Sahra Wagenknecht

Wie wichtig ist gutes Aussehen in der Politik?

Interview mit Sahra Wagenknecht und Anton Hofreiter, erschienen in der Bild am Sonntag am 08.12.2013

09.12.2013

Hier spricht die künftige Opposition: ANTON HOFREITER (Grüne) und SAHRA WAGENKNECHT (Linke) über die Kontrolle von Union und SPD, die schlimmsten Fehler im schwarz-roten Koalitionsvertrag und ihre Haare

Interview mit Sahra Wagenknecht

Von MICHAEL BACKHAUS und ROMAN EICHINGER

MARKUS TEDESKINO

Sahra Wagenknecht treffen wir am Freitagmittag in ihrem Bundestagsbüro. Wie immer sitzen die Haare der promovierten Volkswirtin perfekt,

das Make-up ist tadellos.

BILD am SONNTAG: Frau Wagenknecht, wie wichtig ist gutes Aussehen in der Politik?

SAHRA WAGENKNECHT: Wenn jemand keine Kompetenz und nichts zu sagen hat, dann nützt auch ein nettes Gesicht nicht viel. Ich bin es auch leid, dass solche Fragen immer Frauen gestellt werden.

Das können wir gut verstehen. Deshalb haben wir diese Frage auch Herrn Hofreiter gestellt. Schon mal daran gedacht, sich eine Kurzhaar-Frisur zuzulegen?

Ach, da bin. ich konservativ. Und leider kann man das ja auch nicht mal für ein paar Tage ausprobieren.

Wie lange brauchen Sie morgens für die Haare?

In der Regel eine Viertelstunde. Wenn es allerdings sehr früh ist und ich sehr müde bin, sind meine Haare manchmal ziemlich störrisch.

Bald regiert uns die Große Koalition mit überwältigender Mehrheit. Was kann die Linkspartei da ausrichten? Die Wirkung einer Opposition hängt nicht nur von der Zahl ihrer Abgeordneten ab, sondern auch davon, ob sie überzeugende Argumente hat. Union und SPD haben einen miserablen Koalitionsvertrag ausgehandelt. Er wird dieses Land nicht gerechter machen. Die Zahl der Millionäre wird weiter steigen genauso wie die Zahl der Beschäftigten, die in Werkverträgen, Leiharbeit oder Minijobs zu miesen Bedingungen arbeiten müssen oder auch die der Rentner, die ihre Miete kaum noch bezahlen können.

Welche Rechte braucht die Mini-Opposition?

Sie muss die Regierung durch Untersuchungsausschüsse kontrollieren oder gegen Grundrechtsverletzungen vorgehen können. Sonst kann eine Regierung ja machen, was sie will.

Wird die Linke diese Rechte notfalls einklagen? Ja.

Was ist der größte Fehler, den die SPD in den Koalitionsverhandlungen gemacht hat?

Dieser Vertrag ist ein einziger großer Fehler. Der Mindestlohn etwa kommt weder flächendeckend noch existenzsichernd. Selbst 2017 soll es noch Ausnahmen geben, so für Saisonarbeiter und Mini- Jobber. Und 8,50 Euro im Jahr 2017 sind heute etwa 7,80 Euro. Wer soll davon

leben? Das ist Wahlbetrug. Superreiche und Konzerne werden auch in Zukunft kaum Steuern zahlen, aber Normalverdiener werden weiter durch hohe Strompreise, kalte Progression und irre Dispo-Zinsen abgezockt.

Soll die SPD-Basis den Koalitionsvertrag ablehnen?

Wer aus Überzeugung Sozialdemokrat ist und sich mehr soziale Gerechtigkeit wünscht, kann diesem Koalitionsvertrag nicht zustimmen. Dazu kommt: In die letzte Große Koalition ist die SPD mit über 30 Prozent hineingegangen und mit 23 Prozent rausgekommen. Jetzt haben sie von vornherein kaum mehr als 25 Prozent. Wollen die SPD-Mitglieder wirklich, dass sich ihre Partei abschafft?

Sollte der SPD-Mitgliederentscheid wider Erwarten scheitern - stehen die Linken dann für Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen bereit?

Wenn die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag zerreißen, können wir am Montag danach mit Gesprächen beginnen. Es dürfte dann ja auch zu personellen Veränderungen in der SPD kommen. Vielleicht wird das Agenda-Personal endlich in die Wüste geschickt und es kommen Leute an die Spitze, die sich der sozialdemokratischen Tradition von Bebel bis Brandt wieder verpflichtet fühlen. Dann sehe ich viele Gemeinsamkeiten mit uns. Die derzeitige SPD-Führung ist leider einfach zu feige, sich mit den Bankern und Wirtschaftsbossen anzulegen. Dann kann sie auch keine Politik für die kleinen Leute machen.

Christian Lindner ist seit gestern neuer FDP-Vorsitzender. Rechnen

Sie mit einem Comeback der Liberalen?

