Sahra Wagenknecht

"Wir müssen noch mehr, noch stärker, noch lauter werden"

Rede von Sahra Wagenknecht beim Blockupy-Protest anlässlich der Eröffnung des EZB-Gebäudes in Frankfurt am 18.03.2015

22.03.2015
Transkription der Rede: Manfred Bartl
Sahra Wagenknecht bei der Blockupy Demo gegen die EZB (Frankfurt 18.03.15)

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich begrüße Euch hier auf dem Römer!

Ich finde es ganz toll, dass Ihr so zahlreich gekommen seid, und natürlich ist es aber auch wahr, wenn wir wollen, dass Europa nicht weiter ein Paradies für Schuldeneintreiber, für Multimillionäre und Verbände bleibt, wenn wir wollen, dass es ein Europa der Menschen wird, dann müssen wir noch viel, viel mehr werden, als wir jetzt sind, aber das ist ein Anfang und nächstes Mal bringen wir alle noch 10 Leute mit und dann werden wir noch größer!

Vor zwei Tagen hat der deutsche Aktienindex DAX zum ersten Mal die Schwelle von 12.000 Punkten durchbrochen. Ich glaube, das hat ziemlich deutlich gemacht, wer alles heute Grund hat, mit Herrn Draghi zu feiern. Denn es ist die EZB, die mit ihren dauernden Milliardenspritzen die Finanzmärkte mit der Droge versorgt, die sie brauchen, um immer weiter in die Höhe zu gehen. Es gibt kaum eine andere Institution in Europa, bei der sich die Reichsten, die oberen 1 Prozent, die Multimillionäre und Milliardäre mehr bedanken könnten als bei der Europäischen Zentralbank. Sie tut alles dafür, dass die Vermögen der Reichsten immer größer werden, und wir finden, das brauchen wir nicht! Wir brauchen kein Europa der Millionäre! Wir brauchen endlich Geld für soziale Sicherungen, für Jobs, für Bildung und dafür, dass die junge Generation in Europa eine Zukunft hat!

Aber Herr Draghi, der ehemalige Goldman Sachs Boy, der weiß nicht nur, was die Herzen der Investmentbanker höher schlagen lässt, er weiß auch, wie man man Umverteilung macht. Die EZB ist Teil der kriminellen Troika gewesen, die in diesen südlichen Ländern immer wieder daran gearbeitet hat, die Löhne abzusenken, die sozialen Sicherungen zu zerstören, die Renten zu senken, kriminelle Privatisierungen durchzusetzen, wie in Griechenland, wo öffentliches Vermögen zu einem Preis teilweise bei der Hälfte des Verkehrswertes an griechische Oligarchen und an amerikanische Hedgefonds verschleudert wurde. Und auch da sagen wir: Schluss damit! Öffentliches Vermögen darf in Europa nicht länger verschleudert werden an Hedegfonds, an Oligarchen, an Reiche! Dieses Vermögen gehört uns, es gehört den Menschen in den betreffenden Ländern! Und deswegen muss man denen endlich das Handwerk legen, dass sie nicht so weiter machen können wie bisher!

Natürlich ist die Europäische Zentralbank, gemeinsam mit den europäischen Regierungen, Teil dessen und hat an einem Europa gearbeitet, in dem die Tilgungsansprüche der Banker mehr zählen als die Lebensansprüche, die Pensionsansprüche, die Ansprüche auf Jobs der Menschen in Europa und da sagen wir: Das ist nicht unser Europa, und gerade weil wir dieses Europa nicht wollen, wollen wir auch daran arbeiten, dass, dass sich viele Menschen von diesem Europa abwenden, nicht von Leuten ausgenutzt werden kann, von Kräften, die versuchen, diesen Frust, diese Wut, die es in Europa gibt, auf ihre trüben, rechten Mühlen abzuleiten. Wir dürfen nicht wachsenden Nationalismus in Europa haben, sondern wir müssen verstehen, Europa, der Spalt geht zwischen oben und unten, und die Menschen in Griechenland, denen die Löhne weggekürzt werden, und die Menschen in Spanien, denen die Löhne weggekürzt werden, und auch die Menschen in Italien, denen gerade der Kündigungsschutz verschlechtert wurde, sie haben die gleichen Interessen wie wir hier in Deutschland, wo auch mit der Agenda 2010 ein rüdes Lohndumping durchgesetzt wurde, wo inzwischen auch immerhin drei Millionen Menschen so arm sind, dass sie trotz Arbeit nicht mehr ordentlich heizen und schon gar nicht in Urlaub fahren können. Das ist die Realität in diesem Europa. Überall wird denen unten genommen und denen oben gegeben, und da sagen wir, das ist nicht unser Europa. Wir sind hier, weil wir ein anderes Europa wollen und weil wir dafür auch streiten werden und wir werden auch unsere Stimme nicht verstummen, in den nächsten Jahren noch weniger als bisher!

