LINKE: Wie Sie mit dem Steuergeld umgehen, ist verantwortungslos

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN - Abgeordnete der CDU/CSU verlassen den Saal - Zuruf von der LINKEN: Angsthasen!)

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Bundeskanzlerin! Herr Schäuble! Ich glaube, niemand in diesem Hause bestreitet, dass Griechenland Reformen braucht. Die Griechen brauchen Katasterämter, eine funktionierende Steuerverwaltung und die Bekämpfung der Korruption. Sie brauchen eine drastische Vermögensabgabe für ihre superreiche Oberschicht, die selbst in der Krise und unter Aufsicht der Troika noch immer reicher geworden ist. Aber das, was Sie hier unter dem schönen Namen „Reformen" verteidigen, hat, bitte schön, mit all diesen sinnvollen Maßnahmen überhaupt nichts zu tun. Das ist das Kernproblem.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gabriel, falls Sie vielleicht mal zuhören mögen: Es ist doch ein Hohn, dass Sie hier von investitions- und wachstumsfreundlicher Politik geschwätzt haben. Gucken Sie sich doch mal das Paket an, das Griechenland nun diktiert wurde! Das ist doch exakt die Fortsetzung der rabiaten Kürzungspolitik der letzten fünf Jahre, die schon ein Viertel der griechischen Wirtschaftsleistung zerstört hat, die das Land in Rekordarbeitslosigkeit, in Armut und in wirkliches Elend getrieben hat und die vor allem die griechischen Schulden immer weiter erhöht hat, nämlich von 130 Prozent auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und das wollen Sie jetzt fortsetzen! Sie wollen das noch verschärfen durch den kompletten Ausverkauf des öffentlichen Vermögens und die vollständige Entmündigung des gewählten griechischen Parlaments, das in Zukunft gar nichts mehr zu entscheiden hat. Da muss ich Ihnen sagen: Was Sie mit diesem Land machen, das immerhin nicht nur die Wiege der Demokratie, sondern auch die Wiege der gesamten europäischen Kultur ist, das ist einfach nur schändlich.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Financial Times schätzt, dass die griechische Wirtschaft bei Umsetzung Ihrer Giftliste nochmals um mindestens 5 Prozent einbrechen wird. Der IWF, den Sie ja selbst unbedingt im Boot haben möchten, Frau Merkel, geht davon aus, dass die griechische Schuldenquote bald bei 200 Prozent liegen und dass selbst das neue 85‑Milliarden-Euro-Paket wieder nur ein Durchlaufposten sein wird. Frau Merkel, es ist Ihre Verantwortung ‑ nicht die der Linken und auch nicht die der Syriza-Regierung ‑, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes bereits mit etwa 80 Milliarden Euro für die griechischen Schulden haften. Jetzt soll das mit einem Handstreich noch mal um 20 Milliarden Euro erhöht werden, und das für ein Programm, an dessen Erfolg Sie alle - geben Sie es doch zu! Herr Schäuble hat es doch faktisch zugegeben - nicht einmal selbst glauben. Spätestens in einem Jahr stehen wir wieder an genau dem gleichen Punkt, nur dass Griechenland dann noch ärmer sein wird und seine Schulden noch höher sein werden. Ich muss wirklich sagen: Wie Sie mit dem Steuergeld, für das immerhin Millionen Menschen hart gearbeitet haben, umgehen, ist einfach verantwortungslos.

(Beifall bei der LINKEN)

Griechenland ist seit 2010 überschuldet, und ein Überschuldeter braucht nicht noch mehr Schulden. Ein Überschuldeter braucht endlich einen richtigen Schuldenschnitt.

