Sahra Wagenknecht

"Ihre Politik macht die Demokratie in Europa kaputt!"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte am 21.02.2013 zur Regierungserklärung zum Europäischen Rat

21.02.2013

Zum Video der Rede

Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Merkel hat uns gerade wieder eine wunderbare Märchenstunde beschert: Europa ist auf einem guten Weg, ein fantastischer Haushalt ist beschlossen, alles wird gut.

Die Realität sieht leider etwas anders aus. Ich möchte mich vor allem auf einige Entwicklungen beziehen, die über die Finanzierungsspielräume der europäischen Staaten in den nächsten Jahren mit Sicherheit wesentlich mehr entscheiden werden als der Umstand, ob der europäische Haushalt jetzt 10 oder 15 Milliarden Euro mehr umfasst. Es geht dabei vor allem um die ökonomischen Entwicklungen.

Peer Steinbrück hat auf die dramatische Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union hingewiesen, vor allem auf die dramatische Situation der Jugendlichen. Dabei frage ich mich allerdings schon, Herr Steinbrück, wie Ihre zur Schau gestellte Betroffenheit in dieser Frage mit Ihrem Abstimmungsverhalten hier im Bundestag zu vereinbaren ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben diesen ganzen Kürzungspaketen immer wieder zugestimmt.

Zur Realität in Europa gehört auch, dass trotz der inzwischen 4,5 Billionen Euro, die die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dafür aufgebracht haben, marode Banken zu retten, es für die Unternehmen nach wie vor von Monat zu Monat schwieriger wird, bei diesen Banken Kredite zu bekommen, um Investitionen tätigen zu können.

Zur Realität gehört genauso, dass die Krise inzwischen auf Deutschland zurückgeschlagen ist: Im letzten Quartal 2012 ist die Leistung der deutschen Wirtschaft deutlich eingebrochen, und es gibt überhaupt keinen Grund für die Annahme, dass in diesem Jahr Südostasien oder die krisengeschüttelten USA oder welche Region der Welt auch immer das ausgleichen kann, was uns an Nachfrage verloren geht aufgrund der tiefen Krise, die wir hier in Europa haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt eine aktuelle Studie von Ernst & Young, nach der die Hälfte aller mittelständischen Unternehmen in Deutschland mit sinkenden Umsätzen rechnet. Man sollte vielleicht nicht immer nur auf die DAX-Konzerne schauen. Die Unternehmen planen eher Entlassungen als Neueinstellungen. Nach dieser Studie kämpft in Deutschland jeder zehnte Mittelständler ums Überleben, und das obwohl - oder vielleicht gerade weil - die Löhne sich in Deutschland seit über zwölf Jahren hundsmiserabel entwickelt haben. Sie müssten um 12 Prozent höher liegen, wenn sie wenigstens im Gleichgang mit der Produktivität gestiegen wären.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Wahrheit gehört natürlich auch - darauf hat die OECD vor kurzem hingewiesen -, dass viele große Unternehmen und Konzerne auch hier in Europa inzwischen Steuerquoten von etwa 5 Prozent haben. Zur Realität gehört, dass sich in den Steueroasen weltweit privates Vermögen im Volumen von über 32 Billionen Dollar nahezu steuerfrei vermehrt. Dagegen tut die Bundesregierung nichts; trotz allen Geredes über Konsolidierung und Schuldenbremsen ist das offenbar kein Problem.

Das Problem ist allerdings, dass ganz Europa immer wieder sogenannte Sparhaushalte und Kürzungen diktiert werden unter dem Vorwand, dass man so die Staatsschulden reduziert. Komischerweise sinken die Staatsschulden in Europa aber nicht, in keinem einzigen Jahr.

Sie sind immer wieder gestiegen. Der Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, den Sie immerhin selbst ins Boot geholt haben, hat im Oktober 2012 darauf hingewiesen, dass in den Krisenländern die Wirtschaftsleistung nicht zuletzt gerade wegen dieser Kürzungsdiktate immer weiter eingebrochen ist. Insoweit denke ich, es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn die Mitglieder dieser Bundesregierung etwas weniger Zeit damit verbringen würden, diverse Investmentbanker von der Deutschen Bank und Goldman Sachs zu treffen und etwas mehr Zeit damit, sich von Fachleuten bzw. Ökonomen beraten zu lassen, die ein bisschen was von Makroökonomie verstehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin wirklich gespannt, mit welchen Verrenkungen Sie demnächst im Bundestag erklären werden, dass man selbstverständlich auch die zypriotischen Banken mit deutschem Steuergeld retten muss; und im Grunde ist das natürlich auch nur konsequent. Wenn uns griechische Oligarchen Milliarden wert sind, warum dann nicht auch russische Oligarchen,

(Michael Roth (Heringen) (SPD): Da kennen Sie sich aus!)

zumal auf zypriotischen Konten ähnlich wie auf irischen natürlich auch genug Geld aus Steuerflucht und anderen kriminellen Geschäften lagert, und das muss selbstverständlich unbedingt gesichert werden, sonst bricht ja die Welt zusammen, zumindest die Welt dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sind ja auch alle ganz stolz darauf,

