Sahra Wagenknecht

"Treffende Analyse unserer Wirtschaftsordnung"

Rezension des Buches "Freiheit statt Kapitalismus" vom 31.05.2011 bei Radio Lotte Weimar

07.06.2011
Oliver Kröning

Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus. „Freiheit statt Sozialismus“, propagierte die CDU im Wahlkampf 1976 und stellte absurderweise damit SPD und FDP auf eine Stufe mit SED und KPdSU. Sahra Wagenknecht dreht diesen Spieß nun um und sagt „Freiheit statt Kapitalismus“. So lautet der Titel ihres neuen Buches, in dem sie an das Versprechen Ludwig Erhards erinnert, der „Wohlstand für alle“ forderte. Dieses Versprechen ist, so Wagenknecht, in den letzten 30 Jahren gebrochen worden. Sie anerkennt die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft der 50er, 60er und 70er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. In dieser Zeit wuchs in der Tat der Wohlstand für weite Teile der Bevölkerung. Seit Anfang der 80er-Jahre aber, etwa mit der Machtübernahme von Thatcher in Großbritannien und Reagan in den USA ist die vormalige Entwicklung wieder rückläufig. Seitdem geht es nur noch für die Besserverdienenden weiter aufwärts; für alle anderen gibt es maximal eine Stagnation.

In der ersten Hälfte ihres Buches führt Wagenknecht an, dass der Kapitalismus mittlerweile unproduktiv sei. Mit einem Markt im eigentlichen Sinne habe unser Wirtschaftssystem nichts mehr zu tun. Es gehe eben nicht mehr um Angebot und Nachfrage, sondern nur noch um einige wenige kapitalkräftige Großakteure, vor allem den führenden Investmentbanken, die dem Rest der Welt ihre Bedingungen aufzwingen. Wobei auch das Wort „Investmentbank“ eine Täuschung sei: denn die so genannten Investmentbanken investieren nicht langfristig in Unternehmen, sondern wollen nur kurzfristig möglichst große Gewinne herausholen. Und die Autorin führt auf, wie sehr der Lobbyismus heutzutage Einfluss auf die Politik nimmt, die gar nicht mehr rational entscheiden, sondern lediglich dem folgen kann, was das Großkapital vorgibt.

Im zweiten Teil ihres Buches führt Wagenknecht mögliche Lösungsvorschläge an, die sie unter der Überschrift „Kreativer Sozialismus“ präsentiert. So wäre vor allem die Streichung sämtlicher Altschulden der EU-Staaten mit Ausnahme der von Kleinanlegern gehaltenen Titel notwendig, um einen Neuanfang möglich zu machen. Große Finanzunternehmen müssten verstaatlicht werden. Verstaatlichung – darauf weist Wagenknecht hin – bedeutet nicht notwendigerweise defizitäre Bilanzen. Die Bundespost oder Renault haben als staatliche Unternehmen stets mit Gewinn abgeschlossen. Vor allem müsse der Finanzsektor auf seine Aufgabe als Diener der Realwirtschaft zurückgefahren werden. Zudem könne Chancengleichheit nur hergestellt werden, wenn Erbschaften auf eine Millionen Euro begrenzt werden. Dann bestünde die Chance, Erhards Versprechen vom Wohlstand für alle zu realisieren. Und genau das fordert die Autorin ein.

Das Buch ist sehr kenntnisreich geschrieben. Wagenknecht hat die unterschiedlichen Wirtschaftskonzepte von Keynes, Friedman und anderen nicht nur gelesen, sondern offensichtlich auch verstanden. Auch wertet sie zahlreiche, teils wenig bekannte Statistiken aus, die erschreckende Zahlen aufweisen. Dass das Volumen der globalen Finanztransaktionen heute mehr als 70-mal höher ist als die reale Wirtschaftsleistung der gesamten Welt, verdeutlicht, wie sehr unser System aus Luft besteht. Wagenknecht gelingt somit eine treffende Analyse unserer Wirtschaftsordnung und zeigt haargenau, was vor allem in den letzten 30 Jahren schief gelaufen ist. Ob ihre Vorschläge, dies zu ändern aber realisierbar sind, ist eine ganz andere Frage. Denn eines kann auch Sahra Wagenknecht nicht beantworten: warum eigentlich lässt die große Mehrheit der Menschheit sich von einer kleinen Minderheit demütigen und gibt sich mit ein paar Krümeln vom großen Kuchen zufrieden?

Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus
Sachbuch
Eichborn, 2011
ISBN 3-8218-6546-1
19,95 Euro