Das kommt darauf an, wohin die FDP geht. Als Partei der sozialen Kälte ist sie mehr als entbehrlich, und als Mehrheitsbeschaffer für die CDU wird sie auch nicht mehr unbedingt gebraucht. Aber echte liberale Werte und Bürgerrechte zu verteidigen, gegen Bankenrettungen auf Steuerzahlerkosten und NSA-Spitzelei, da würden wir uns über jeden Verbündeten freuen.

Interview mit Anton Hofreiter

Von ROMAN EICHINGER und ANGELIKA HELLEMANN

MARKUS TEDESKINO

Anton Hofreiter treffen wir am Donnerstagmorgen in seinem neuen Bundestagsbüro. Während die Bücherregale noch fast leer sind, hat sich der promovierte Biologe als erste Deko-Maßnahme eine Grünpflanze und Lilien besorgt.

BILD am SONNTAG: Herr Hofreiter, wie wichtig ist gutes Aussehen in der Politik?

ANTON HOFREITER: Ein boshafter Kerl hat mal gesagt: Politik ist Showbusiness für nicht so gut aussehende Menschen. Im Ernst: Aussehen ist für Politiker nicht das entscheidende Kriterium.

Sie sind der einzige Spitzenpolitiker mit langen Haaren . . .

Die Gesellschaft ist heute so modern und tolerant, dass sich darüber keiner mehr aufgeregt. Und ich selbst verbinde mit meinen Haaren auch keine politische Aussage, ich hatte immer schon lange Haare und es gefallt mir halt einfach.

Wie lange brauchen Sie morgens für die Haare?

Das ist Privatsache.

Bald regiert uns die Große Koalition. Oppositionsführer ist die Linkspartei. Sind die Grünen überflüssig?

Die Grünen braucht es zentral für die ökologische Frage, also die Rettung unserer Lebensgrundlagen. Wenn ich mir unsere Geschichte anschaue, hat kaum eine andere Gruppe unser Land so sehr verändert wie die Grünen. Im Bund haben wir nur sieben Jahre regiert, aber wir haben die Bundesrepublik gerade in dieser Zeit bei der Gleichberechtigung von Frauen, der Gleichstellung von Homosexuellen, dem Umgang mit Flüchtlingen und natürlich dem Umweltschutz stark modernisiert.

Welche Rechte braucht die Mini-Opposition?

Die Opposition muss allein einen Untersuchungsausschuss einsetzen können. Sie muss in den Ausschüssen eine Anhörung beantragen können. Sie braucht ein angemessenes Rederecht, damit es im Parlament eine wirkliche Debatte mit der Regierung gibt. Sie braucht das Recht auf Normenkontrollklagen. Und die Opposition muss angemessen mitbestimmen können, welche Themen im Plenum diskutiert werden.

Und wenn Ihnen das Union und SPD nicht zugestehen?

Es wäre doch ein Skandal erster Güte, wenn diese Große Koalition eine schlag-

kräftige Opposition verhindern würde. Was wäre denn das für ein Politikverständnis? Wenn der Bundestag nicht zügig nach dem SPD-Mitgliederentscheid diese Dinge verbindlich - und das heißt nicht Selbstverpflichtung - ändert, werden die Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Wir haben uns bereits mit Staatsrechtlern beraten. Die Meinung war eindeutig: Mauert die Große Koalition, haben wir gute Chancen mit einer Klage.

Fährt die Große Koalition die Energiewende vor die Wand?

Wenn dieser Koalitionsvertrag umgesetzt wird, beschädigt das die Energiewende massiv. Dann steigen nämlich sowohl die Strompreise als auch der CO2-Ausstoß. Die Große Koalition setzt auf die Konservierung eines Doppelsystems aus Kohlekraft und erneuerbaren Energien. Das ist extrem teuer und umweltschädlich. Ich rate der Regierung, bei der Energiewende die Expertise der Grünen zu nutzen.

Was ist der größte Fehler, den die SPD in den Verhandlungen gemacht hat? Die Tatsache, dass die SPD die Verhandlungen über die Energiewende der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und damit der Kohlelobby überlassen hat.

Glauben Sie, dass es noch einmal Rot-Grün geben wird?

Was 2017 sein wird, ist heute schwer vorauszusagen. Wir haben das jetzt dreimal hintereinander bei Bundestagswahlen probiert und es hat dreimal nicht funktioniert. Daraus haben wir nach der Wahl unsere Lehren gezogen.

Christian Lindner ist seit gestern neuer FDP-Vorsitzender. Rechnen Sie mit einem Comeback der Liberalen? Dem Schutz der Bürgerrechte, einer selbstbewussten Bürgergesellschaft und einer modernen Gesellschaftspolitik bieten wir Grüne eine Heimat. Und ob der Wirtschaftsliberalismus als Basis für die FDP reicht? Man wird sehen, aber ich bin skeptisch.