Sahra Wagenknecht

Zustimmung zur Erpressungspolitik ist keine Solidarität

Artikel von Sahra Wagenknecht vom 05.03.2015

05.03.2015

"Ich finde es falsch, dass die Linksfraktion im Bundestag am vergangenen Freitag mehrheitlich dem Ergebnis dieser Erpressungspolitik mit ihrem „Ja" den Segen gegeben. Eine Enthaltung hätte beides zum Ausdruck gebracht: die veränderte Situation in Athen durch die neue Syriza-Regierung, der unsere Solidarität gilt. Aber auch unsere Ablehnung der gescheiterten Griechenlandpolitik und der Erpressungsstrategie der Bundesregierung."

In Griechenland zeigen sich am stärksten die katastrophalen Auswirkungen der Eurokrisenpolitik: Das Kürzungsdiktat der Troika hat durch Senkungen der Löhne, Renten und Sozialleistungen zu einer humanitären Krise geführt. Die Wahl der neuen griechischen Regierung in Athen ist eine bewusste und mutige Entscheidung der griechischen Bevölkerung gewesen, die Zumutungen aus Berlin und Brüssel zu beenden. Daher wird der Kampf der neuen Regierung unter Syriza-Chef Alexis Tsipras gegen die sogenannte Austeritätspolitik der Troika von der Linken in Deutschland mit großer Anteilnahme und Solidarität verfolgt. Das ist nicht vollkommen uneigennützig: Die Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme in Griechenland hängt eng mit dem Sozialabbau und dem ausufernden Niedriglohnsektor in Deutschland zusammen.

Deutschlands Exporte konnten nach der Jahrtausendwende in der Form nur so extrem steigen, weil die preisliche Wettbewerbsfähigkeit durch das Lohndumping der Agenda-2010 Politik exzessiv gesteigert wurde. Dadurch blieb die Entwicklung der Reallöhne stark hinter der Produktivitätssteigerung zurück. Zum deutschen Lohndumping kamen noch die Folgen der globalen Finanzkrise und die währungspolitische Zwangsjacke des einheitlichen Euro-Währungsraums. Fertig war der fatale Krisencocktail, der Griechenland in eine Überschuldung trieb und anschließend das Kriseninstrumentarium der Eurozone nach sich zog.

Doch durch die sogenannten „Hilfskredite" wurde die Lage in Griechenland noch schlimmer. Bereits 2010 hätte Griechenland einen Schuldenschnitt gebraucht. Damals waren noch rund 90 Prozent der griechischen Staatsschulden in den Bilanzen von Banken, Hedgefonds und privaten Gläubigern, auf die die Last des Schuldenschnitts entfallen wäre. Stattdessen flossen die Gelder aus den "Rettungsschirmen" als Schuldendienst sofort an den Finanzsektor. Bei der griechischen Bevölkerung hingegen kam so gut wie kein Cent an. Zum Schuldenabbau führten die Mittel jedoch nicht: Heute ist die Schuldenlast des griechischen Staates noch viel höher als 2010. Im Gegensatz zu damals haften jetzt jedoch für 80 Prozent der Forderungen gegenüber Griechenland die europäischen Steuerzahler. Die "Hilfskredite" waren ein Bankenrettungsprogramm, das mit einem drakonischen Kürzungsdiktat verbunden wurde, das große Teile der griechischen Bevölkerung ins Elend stürzte. Zu Recht hat die Linksfraktion dies immer im Bundestag geschlossen abgelehnt.

Der Wahlerfolg von SYRIZA beflügelt nun die Hoffnung, dass in Europa endlich die Merkeldämmerung angebrochen ist und damit auch eine Abkehr von der fatalen Kürzungspolitik in Europa eingeleitet werden kann. Mit eben dieser Hoffnung verfolgten viele Genossinnen und Genossen die mutig und hartnäckig geführten Verhandlungen der SYRIZA-Regierung mit den Finanzministern der Eurozone. Die Abstimmung im deutschen Bundestag über den Antrag der Bundesregierung zum Verhandlungsergebnis wurde für DIE LINKE zur Nagelprobe. Tagelang wurde in der Bundestagsfraktion, der Partei und kritischen Medien intensiv diskutiert, welche politische Positionierung die richtige sei. Wichtig bei der Entscheidungsfindung waren zwei Fragen: Wie ist das Verhandlungsergebnis politisch einzuordnen und wie zeigt sich die Linksfraktion unter diesen Umständen mit der neuen Regierung in Athen solidarisch?