(Michael Roth (Heringen) (SPD): Das ist ziemlich vulgär!)

dass sich die Finanzmärkte in Europa seit einiger Zeit beruhigt haben und sich nicht nur die Krisenstaaten, sondern sogar die größten Pleitebanken plötzlich wieder refinanzieren können. Aber was der Grund dafür ist, das sagen Sie den Menschen nicht. Der Grund dafür ist nämlich nicht, dass die Probleme kleiner geworden sind. Das Volumen fauler Kredite in den Bankbilanzen wächst. Es soll nach Prognosen in diesem Jahr bis zu 1 Billion Euro faule Kredite in den Bankbilanzen europäischer Banken geben. Wenn spanische Banken alle Verluste konsequent abschreiben würden, dann hätten sie wahrscheinlich keinen müden Euro Eigenkapital mehr, und dann würde es auch für deutsche Banken eng, die nämlich in Spanien 50 Milliarden Euro im Feuer haben.

Warum also bekommen Pleitebanken plötzlich wieder Geld? Warum wird auf einmal wieder ohne großes Misstrauen gezockt? Der Grund ist ganz einfach: weil ein riesiges Großbankensubventionsprogramm in Vorbereitung ist. Die Finanzmärkte sind beruhigt, weil den Banken und Hedgefonds zugesagt wurde, dass sie auch in Zukunft keine Angst vor Verlusten haben müssten, sondern dafür der Rettungsschirm ESM einspringen werde.

Das ist doch die Quintessenz des von der Europäischen Kommission im letzten Herbst vorgelegten „Fahrplanes" für eine Bankenunion. Mindestens bis 2018 soll die Haftung privater Gläubiger komplett ausgeschlossen werden. Ja, und wenn die privaten Gläubiger nicht haften, wer dann? Dann soll es doch wieder der Steuerzahler sein, an dem der ganze Finanzmüll hängenbleibt. Dabei geht es um Riesensummen, im Vergleich dazu ist die ganze bisherige sogenannte Euro-Rettung nichts als eine laue Aufwärmübung.

Aber gab es irgendeinen massiven Protest der Bundesregierung und ihrer angeblich eisernen Sparkanzlerin? Ich habe nichts gehört. Ja, Herr Schäuble hat kürzlich vorgeschlagen, das Haftungsvolumen des ESM für die Banken auf 80 Milliarden Euro zu beschränken. Aber dass die Banken und Märkte nach dieser Ankündigung noch nicht einmal ein wenig nervös geworden sind, zeigt eben auch nur, dass sich inzwischen bis zum letzten Händler herumgesprochen hat, dass rote Linien für diese Bundesregierung nur dazu da sind, überschritten zu werden. Die Deutsche Bank wird wissen, warum sie es sich leisten kann, allein 2012 wieder 3,2 Milliarden Euro an Boni auszuschütten. Warum auch Eigenkapital bilden, wenn man eine Bundesregierung hat, die eine wunderbare Vollkaskoverlustversicherung anbietet?

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die Bundestagswahl erst einmal überstanden ist, dann ist ohnehin alles egal so kalkulieren Sie doch. Deshalb gibt es auch die Giftlisten von der weiteren Erhöhung der Mehrwertsteuer bis zu weiteren Angriffen auf die Renten, die bekanntermaßen längst in Ihren Schubladen lagern; und das Schlimme ist, dass man leider damit rechnen muss, dass eine SPD unter Herrn Steinbrück dies alles auch wieder genauso brav mittragen wird wie die ganzen Bankenrettungspakete der letzten Jahre.

(Beifall bei der LINKEN - Michael Roth (Heringen) (SPD): Das ist lebensfern!)

Der Chef des Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn, hat Ihnen bekanntlich vorgeworfen, dass Sie mit Ihrer Politik faktisch eine negative Vermögensteuer eingeführt haben; und ich finde, er hat recht. Eine positive Vermögensteuer ist bekanntlich, wenn Millionäre jährlich einen gewissen Prozentsatz ihres Vermögens an die Allgemeinheit dafür abgeben müssen, dass ordentliche Schulen, gute Krankenhäuser und eine auskömmliche Rente finanziert werden können.

Eine negative Vermögensteuer bedeutet natürlich das Gegenteil: Die Allgemeinheit muss auf ordentliche Schulen, gute Krankenhäuser und auskömmliche Renten verzichten, weil ein großer Teil der Steuereinnahmen dafür verschwendet wird, Millionäre vor Vermögensverlusten zu bewahren. Das ist die Politik, die Sie machen!

Sie sorgen für eine negative Vermögensteuer. Wir sagen, wir wollen, dass endlich die Millionäre und Multimillionäre und diejenigen, die von den ganzen miserablen Geschäften in den letzten Jahren in Europa profitiert haben, zahlen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Politik macht Europa kaputt. Ihre Politik macht die Demokratie in Europa kaputt. Diese Politik wird weiterhin auf unseren massiven Widerstand stoßen.

(Beifall bei der LINKEN)