(Beifall bei der LINKEN)

Da kommen sie mir jetzt bitte nicht mit den Regeln, Herr Schäuble. Den größten Regelbruch verantworten doch Sie, Frau Merkel, und Sie, Herr Schäuble. Oder war es etwa kein Bruch der Regeln in Europa, dass Sie 2010 entschieden haben, die Haftung für die Schulden eines überschuldeten Landes den europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auf die Schultern zu laden, denen im Baltikum genauso wie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hier in der Bundesrepublik? Das haben Sie entschieden, und zwar nur, um deutsche und französische Banken vor Verlusten zu bewahren, vor Milliardenverlusten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist der Kern, mit dem die ganze Tragödie begonnen hat. Seitdem betreiben Sie Konkursverschleppung, um nicht zugeben zu müssen, dass Sie viele Milliarden in den Sand gesetzt haben. Das nennen Sie dann auch noch Solidarität. Also, ich muss sagen: Schlimmer kann man diesen großen Begriff wirklich nicht missbrauchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der große Ökonom Adam Smith hat einmal gesagt:

Es gibt zwei Wege, eine Nation zu erobern und zu versklaven. Der eine ist durch das Schwert, der andere durch Verschuldung.

Es gibt auch zwei Wege, einen Staatsstreich durchzuführen. Der klassische Weg geht über Panzer und Militärs. Der moderne Weg bedient sich der Banken und der Macht über die Währung eines Landes. Mit diesen Hebeln haben Sie es geschafft, den von über 60 Prozent der griechischen Bevölkerung zum Ausdruck gebrachten Wunsch nach einem Ende der ruinösen Kürzungsprogramme eiskalt wegzuputschen. Was für ein trauriger Sieg!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich muss auch sagen, Herr Gabriel ‑ ich sehe Sie gerade nicht ‑: Ihre Rolle in diesem ganzen Spiel, Ihre Scharfmacherei beim Durchsetzen von Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen und Ihre Skrupellosigkeit beim Bedienen dumpfer Ressentiments, bei dem man das Gefühl hatte, Sie bereiteten schon eine neue Karriere in den Ruinen der AfD vor,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ihre Unehrlichkeit und Ihr Opportunismus,

(Ute Vogt (SPD): Schlimmer geht es nimmer!)

das war alles so erbärmlich, dass ich mich wirklich frage, wie lange die SPD dieses Elend an ihrer Spitze noch ertragen will.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht nur in Griechenland, auch in Deutschland und in ganz Europa können heute immer mehr Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr ordentlich leben. Überall werden Rentner ärmer. Die Mittelschichten schrumpfen und werden um ihre Ersparnisse gebracht, und die Kapitalmärkte boomen. So sieht Ihr Europa aus, Frau Merkel, Herr Schäuble und Herr Gabriel: eine Finanzmarktkolonie, in der für Demokratie kein Raum mehr bleibt, weil Technokraten, Banker und Wirtschaftslobbyisten die Richtung diktieren. Und da wundern Sie sich, dass sich immer mehr Menschen von diesem Europa abwenden. Mit Ihrem arroganten Großmachtgehabe, Ihrer sozialen Gleichgültigkeit und Ihrer wirtschaftspolitischen Unbelehrbarkeit zertrampeln Sie das Erbe der großen Europäer von de Gaulle über Willy Brandt bis hin zu Helmut Kohl, die alle wussten, dass der gegenseitige Respekt und soziale Ausgleich

(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert (SPD))

die Grundpfeiler einer erfolgreichen europäischen Entwicklung sind.

„Das europäische Projekt … hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erlitten." So hat der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman die jüngsten Gipfelergebnisse kommentiert.

(Johannes Kahrs (SPD): Was hat denn das jetzt mit Ihnen zu tun? Eine billige Populistenrede! Ohne Inhalt! Dumpfer Populismus! So kennt man die Linke! Dumpfer, peinlicher Populismus!)

- Ich merke, dass Ihnen das wehtut. Aber, bitte schön, dann ändern Sie endlich mal Ihre Politik!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es ein Trauerspiel, dass Sie sich hier für solche Ergebnisse auch noch gegenseitig feiern. Das ist wirklich schlimm, was Sie machen, schlimm für Europa, auch schlimm für Deutschland, und deswegen wird die Linke gegen dieses Mandat mit diesen falschen Konditionen stimmen.

(Beifall bei der LINKEN)