Die Verhandlungsergebnisse

Grundsätzlich wurde mit der Einigung zwischen der neuen Regierung in Athen auf der einen und der Eurogruppe, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf der anderen Seite, lediglich erreicht, dass das bestehende Kreditprogramm und damit die Frist zur Auszahlung der letzten Kredittranche bis Ende Juni verlängert wird. Alles Weitere bleibt jedoch auch nach der Entscheidung Verhandlungssache: Bevor überhaupt noch einmal Geld aus dem „Rettungsschirm" ausgezahlt wird, muss die griechische Regierung die alte Liste mit den Bedingungen der Geldgeber abarbeiten. Im Troika-Sprech des Antrags der Bundesregierung heißt das: Voraussetzung für eine Auszahlung ist der „erfolgreiche Abschluss der laufenden Programmüberprüfung". Die katastrophalen Bedingungen für die Kredite bleiben laut Antrag der Bundesregierung also weiterhin in Kraft. Diese Bedingungen für die Kredite sind der Kern der Austeritätspolitik, die DIE LINKE zu Recht seit Jahren vehement kritisiert.

Immerhin konnte die neue Linksregierung aber durchsetzen, dass wenigstens für dieses Jahr der ursprünglich geplante dreiprozentige Primärüberschuss (das bedeutet, dass die laufenden Staatseinnahmen die laufenden Staatsausgaben übertreffen) nicht erfüllt werden muss. Der Primärüberschuss wird aus dem griechischen Haushalt im wahrsten Sinne des Wortes herausgepresst, um damit die Zinsen für den untragbaren Schuldenberg zu zahlen. Wäre der geforderte Primärüberschuss nicht gesenkt worden, wäre ein teilweises Umsetzen des von SYRIZA geplanten Sofortprogramms zur Überwindung der humanitären Krise von vornherein nicht realisierbar gewesen. Dieses Zugeständnis hat die Bundesregierung immerhin schriftlich in ihrem Antrag fixieren müssen, den sie dem Deutschen Bundestag vorlegte.

Darüber hinaus sind im Antrag der Bundesregierung aber leider keine weiteren Zugeständnisse an die SYRIZA-Regierung erkennbar. Das ist in Anbetracht der erpresserischen Situation, in der sich die neue griechische Regierung befand, zum Beispiel drohte die Europäische Zentralbank akut damit den griechischen Banken den Geldhahn zuzudrehen und überschritt mit dieser Erpressung klar ihr rechtliches Mandat, nicht verwunderlich. Im Einzelnen steht im Antrag der Bundesregierung:

1. Die griechische Regierung verpflichtet sich, bei jeder Maßnahme, die „die Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung oder die Finanzstabilität" gefährdet, die Genehmigung der Troika – jetzt Institutionen genannt - einzuholen. Auch die Bewertung, welche Maßnahmen in diese Rubrik fallen, „obliegt den Institutionen."

2. Die bestehenden katastrophalen Kreditbedingungen bleiben nach der im Antrag zum Ausdruck kommenden Ansicht der Bundesregierung in Kraft, denn abgestimmt wird lediglich über eine formale „Verlängerung der Bereitstellungsfrist der bestehenden Finanzhilfevereinbarung". Diese Kreditbedingungen, auch als Memorandum of Understanding (MoU) bezeichnet, waren bisher ein zentraler Grund für unsere Ablehnung der „Hilfspakete".

3. Die Reformliste der griechischen Regierung ist gemäß Antrag der Bundesregierung keine ausreichende Grundlage dafür, dass in den nächsten vier Monaten auch nur ein einziger Euro ausgezahlt werden muss. Noch deutlicher sind sogar der IWF und die EZB geworden. Sie haben in ihren Stellungnahmen bereits klar gemacht, dass die Regierung in Athen nachbessern muss. Eine Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung im Bundestag war damit auch eine Zustimmung zur Geschäftsgrundlage für eine weitere Erpressung Griechenlands.

4. Gemäß Antrag der Bundesregierung werden keine Erleichterungen bei den Schulden in Aussicht gestellt. Im Gegenteil. So heißt es im Antrag: „Griechenland hat zudem sein klares Bekenntnis bekräftigt, allen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern vollständig und pünktlich nachzukommen."