Und ich muss sagen, manchmal hört man wirklich Verblüffendes. Ich habe jetzt gehört, dass Herr Schäuble der griechischen Regierung vorgeworfen hat, sie belüge ihr Volk. Also, das ist ja mal was ganz Neues, dass sich Herr Schäuble darüber beschwert, dass eine Regierung ihr Volk belügt. Also, da können wir uns ja richtig drauf freuen, dass Herr Schäuble sich überall in der Welt umschaut, wo es denn so böse, böse Regierungen gibt, die ihr Volk belügen, also ich glaube, da würde er in sehr, sehr vielen Ländern fündig werden. Aber vielleicht sollte er mal in Berlin selber anfangen, denn es ist doch so, dass auch die deutsche Regierung die Bevölkerung belügt!

Es war doch von Anfang an eine Lüge, überhaupt davon zu reden, dass es eine Eurorettung gibt, überhaupt davon zu reden, dass es Rettungspakete, Hilfspakete für die betreffenden Länder gibt. Natürlich, ja, diese Pakete haben Euros gerettet, das ist richtig, sie haben die Euros gerettet der Banken und sie haben die Euros gerettet der Millionäre. Aber sie haben nicht Griechenland, sie haben nicht Spanien, sie haben nicht Irland oder Portugal gerettet, im Gegenteil: diesen Ländern wurden Spardiktate oktroyiert, die sie ruiniert haben, die ihre Wirtschaft stranguliert haben, die die Armut erhöht haben. Das ist doch die Realität dieser angeblichen Rettungspakete. Bankenrettungspakete waren das, aber keine Rettungspakete für die Bevölkerung. Und wenn die deutsche Regierung das anders darstellt, dann belügt sie die Bevölkerung, sowohl hier in Deutschland als auch in ganz Europa!

Ich muss auch sagen, ich finde es beängstigend, wie sich der Diskurs in Europa entwickelt hat. Mit welcher oberlehrerhaften Arroganz gerade auch die Bundesregierung andere Länder meint belehren zu müssen. Wir haben jetzt aktuell die Debatte über griechische Reparationsforderungen und über Dinge, die dort noch ausstehen. Und ganz unabhängig, wie man das juristisch bewertet, ich finde, es ist einfach eine Schande, wenn offizielle Repräsentanten des deutschen Staates über solche Forderungen mit einer Arroganz hinweg gehen, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie die deutsche Wehrmacht, wie die deutschen Besatzer damals in Griechenland gewütet haben und dass immerhin eine Millionen Griechen in diesem finsteren Kapitel deutscher Geschichte ihr Leben verloren haben, da wünsche ich mir wenigstens ein Mindestmaß an Sensibilität in der öffentlichen Diskussion und nicht diese unendliche Arroganz, wie man sie von Teilen der Bundesregierung gehört hat, dafür schäme ich mich, das möchte ich hier deutlich sagen!

Ich finde es ja wirklich manchmal erfrischend, wenn dann von offiziellen Repräsentanten dieses Europa gesagt wird, wir müssen doch unsere europäischen Werte verteidigen. Herr Juncker hat kürzlich den Vorschlag beigesteuert, um unsere europäischen Werte besonders vehement verteidigen zu können, brauchen wir jetzt eine Europa-Armee. Ja, da möchte ich doch mal darüber nachdenken: Was sind eigentlich europäische Werte im besten Sinne des Wortes?

Das ist Demokratie!

Das ist Solidarität!

Das ist sozialer Ausgleich!

Um solche Werte zu verteidigen, brauchen wir, weiß Gott, keine Armeen. Wer Demokratie verteidigen will, der muss dafür sorgen, dass dieses Europa nicht länger von den Investmentbanken und auch nicht von Herrn Draghi oder Frau Merkel regiert wird, sondern dass endlich wieder gewählte Regierungen in ihren Ländern das Sagen haben, das ist doch das Zentrale, wenn man Demokratie verteidigen will!

Und natürlich, wer Demokratie verteidigen will, der sollte auch schleunigst aufhören, über so genannte Freihandelsabkommen zu verhandeln, die jede Wahl zu einer Farce machen, weil sie den internationalen Konzernen die Macht geben, im Grunde in diesem Europa noch direkter durchzuregieren, als sie es jetzt schon tun. Also, für Demokratieverteidigung keine Armee, aber Schluss mit TTIP und CETA und all diesen unsäglichen Abkommen, das wäre doch das, was man da machen muss!

Und deswegen: Wir müssen noch mehr werden, wir müssen noch stärker werden, wir müssen noch lauter werden in unserem friedlichen Protest. Griechenland hat gezeigt, wie man ein korruptes Parteiensystem einfach so wegfegen kann und eine neue Kraft an die Macht kommt. In Spanien wird das vielleicht auch möglich sein. Und ich glaube, ein Land nach dem anderen sollten sich die Menschen auf diese Art tatsächlich befreien von diesem falschen System, von diesen falschen Parteien, die sie belügen und die eine Politik machen, die eben nicht im Interesse der Mehrheit ist, und ich wünsche mir irgendwann werden wir auch in Deutschland so weit sein. Das ist das, was ich Euch als Zukunftshoffnung mitgeben möchte. Aber dafür müssen wir alle noch viel tun!

Ich danke Euch!