5. Der Antrag der Bundesregierung unterstreicht – mit Ausnahme für 2015 – die Verpflichtung zu unrealistischen Primärüberschüssen. Dies ergibt sich aus den bestehenden Kreditbedingungen (MoU) und wird durch den Bezug auf die Erklärung der Eurogruppe vom November 2012 unterstrichen. Der finanzielle Spielraum im griechischen Staatshaushalt bleibt ab 2016 durch die verlangten Primärüberschüsse so eingeengt wie bisher.

6. Die von der neuen Linksregierung in Athen eingereichte Reformliste ist lediglich eine erläuternde Anlage zum Antrag und stellt nach Ansicht der Bundesregierung nur einen „Ausgangspunkt für einen erfolgreichen Abschluss der laufenden Programmüberprüfung" dar.

Davon abgesehen sind in der von der SYRIZA vorgelegten Reformliste zwar viele richtige Punkte enthalten, wie zum Beispiel die Stärkung der staatlichen Einnahmeseite durch eine Bekämpfung von Korruption, Steuervermeidung und Besteuerung der griechischen Oberschicht. Auf der anderen Seite war es offensichtlich der Bundesregierung auch bereits bei der Reformliste möglich, der SYRIZA-Regierung bittere Pillen hineinzudiktieren. In der Liste aus Athen finden sich u.a. folgende Punkte:

1. Verzicht auf die Rücknahme abgeschlossener oder eingeleiteter Privatisierungen.

2. „Sicherstellung, dass die Haushaltslage durch die Bekämpfung der humanitären Krise nicht beeinträchtigt wird."

3. Durch das Bekenntnis, Rentenbeiträge enger an die Einkommen zu koppeln, besteht die Gefahr, dass die zukünftigen Renten gerade für die Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen drastisch sinken könnten.

Ich finde es falsch, dass die Linksfraktion im Bundestag am vergangenen Freitag mehrheitlich dem Ergebnis dieser Erpressungspolitik mit ihrem „Ja" den Segen gegeben. Eine Enthaltung hätte beides zum Ausdruck gebracht: die veränderte Situation in Athen durch die neue Syriza-Regierung, der unsere Solidarität gilt. Aber auch unsere Ablehnung der gescheiterten Griechenlandpolitik und der Erpressungsstrategie der Bundesregierung.

Es war vorhersehbar, dass die getroffene Vereinbarung zwischen der Eurogruppe und der SYRIZA-Regierung in Berlin und Athen extrem unterschiedlich interpretiert wird. Tsipras zufoge machen die Vereinbarungen deutlich, dass Griechenland sich damit durchgesetzt hätte sich vom Memorandum, also dem Programm der Austeritätspolitik, zu lösen. Die Bundesregierung hingegen schreibt in ihrem Antrag klipp und klar, dass das Memorandum weiterhin uneingeschränkt seine Gültigkeit hat. Ein eklatanter Widerspruch. Abgestimmt wurde jedoch über die Interpretation der Bundesregierung, nicht die aus Griechenland. Konnte es unter diesen Umständen ein Ausdruck der Solidarität sein dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen?

Für mich und einige andere Abgeordnete kam das nicht in Frage. Deshalb haben wir uns enthalten und damit zum Ausdruck bringen wollen, dass wir einerseits selbstverständlich der Meinung sind, , dass die neue Regierung in Athen die Zeit eingeräumt bekommen muss, die sie braucht, aber andererseits die andauernde Erpressungsstrategie der Bundesregierung für uns nicht zustimmungsfähig ist.

Die Aufgabe der Linken in Deutschland

Bleibt die Frage nach der Solidarität. Ich finde: Die beste Solidarität mit der SYRIZA-Regierung in Athen ist eine konsequente Opposition in Berlin"! Deshalb ist es ungeschickt so zu tun, als befände man sich bereits in der Regierung. Deshalb darf unsere konsequente Ablehnung der katastrophalen Eurokrisenpolitik als bestimmendes Element unserer Oppositionspolitik nicht in Frage gestellt werden. Genau dies wird aber nach dem mehrheitlichen „Ja" zum Antrag der Bundesregierung schwieriger zu kommunizieren sein. Es ist wenig hilfreich, dass dadurch Schlagzeilen wie „LINKE lässt Ablehnungskur los" oder „DIE LINKE stimmt erstmals in der Euro-Rettungspolitik mehrheitlich mit der Koalition" provoziert wurden. Es wird unsere Aufgabe sein, dieses Bild wieder gerade zu rücken. Griechenland wird uns weiter beschäftigen. Die Gelegenheit dazu wird sich bald ergeben. Wir sollten sie um unserer Glaubwürdigkeit willen dringend nutzen.